Noch
vor wenigen Jahren füllte Ben Affleck mit seiner Beziehung zu
Jennifer Lopez die Spalten der Klatschpresse – "Bennifer"
war das gängige Portemanteau. Heute gilt er als einer der besten
Regie-Quereinsteiger, ein Ruf, den er in seinem dritten Film virtuos
bestätigt. Argo ist
ein spannender, vorzüglich in Szene gesetzter Blick auf eine
skurrile Episode der jüngeren amerikanischen Geschichte.
Teheran, 1979: Der mit eiserner Faust regierende persische Schah
Mohammed Reza Pahlavi wird während der islamischen Revolution
gestürzt und muss sich ins Exil in die USA begeben. Da die Regierung
Jimmy Carters sich weigert, den Monarchen an den Iran auszuliefern,
richtet sich der Zorn der Getreuen des Ayatollah Khomeini gegen die
Botschaft der Vereinigten Staaten in Teheran. Ein wütender Mob
stürmt das Gebäude und nimmt 52 Angestellte als Geislen. Sechs
US-Diplomaten jedoch können ihren Häschern durch eine Hintertür
entwischen und suchen Zuflucht in der kanadischen Botschaft. Für die
CIA drängt die Zeit: Das Sextett muss aus dem Iran ausgeflogen
werden, bevor die Revolutionstruppen ihr Fehlen bemerken. Agent Tony
Mendez (Ben Affleck) hat die womöglich rettende Idee: Die
entkommenen Diplomaten sollen als kanadisches Filmteam getarnt und
unverdächtig nach Hause geholt werden. Nachdem Mendez seinen
Vorgesetzten (Bryan Cranston) von der ungewöhnlichen Strategie
überzeugt hat, macht er sich sofort an die Arbeit: Maskenbildner
John Chambers (John Goodman) und Produzent Lester Siegel (Alan Arkin)
werden engagiert, um dem fiktiven Filmprojekt einen glaubwürdigen
Hintergrund zu verschaffen.
Ein nahöstlich aussehender Mann wird in einer amerikanischen Stadt
von einer wütenden Menge eingekreist, hilflos und verängstigt
blickt er drein, Gefahr geht offensichtlich keine von ihm aus.
Dennoch schreien die Menschen auf ihn ein, einer schlägt ihn zu
Boden, tritt unter ermunternden Zurufen auf ihn ein. Man denkt an
Brandanschläge auf Moscheen im Herzen Amerikas, an psychisch
Gestörte, die das Feuer auf Sikhs eröffnen, weil deren Turbane sie
irritieren. Die Szene könnte aus der Gegenwart stammen – vielleicht
gespielt, denn Xenophobie äussert sich heutzutage in der Regel ja
nicht mehr dermassen öffentlich –, wäre da nicht die unverwechselbare
Kleider- und Haarmode. Was Ben Affleck auf einem Fernsehbildschirm
zeigt, ist eine Fernsehaufnahme aus dem Jahr 1979 und sie zeigt den
ersten grossen Ausbruch amerikanischer Islamophobie.
Vorbereitung im Hollywood-Stil: CIA-Agent Tony Mendez (Ben Affleck, rechts) mit Produzent Lester Siegel (Alan Arkin, Mitte) und Maskenbildner John Chambers (John Goodman). |
Tatsächlich ist Argo noch vor seinen zahlreichen filmischen
Tugenden ein Meisterstück an zeitgeschichtlicher Kontextualisierung.
Anders als vergleichbare Werke zum Thema setzt er – in einer
grossartigen, im Stile eines Storyboards inszenierten Eingangssequenz
– in den Fünfzigerjahren an und ergänzt das "Die USA wurde
von religiösen Fanatikern angegriffen"-Narrativ um einige
essentielle Komponenten: die Wahl des säkularen Mohammed Mossadegh
zum iranischen Premierminister 1951, seine Umstrukturierung des
Ölhandels, seinen durch die USA orchestrierten Sturz und die darauf
folgende, von Präsident Eisenhower abgesegnete Diktatur Reza
Pahlavis. Ohne grossen Aufwand gelingt es Ben Affleck in wenigen
Augenblicken, viel über die heutige Beziehung zwischen Amerika und
dem muslimisch geprägten Nahen Osten zu sagen. Es ist die Effizienz
eines Regisseurs, der das Zeug dazu hat, dereinst in die Fussstapfen
Clint Eastwoods oder Martin Scorseses zu treten.
Es bedurfte eines besonderen Talents, ein Projekt wie Argo
stilsicher zur Vollendung zu bringen. Der Film ist eine innerlich
zerrissene Angelegenheit, irgendwo zwischen Good Night, and Good
Luck und Charlie Wilson's War; er muss die ernste Prämisse
mit den leichteren Elementen, insbesondere der verschmitzten
Hollywood-Persiflage ("You could teach a rhesus monkey to direct
in a day"), in Einklang bringen. Und tatsächlich hat es Affleck
irgendwie geschafft, die ernsthaften Töne das Geschehen dominieren
zu lassen – vor seiner Übernahme des Projekts hätte der Streifen
eine Komödie sein sollen –, ohne dabei den Humor ganz zu
verdrängen. Während in Teheran die Schüsse fallen und die
Botschaftsangestellten psychischer Folter ausgesetzt sind, necken
sich in Los Angeles die ungemein spielfreudigen John Goodman und Alan
Arkin gegenseitig, lässt sich in Washington Bryan Cranston über die
Regierenden aus ("It's like talking to those two old fucks from
the Muppets"). Was unbeholfen und geschmacklos wirken sollte,
funktioniert wundersamerweise ohne grössere Probleme.
An Ort und Stelle: Mendez mit den geflohenen Diplomaten auf dem Teheraner Markt. |
Zentral in der Vision von Affleck und seinem Drehbuchautoren Chris
Terrio sind dabei die Siebzigerjahre, dramaturgisch wie ästhetisch.
Die geheime Mission des Tony Mendez fesselt, mit ganz wenigen
Abstrichen, vom grandiosen ersten Akt bis zum atemlosen Höhepunkt
auf dem Teheraner Flughafen, mutet aber zu keinem Zeitpunkt
überhastet oder gar verwirrend an. Argo zeigt auf virtuose
Art und Weise, welches Potential harten Fakten innewohnen kann;
Erinnerungen an Alan J. Pakulas Meisterwerk All the President's
Men sind durchaus angebracht, auch im Bereich von Bildgestaltung
und Mise en scène. Nicht genug damit, dass der Zuschauer zu Beginn
von einem gut 40 Jahre alten Warner-Bros.-Emblem begrüsst wird, der
Film hält, was sein Vorspann verspricht: atmosphärisch körniges
Bild – Affleck liess die Originalaufnahmen um zweihundert Prozent
vergrössern –, hervorragende Szenenbilder, stimmige Kostüme. Vor
dem zu Recht für seine Epochentreue gelobten Tinker Tailor
Soldier Spy muss sich Argo wahrlich nicht verstecken.
Keine Verschwörungstheorien, keine "Was wäre, wenn"-Fantasien,
keine parteiische Interpretation des Geschehenen, bloss ein
schlichtes "Based on a true story" und ein kurzes Statement
von Ex-Präsident Carter genügen Affleck, um einen Schlusspunkt
unter seine dritte Regiearbeit zu setzen. Mit kühler Zurückhaltung,
intellektueller Bescheidenheit und viel Liebe zum Detail erzählt
Argo eine jener Geschichten, die nur das Leben selbst
schreiben kann.
★★★★
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