Donnerstag, 20. September 2012

Your Sister's Sister

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Minimalistische Kammerspiele sind die Spezialität der amerikanischen Indie-Regisseurin Lynn Shelton. Auch in ihrem jüngsten Film stellt sie ihr diesbezügliches Talent unter Beweis: Your Sister's Sister ist ein fesselndes wie berührendes Porträt dreier ungleicher Menschen.

Jack (Mark Duplass) steckt seit rund einem Jahr in einer Krise. Seit dem Tod seines Bruders Tom sieht er sich ausser Stande, einer geregelten Arbeit nachzugehen, geschweige denn sich richtig des Lebens zu erfreuen. Auf Anraten seiner besten Freundin Iris (Emily Blunt), zeitweise Toms Partnerin, verzieht er sich ins abgelegene Ferienhaus ihres Vaters, um sein Leben in den Griff zu bekommen. Dort angekommen, stösst er aber nicht nur auf fernseh- und internetlose Abgeschiedenheit, sondern auch auf Hannah (Rosemarie DeWitt), Iris' Schwester, die sich gerade von ihrer langjährigen Freundin Pam getrennt hat. Beim gemeinsamen Tequila-Trinken bietet die homosexuelle Hannah Jack Sex an; nach einigem Zögern geht er auf das Angebot ein. Als am nächsten Morgen Iris dem Haus einen Überraschungsbesuch abstattet, herrscht zunächst Freude, doch nach und nach drohen Fragen und Missverständnisse das gemütliche Beisammensein zu zerstören.

Eigentlich gehört das Inszenieren eines Langspielfilms, der überwiegend aus alltäglich anmutenden Gesprächen zwischen seinen Protagonisten besteht, zu den grössten Herausforderungen für einen Drehbuchautoren. Doch Lynn Shelton scheint dies nicht die geringste Mühe zu bereiten; lebensnahe Dialoge liegen ihr im Blut. Dies zeigte sie bei ihrem Durchbruch, der Mumblecore-Komödie Humpday, deren Dialog gänzlich improvisiert war, und nun auch in ihrem Nachfolgewerk. Your Sister's Sister dauert 90 Minuten und beinhaltet nichts als die verbalen Austausche und Auseinandersetzungen zwischen Jack, Iris und Hannah. Shelton steigert den Stil eines Mike Leigh in sein Extrem und verschmischt ihn mit der subtilen, urmenschlichen Komik von Filmen wie 50/50, Dan in Real Life oder (500) Days of Summer.

Auf die Freundschaft: Jack (Mark Duplass) erhält Besuch von seiner besten Freundin Iris (Emily Blunt).
Die Charaktere, um die Shelton dabei ihre Geschichte eines eher ungewöhnlichen Ménage à trois aufzieht, wirken dreidimensional, bekannt, aber doch irgendwie neu. Es sind Thirtysomethings aus dem liberalen Seattle; Jack lebt in den Tag hinein, Iris ist Designerin, Hannah lebt vegan. Sie sind späte Vertreter der Generation X, sie sind in den Achtziger- und Neunzigerjahren aufgewachsen, mit Grunge, Hip Hop und Indie, in der Zeit von MTV, als das Gefühl ewiger Jugend vorherrschte. Und nun sieht sich das Trio mit rein erwachsenen Konflikten konfrontiert: Beziehung, Vertrauen, Liebe und den damit verbundenden, stets einkalkulierten Risiken. Alle drei sind unvollkommene, auf eine oder andere Weise angeschlagene und eben deshalb nachvollziehbare und überaus sympathische Menschen; öffnen sich Gräben, offenbaren sich emotionale Tiefen, dann lässt das den Zuschauer nicht kalt.

Grosses vollbringen auch die Darsteller. Mark Duplass, der sich zuletzt als Regisseur (mit Bruder Jay: Cyrus, Jeff, Who Lives at Home) und Schauspieler (Humpday, Greenberg, Safety Not Guaranteed) in kleineren Produktionen einen Namen gemacht hat, brilliert als Jack – grossartig sein finaler selbstkritischer Monolog. Doch auch Rosemarie DeWitt und Emily Blunt, die sich hier nach ihrer eher peinlichen Darbietung in Salmon Fishing in the Yemen vollauf rehabilitiert, überzeugen als grundverschiedene Schwestern, welche sich gezwungen sehen, ihre Beziehung zu evaluieren und neu zu definieren. Your Sister's Sister ist grosses Kino im kleinen Rahmen.

★★★★

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