Donnerstag, 13. September 2012

The Cabin in the Woods

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Perverse Sensationslust und stets wiederkehrende Klischees scheinen den zeitgenössischen Horrofilm zu lähmen, neue Ansätze sind Mangelware. Das soll sich nun ändern: Der revisionistische Schocker The Cabin in the Woods stellt das Genre auf den Kopf. Das Resultat: Ganz grosses Kino.

Irgendwo in den USA: Fünf College-Studenten verabreden sich zu einem spassigen Wochenende in einer abgelegenen Waldhütte. Manch ein Kinogänger mag bereits jetzt ob der Prämisse die Augen verdrehen. Sie, oder zumindest Variationen davon, wird inflationär genutzt und ist dank nicht enden wollenden Franchisen wie Wrong Turn oder The Hills Have Eyes sattsam bekannt. Tatsächlich folgt, was folgen muss: Als sich der sportliche Curt (Chris Hemsworth, bekannt als Marvel-Superheld Thor), seine sexuell äusserst aktive Freundin Jules (Anna Hutchison), die etwas keuschere Dana (Kristen Connolly), der kluge Holden (Jesse Williams) sowie der Kiffer Marty (der herrliche Fran Kranz) in der gruseligen Waldhütte, ausgestattet mit knarrenden Fussböden und skurrilen Gemälden, eingerichtet haben, springt plötzlich die Kellertür auf, woraufhin das Grauen für die jungen Urlauber seinen Lauf nimmt. Vor einem allzu frühen Urteil sei aber gewarnt, denn hinter den scheinbar eindimensionalen Charakteren und den vermeintlich abgedroschenen Horrorelementen steckt viel mehr, als man erwarten könnte.

Jede Inhaltsangabe von The Cabin in the Woods, dem Regiedebüt von Cloverfield-Autor Drew Goddard, muss vage und unbefriedigend sein, denn praktisch jedes verratene Detail ist dem Filmgenuss abträglich. Goddard und Co-Autor Joss Whedon (The Avengers, Firefly, Buffy the Vampire Slayer) steuern das Publikum in die Sicherheit, das weitere Geschehen erahnen zu können, nur um wieder einen Haken zu schlagen und die Geschichte in eine ganz andere Richtung laufen zu lassen. Das ungemein effektive Schauervehikel ist ein veritabler Kastenteufel, dem die Überraschungen niemals auszugehen scheinen. Dies gilt auch für die grandios konstruierte Atmosphäre – grosse Komplimente an Musik (David Julyan) und Kamera (Peter Deming): Goddard inszeniert die Schockeffekte optimal, lässt aber auch den morbid-lakonischen Humor nicht ausser Acht. So ist der Film die ideale, von Alfred Hitchcock so wunderbar beschriebene Horror-Achterbahn: Während der Fahrt wird vor Angst geschrien; hinterher wird gelacht und eine zweite Runde erwogen.

Dem Schrecken hilflos ausgeliefert: Studentin Dana (Kristen Connolly) schwebt in Lebensgefahr.
Doch das Duo Goddard und Whedon belässt es nicht dabei, der Welt einen Horrorfilm zu bieten, der die gängigen Genre-Stereotypen subversiert, der einen gefühl- und gehaltvollen Kontrapunkt zu Folterpornos wie The Human Centipede oder Saw setzt – ohne dabei allerdings auf spritzendes Blut und abgerissene Gliedmassen zu verzichten. The Cabin in the Woods ist, ähnlich wie Wes Cravens wegweisender Scream von 1996, eine raffinierte Art von On-Screen-Filmkritik. Doch während Scream eine Reaktion auf 15 Jahre Slasher-Kino à la Friday the 13th oder Halloween war, seziert Goddards Erstling das Horrorgenre in seiner Gesamtheit. Das augenzwinkernde Aufgreifen der bekanntesten Klischees sowie die zahlreichen Anspielungen – von The Shining über The Texas Chainsaw Massacre und Hellraiser bis hin zu It wird nichts ausgelassen – erfüllt letztendlich einen Zweck, den zu verraten schlicht unmöglich ist.

Anders als Scream wird dieser bahnbrechende Schocker auch nicht in die Sequel-Falle stolpern, da das brillante Ende jede Fortsetzung ausschliesst. The Cabin in the Woods ist nicht nur ein nicht zu bändigender Horrorfilm, der sein Genre auf den Kopf stellt, es gleichzeitig bestätigt und neu erfindet, sondern auch, ganz nebenbei, ein Höhepunkt des Kinojahres 2012.

★★★★★

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