Drei Jahre sind seit Giulias Verschwinden vergangen, der von
Erfolg gesegneten ersten Kollaboration von Regisseur Christoph Schaub
und Romancier Martin Suter, zwei der populärsten Schweizer
Kulturschaffenden. In ihrem Zweitwerk Nachtlärm geht die
Zauberformel leider nicht mehr auf.
Dass Schlaf für frisch gebackene Eltern ein Luxus ist, müssen Livia
(Alexandra Maria Lara) und Marco (Sebastian Blomberg) auf äusserst
unsanfte Art und Weise erfahren. Denn Baby Tim kostet ihnen mit
seinem unentwegten Geschrei den letzten Nerv. Das einzige Mittel, den
kleinen Schreihals zum Schlafen zu bewegen, ist eine rasante
Autofahrt über die Autobahn: 130 Stundenkilometer, dann fallen Tim
die Augen zu. Bei einer derartigen nächtlichen Exkursion führt eine
Reihe unglücklicher Zufälle dazu, dass der klapprige VW Golf von
Livia und Marco mitsamt Baby geklaut wird. Ohne lange nachzudenken,
schnappt sich das Paar einen bei derselben Raststätte geparkten
Mercedes und jagt den Autodieben nach. Diese wiederum – der
Kleinkriminelle Jorge (Georg Friedrich) und seine Begleiterin Claire
(Carol Schuler) – ahnen vorerst noch nichts vom Säugling im
Rücksitz. Und auch der zwielichtige Mercedes-Besitzer (Andreas
Matti) setzt alles daran, sein Gefährt zurückzuholen.
Ein bisschen liest sich der Plot von Nachtlärm ja wie Buster
Keatons Abenteuerkomödie The General: Ein Fahrzeugdiebstahl
und mehrere unglückliche Fügungen führen zu einer wilden Jagd,
einer hektischen Irrfahrt, bei der die Unterscheidung zwischen Jägern
und Gejagten je länger je schwerer fällt. Tatsächlich gelingt es
Christoph Schaub (Sternenberg, Jeune Homme, Happy New
Year), diese Art des überhöhten Chaos atmosphärisch
einzufangen, ein leiser Hauch von Keaton ist zu spüren. Die Nacht
wird hier zum reinen Kunstprodukt: Wenn die Sonne untergeht,
bevölkern Kriminelle und Psychopathen die Strassen; nur die
Morgendämmerung ist im Stande, sie wieder verschwinden zu lassen;
auch Anklänge an Martin Scorseses After Hours sind nicht von
der Hand zu weisen.
Eine Nacht zum Vergessen: Livia (Alexandra Maria Lara) und Marco
(Sebastian Blomberg) suchen nach ihrem Baby.
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Doch Schaubs abgeklärte Regie wird von Martin Suters unstimmigem
Drehbuch untergraben – die Tatsache, dass selbst in der Schweiz
Hochdeutsch die Standardsprache zu sein scheint, ist sprechend. Nachtlärm wird als Tragikomödie angepriesen, doch die beiden
Genres fliessen niemals so schön ineinander, wie es der Begriff
suggeriert. Im Grunde hat Suter ein ernstes Beziehungsdrama zwischen
Marco und Livia geschrieben, welches sich unter erschwerten Umständen
abspielt. Alles andere wirkt wie allzu hastig hinzugedichtete
komische Auflockerung. Letzten Endes fallieren aber beide Ansätze.
Die Komödie erschöpft sich in geschmackvoll gemeinten, aber
humorlosen, Possen und Idiosynkrasien sowie überraschend unwürdigen
Reizdarm-Witzen. Das Drama wiederum scheitert an den wenig
durchdachten Hauptfiguren; Livia ist eine undankbare, nervige
Nörglerin, Marco ein Langweiler. Diverse Szenen bestehen daraus,
diesen beiden mal faden, mal unsympathischen Charakteren beim
Streiten zuzusehen. Und solange der Autor dahinter nicht Edward Albee
oder Yasmina Reza heisst, ist dies nicht sonderlich spannend.
Nachtlärm
weiss nicht, was er sein will. Schaubs Inszenierung bewahrt den
Streifen davor, gänzlich ins Ermüdende und Mühselige abzudriften,
obwohl Suters blutleeres Skript jegliches Mitgefühl und jegliche
emotionale Beteiligung verhindert. Eine reale nächtliche Autofahrt
wäre wohl befriedigender.
★★
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