Zum zweiten Mal nach Terry Gilliams grossartigem, von der Kritik zu
Unrecht gescholtenen Fear and Loathing in Las Vegas aus dem
Jahr 1998, schlüpft Johnny Depp in die Rolle eines Alter Egos von
Kultautor Hunter S. Thompson. Doch in Bruce Robinsons gleichnamiger
Verfilmung von dessen Roman The Rum Diary kommen sich allzu
polierte Nostalgie und der für den Schriftsteller so typische
dreckige Zynismus empfindlich in die Quere.
Puerto Rico, 1960: Der freischaffende Journalist Paul Kemp (Johnny
Depp) soll bei einer heruntergekommenen Zeitung der Inselhauptstadt
anfangen, auch wenn dem Chefredaktor (Richard Jenkins) Kemps
Lebensstil – wenig Schreibarbeit, viel Alkohol – gar nicht
behagt. Gemeinsam mit dem Fotografen Bob Sala (Michael Rispoli)
durchzecht der junge, mit viel Talent gesegnete Schreiberling die
Nächte. Bald trifft er den erfolgreichen Geschäftsmann Sanderson
(Aaron Eckhart), welcher mit zwielichtigen Immobilienhaien
zusammenarbeitet und Kemp als Hofjournalist anzuheuern versucht.
Dieser interessiert sich aber vor allem für Sandersons Freundin
Chenault (Amber Heard) – bis er mit Bob in Polizeigewahrsam kommt
und nur dank des Einflusses des Geschäftsmannes wieder freigelassen
wird.
Der Tod des amerikanischen Traums durch Gier, Arroganz und Dekadenz
war schon immer ein Lieblingsthema Hunter S. Thompsons, der seinem
Leben 2005 selber ein Ende setzte. In Fear and Loathing in Las
Vegas demonstrierte er dies mit Raoul Duke, der mit seinem
Freund, dem "Gonzo Doctor", durch die Retortenstadt in der
Wüste Nevadas streift und unter schwerem Drogeneinfluss zusieht, wie
der gemeine Bürger bereitwillig seine Taschen leert, um so reich zu
werden wie diejenigen, welche von diesem Paradox profitieren. In
Gilliams kongenialer, weil unangenehmer, dreckiger, überstilisierter
Kinoadaption verlieh Johnny Depp in einer seiner besten Rollen dem
wütenden Outlaw-Journalisten eine kraftvolle, nachhallende Stimme.
Schwierige Beziehung: Paul Kemp (Johnny Depp, rechts) mit seinem neuen Chef (Richard Jenkins). |
Diese Stimme greift Depp nun in The Rum Diary, bei dem er auch
als Co-Produzent fungierte, wieder auf, im übertragenen wie auch im
eigentlichen Sinne. Paul Kemp ist eine frühe Kreation Thompsons und
wirkt vielleicht deshalb wie eine sauberere, gesündere und weniger
fatalistische Version Dukes. Die scharfen Kommentare sind zwar auch
hier vorhanden – etwa wenn er gegen den imperialistischen Tourismus
der amerikanischen Mittelklasse wettert, gegen masslos überfütterte
Trampeltiere, welche in Puerto Rico zwischen Bowlingbahn und Hotel
pendeln –, doch sie werden von Regisseur Robinson (Autor von The
Killing Fields) verwässert. Die absurden Eskapaden, auf die sich
Kemp und Bob Sala einlassen, mögen stellenweise tatsächlich
ansprechend und unterhaltsam sein, ebenso die skurrilen Einschübe –
die von einer Rede Adolf Hitlers unterbrochene Sexszene ist ein
Höhepunkt –, doch mit der von zynischem Surrealismus geprägten
Prosa eines Hunter Thompson vertragen sich diese Elemente nur schwer.
Man könnte The Rum Diary als Versuch bezeichnen, den hinter
der Geschichte steckenden Zorn einem Mainstream-Publikum anzupreisen.
Dafür sprechen die von Dariusz Wolski (Pirates of the Caribbean,
Prometheus) wunderbar eingefangene, schwärmerisch-entrückte
Karibik-Szenerie, die allzu geradlinige Beziehung zwischen Paul und
Chenault, die auch in ihrem Schmutz noch poliert wirkenden Sets sowie
der einfach zu vermarktende Cast, der, insebsondere Richard Jenkins
und Michael Rispoli, ganze Arbeit leistet. Es ist spürbar, dass es
sich hierbei um eine Herzensangelegenheit des engagiert aufspielenden
Johnny Depp handelt. Zwar modelliert er seinen Tonfall nach Raoul
Duke, doch seine Tiraden wirken weniger nervös, weniger radikal,
besonnener und leider auch braver. Fear and Loathing in Las Vegas
hatte etwas zu sagen, The Rum Diary verzettelt sich beim
Versuch, das Gesagte massentauglich zu verpacken.
Paul in seinem Element. |
★★★
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