Donnerstag, 6. September 2012

Nachtlärm

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Drei Jahre sind seit Giulias Verschwinden vergangen, der von Erfolg gesegneten ersten Kollaboration von Regisseur Christoph Schaub und Romancier Martin Suter, zwei der populärsten Schweizer Kulturschaffenden. In ihrem Zweitwerk Nachtlärm geht die Zauberformel leider nicht mehr auf.

Dass Schlaf für frisch gebackene Eltern ein Luxus ist, müssen Livia (Alexandra Maria Lara) und Marco (Sebastian Blomberg) auf äusserst unsanfte Art und Weise erfahren. Denn Baby Tim kostet ihnen mit seinem unentwegten Geschrei den letzten Nerv. Das einzige Mittel, den kleinen Schreihals zum Schlafen zu bewegen, ist eine rasante Autofahrt über die Autobahn: 130 Stundenkilometer, dann fallen Tim die Augen zu. Bei einer derartigen nächtlichen Exkursion führt eine Reihe unglücklicher Zufälle dazu, dass der klapprige VW Golf von Livia und Marco mitsamt Baby geklaut wird. Ohne lange nachzudenken, schnappt sich das Paar einen bei derselben Raststätte geparkten Mercedes und jagt den Autodieben nach. Diese wiederum – der Kleinkriminelle Jorge (Georg Friedrich) und seine Begleiterin Claire (Carol Schuler) – ahnen vorerst noch nichts vom Säugling im Rücksitz. Und auch der zwielichtige Mercedes-Besitzer (Andreas Matti) setzt alles daran, sein Gefährt zurückzuholen.

Ein bisschen liest sich der Plot von Nachtlärm ja wie Buster Keatons Abenteuerkomödie The General: Ein Fahrzeugdiebstahl und mehrere unglückliche Fügungen führen zu einer wilden Jagd, einer hektischen Irrfahrt, bei der die Unterscheidung zwischen Jägern und Gejagten je länger je schwerer fällt. Tatsächlich gelingt es Christoph Schaub (Sternenberg, Jeune Homme, Happy New Year), diese Art des überhöhten Chaos atmosphärisch einzufangen, ein leiser Hauch von Keaton ist zu spüren. Die Nacht wird hier zum reinen Kunstprodukt: Wenn die Sonne untergeht, bevölkern Kriminelle und Psychopathen die Strassen; nur die Morgendämmerung ist im Stande, sie wieder verschwinden zu lassen; auch Anklänge an Martin Scorseses After Hours sind nicht von der Hand zu weisen.

Eine Nacht zum Vergessen: Livia (Alexandra Maria Lara) und Marco (Sebastian Blomberg) suchen nach ihrem Baby.
Doch Schaubs abgeklärte Regie wird von Martin Suters unstimmigem Drehbuch untergraben – die Tatsache, dass selbst in der Schweiz Hochdeutsch die Standardsprache zu sein scheint, ist sprechend. Nachtlärm wird als Tragikomödie angepriesen, doch die beiden Genres fliessen niemals so schön ineinander, wie es der Begriff suggeriert. Im Grunde hat Suter ein ernstes Beziehungsdrama zwischen Marco und Livia geschrieben, welches sich unter erschwerten Umständen abspielt. Alles andere wirkt wie allzu hastig hinzugedichtete komische Auflockerung. Letzten Endes fallieren aber beide Ansätze. Die Komödie erschöpft sich in geschmackvoll gemeinten, aber humorlosen, Possen und Idiosynkrasien sowie überraschend unwürdigen Reizdarm-Witzen. Das Drama wiederum scheitert an den wenig durchdachten Hauptfiguren; Livia ist eine undankbare, nervige Nörglerin, Marco ein Langweiler. Diverse Szenen bestehen daraus, diesen beiden mal faden, mal unsympathischen Charakteren beim Streiten zuzusehen. Und solange der Autor dahinter nicht Edward Albee oder Yasmina Reza heisst, ist dies nicht sonderlich spannend.

Nachtlärm weiss nicht, was er sein will. Schaubs Inszenierung bewahrt den Streifen davor, gänzlich ins Ermüdende und Mühselige abzudriften, obwohl Suters blutleeres Skript jegliches Mitgefühl und jegliche emotionale Beteiligung verhindert. Eine reale nächtliche Autofahrt wäre wohl befriedigender.

★★

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