Minimalistische Kammerspiele sind die Spezialität der amerikanischen Indie-Regisseurin Lynn Shelton. Auch in ihrem jüngsten Film stellt sie ihr diesbezügliches Talent unter Beweis: Your Sister's Sister ist ein fesselndes wie berührendes Porträt dreier ungleicher Menschen.
Jack (Mark Duplass) steckt seit rund einem Jahr in einer Krise. Seit
dem Tod seines Bruders Tom sieht er sich ausser Stande, einer
geregelten Arbeit nachzugehen, geschweige denn sich richtig des
Lebens zu erfreuen. Auf Anraten seiner besten Freundin Iris (Emily
Blunt), zeitweise Toms Partnerin, verzieht er sich ins abgelegene
Ferienhaus ihres Vaters, um sein Leben in den Griff zu bekommen. Dort
angekommen, stösst er aber nicht nur auf fernseh- und internetlose
Abgeschiedenheit, sondern auch auf Hannah (Rosemarie DeWitt), Iris'
Schwester, die sich gerade von ihrer langjährigen Freundin Pam
getrennt hat. Beim gemeinsamen Tequila-Trinken bietet die
homosexuelle Hannah Jack Sex an; nach einigem Zögern geht er auf das
Angebot ein. Als am nächsten Morgen Iris dem Haus einen
Überraschungsbesuch abstattet, herrscht zunächst Freude, doch nach
und nach drohen Fragen und Missverständnisse das gemütliche
Beisammensein zu zerstören.
Eigentlich gehört das Inszenieren eines Langspielfilms, der
überwiegend aus alltäglich anmutenden Gesprächen zwischen seinen
Protagonisten besteht, zu den grössten Herausforderungen für einen
Drehbuchautoren. Doch Lynn Shelton scheint dies nicht die geringste
Mühe zu bereiten; lebensnahe Dialoge liegen ihr im Blut. Dies zeigte
sie bei ihrem Durchbruch, der Mumblecore-Komödie Humpday,
deren Dialog gänzlich improvisiert war, und nun auch in ihrem
Nachfolgewerk. Your Sister's Sister dauert 90 Minuten und
beinhaltet nichts als die verbalen Austausche und
Auseinandersetzungen zwischen Jack, Iris und Hannah. Shelton steigert
den Stil eines Mike Leigh in sein Extrem und verschmischt ihn mit der
subtilen, urmenschlichen Komik von Filmen wie 50/50, Dan in
Real Life oder (500) Days of Summer.
Auf die Freundschaft: Jack (Mark Duplass) erhält Besuch von seiner
besten Freundin Iris (Emily Blunt).
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Die Charaktere, um die Shelton dabei ihre Geschichte eines eher
ungewöhnlichen Ménage à trois aufzieht, wirken dreidimensional,
bekannt, aber doch irgendwie neu. Es sind Thirtysomethings aus dem
liberalen Seattle; Jack lebt in den Tag hinein, Iris ist Designerin,
Hannah lebt vegan. Sie sind späte Vertreter der Generation X, sie
sind in den Achtziger- und Neunzigerjahren aufgewachsen, mit Grunge,
Hip Hop und Indie, in der Zeit von MTV, als das Gefühl ewiger Jugend
vorherrschte. Und nun sieht sich das Trio mit rein erwachsenen
Konflikten konfrontiert: Beziehung, Vertrauen, Liebe und den damit
verbundenden, stets einkalkulierten Risiken. Alle drei sind
unvollkommene, auf eine oder andere Weise angeschlagene und eben
deshalb nachvollziehbare und überaus sympathische Menschen; öffnen
sich Gräben, offenbaren sich emotionale Tiefen, dann lässt das den
Zuschauer nicht kalt.
Grosses vollbringen auch die Darsteller. Mark Duplass, der sich
zuletzt als Regisseur (mit Bruder Jay: Cyrus, Jeff, Who
Lives at Home) und Schauspieler (Humpday, Greenberg, Safety Not Guaranteed) in kleineren Produktionen einen Namen
gemacht hat, brilliert als Jack – grossartig sein finaler
selbstkritischer Monolog. Doch auch Rosemarie DeWitt und Emily Blunt,
die sich hier nach ihrer eher peinlichen Darbietung in Salmon
Fishing in the Yemen vollauf rehabilitiert, überzeugen als
grundverschiedene Schwestern, welche sich gezwungen sehen, ihre
Beziehung zu evaluieren und neu zu definieren. Your Sister's
Sister ist grosses Kino im kleinen Rahmen.
★★★★
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