Perverse Sensationslust und stets wiederkehrende Klischees scheinen
den zeitgenössischen Horrofilm zu lähmen, neue Ansätze sind
Mangelware. Das soll sich nun ändern: Der revisionistische Schocker The Cabin in the Woods stellt das Genre auf den Kopf. Das
Resultat: Ganz grosses Kino.
Irgendwo in den USA: Fünf College-Studenten verabreden sich zu einem
spassigen Wochenende in einer abgelegenen Waldhütte. Manch ein
Kinogänger mag bereits jetzt ob der Prämisse die Augen verdrehen.
Sie, oder zumindest Variationen davon, wird inflationär genutzt und
ist dank nicht enden wollenden Franchisen wie Wrong Turn oder The Hills Have Eyes sattsam bekannt. Tatsächlich folgt, was
folgen muss: Als sich der sportliche Curt (Chris Hemsworth, bekannt
als Marvel-Superheld Thor), seine sexuell äusserst aktive
Freundin Jules (Anna Hutchison), die etwas keuschere Dana (Kristen
Connolly), der kluge Holden (Jesse Williams) sowie der Kiffer Marty
(der herrliche Fran Kranz) in der gruseligen Waldhütte, ausgestattet
mit knarrenden Fussböden und skurrilen Gemälden, eingerichtet
haben, springt plötzlich die Kellertür auf, woraufhin das Grauen
für die jungen Urlauber seinen Lauf nimmt. Vor einem allzu frühen
Urteil sei aber gewarnt, denn hinter den scheinbar eindimensionalen
Charakteren und den vermeintlich abgedroschenen Horrorelementen
steckt viel mehr, als man erwarten könnte.
Jede Inhaltsangabe von The Cabin in the Woods, dem Regiedebüt
von Cloverfield-Autor Drew Goddard, muss vage und
unbefriedigend sein, denn praktisch jedes verratene Detail ist dem
Filmgenuss abträglich. Goddard und Co-Autor Joss Whedon (The
Avengers, Firefly, Buffy the Vampire Slayer) steuern
das Publikum in die Sicherheit, das weitere Geschehen erahnen zu
können, nur um wieder einen Haken zu schlagen und die Geschichte in
eine ganz andere Richtung laufen zu lassen. Das ungemein effektive
Schauervehikel ist ein veritabler Kastenteufel, dem die
Überraschungen niemals auszugehen scheinen. Dies gilt auch für die
grandios konstruierte Atmosphäre – grosse Komplimente an Musik
(David Julyan) und Kamera (Peter Deming): Goddard inszeniert die
Schockeffekte optimal, lässt aber auch den morbid-lakonischen Humor
nicht ausser Acht. So ist der Film die ideale, von Alfred Hitchcock
so wunderbar beschriebene Horror-Achterbahn: Während der Fahrt wird
vor Angst geschrien; hinterher wird gelacht und eine zweite Runde
erwogen.
Dem Schrecken hilflos ausgeliefert: Studentin Dana (Kristen Connolly)
schwebt in Lebensgefahr.
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Doch das Duo Goddard und Whedon belässt es nicht dabei, der Welt
einen Horrorfilm zu bieten, der die gängigen Genre-Stereotypen
subversiert, der einen gefühl- und gehaltvollen Kontrapunkt zu
Folterpornos wie The Human Centipede oder Saw setzt –
ohne dabei allerdings auf spritzendes Blut und abgerissene
Gliedmassen zu verzichten. The Cabin in the Woods ist, ähnlich
wie Wes Cravens wegweisender Scream von 1996, eine raffinierte
Art von On-Screen-Filmkritik. Doch während Scream eine
Reaktion auf 15 Jahre Slasher-Kino à la Friday the 13th oder Halloween war, seziert Goddards Erstling das Horrorgenre in
seiner Gesamtheit. Das augenzwinkernde Aufgreifen der bekanntesten
Klischees sowie die zahlreichen Anspielungen – von The Shining
über The Texas Chainsaw Massacre und Hellraiser bis hin
zu It wird nichts ausgelassen – erfüllt letztendlich einen
Zweck, den zu verraten schlicht unmöglich ist.
Anders als Scream wird dieser bahnbrechende Schocker auch nicht
in die Sequel-Falle stolpern, da das brillante Ende jede Fortsetzung
ausschliesst. The Cabin in the Woods ist nicht nur ein nicht zu
bändigender Horrorfilm, der sein Genre auf den Kopf stellt, es
gleichzeitig bestätigt und neu erfindet, sondern auch, ganz
nebenbei, ein Höhepunkt des Kinojahres 2012.
★★★★★
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