Ein gutes Jahr, nachdem er mit dem zahnlosen Potiche einen nur
mässig gelungenen Ausflug ins Fach der reinen Komödie unternommen
hat, kehrt der renommierte französische Regisseur François Ozon nun
zu seinem Kerngeschäft zurück. Dans la maison, ein bissiger
Rundumschlag gegen die Marotten von Bourgeoisie und
Möchtegern-Bohème, ist sein bestes Werk seit Jahren.
Kurz vor dem Ende der Sommerferien begibt sich der Französischlehrer
Germain (Fabrice Luchini) ins Lycée Gustave Flaubert zur jährlichen
Startkonferenz. Dort kündigt der Rektor an, das Gymnasium sei
auserwählt worden, in einem Pilotprojekt das neueste pädagogische
Mittel zu erproben: Schuluniformen. Wider Erwarten stösst das
antiquierte Konzept nicht auf auf wütende Proteste, sondern eher
desinteressiertes Schulterzucken, unter Lehrern und Schülern
gleichermassen. So hat Germain zu Beginn des Schuljahres auch andere
Sorgen: Seine neuen Zöglinge sind ein schreibfauler, ungebildeter
Haufen, von denen, wie der frustrierte Pauker konstatiert, "kaum
einer zwei gerade Sätze zu Papier bringt". Die Ausnahme bildet
Claude (Ernst Umhauer), der in seinem eloquenten Aufsatz davon
berichtet, wie er das Haus eines Freundes erkundet und sich dabei
speziell für die Dame des Hauses (Emmanuelle Seigner) interessiert.
Der Text endet mit einem schlichten "A suivre" –
Fortsetzung folgt. Der Lehrer ermuntert den Schüler, die Geschichte
weiterzuentwickeln. Während Germain und seine Frau (Kristin Scott
Thomas) die weiteren Episoden richtiggehend verschlingen, werden
Claudes Abenteuer immer gewagter. Aber das Ganze ist
selbstverständlich nur Fiktion, oder?
Die Stärken und Schwächen François Ozons gehen oft Hand in Hand.
Sein Stil ist unverkennbar: klare Farbgebung, manchmal knallig,
manchmal schlicht; stilisierte, ja geradezu künstliche Erzählungen;
in sich geschlossene Handlungsräume; unterschwellig erotische
Spannungen, oft ausserhalb der gesellschaftlichen Norm; immer eine
satirische Komponente. Mitunter funktioniert dies gut (Sous le
sable, Swimming Pool), hin und wieder klappt es trotz
arger Überzeichnung (8 femmes), mal ist die Angelegenheit
schlicht zu überladen, zu künstlich, zu pastellfarben, um zu
überzeugen (Potiche).
Literarische Abenteuer: Claude (Ernst Umhauer) nähert sich der Mutter (Emmanuelle Seigner) seines Freundes an. |
Entsprechend erfreulich ist die Erkenntnis, dass sich der Regisseur
der "Nouvelle Nouvelle Vague" in Dans la maison auf
der Höhe seines Könnens befindet. Selten ist Ozon die Mischung aus
Satire, Gesellschaftskritik, Charakterkomik, Handlung und
Inszenierung so gut gelungen, kaum je fiel das Zusammenspiel des
scheinbar leicht verdaulichen Inhalts und des gnadenlosen Subtexts so
harmonisch aus. Auf den ersten Blick wirkt der Film harmlos,
vielleicht nicht so putzig wie 8 femmes oder Potiche,
aber sicher leichter als Swimming Pool. Unter der Fassade
schlummert jedoch eine kleine, gemeine, bitterböse Abrechnung mit
dem Selbstbetrug, den Heucheleien, den Unzulänglichkeiten der
modernen Pädagogik – Schüler sind nicht mehr "élèves",
sondern "apprenants", Prüfungen werden in grün
korrigiert, denn rot ist "menaçant" – und der
Bourgeoisie als solcher.
Dieses urfranzösische Motiv, welches jüngst auch in der
Theaterverfilmung Le prénom aufgegriffen wurde, weiss Ozon
äusserst elegant in seine Erzählung einfliessen zu lassen, welche
sich an der Oberfläche – im Gegensatz zu The Words durchaus
erfolgreich – mit der Macht der Worte auseinandersetzt, wobei
Germain die Rolle des Shahryar, Claude die der Scheherazade,
einnimmt. Die Bourgeoisie in Dans la maison ist eine, die sich
in vielen Formen zeigt und dementsprechend auf unterschiedliche
Weisen angegangen wird. Germain möchte ein "Artiste" der
Bohème sein, kann die Ambition aber mangels Schreibtalent nicht
erfüllen und ist darüber hinaus auch noch mit einer Galeristin
verheiratet, deren Sexpuppen-Exponate er weder versteht noch gut
heisst. Claude hingegen schreibt in seinem Porträt der Familie
Artole den Durchschnitt gross: "Normal" sei die Sippe,
"Musterbeispiele der Mittelklasse". Es klingt nicht wie ein
Kompliment. Zu guter Letzt ortet Ozon die Bourgeoisie auch in der
Politik. Seine Anfangsmontage, in welcher er Hunderte von Schülern –
europäisch, nord- und südafrikanisch, asiatisch – in ihren
Uniformen mittels Jump Cuts zeigt, ist so virtuos wie sprechend:
Bourgeoise Anpassung ist eine Illusion.
Blattkritik: Lehrer Germain (Fabrice Luchini) berät den Schreiberling. |
Gezeigt werden diese Aspekte mit komödiantischen Einschlägen,
welche versuchen, eine realistische Alternative zu Luis Buñuel
darzustellen; mit schöner Regelmässigkeit beruft sich der Film auch
auf das Chabrol'sche Psychodrama; in gewissen Momenten schwingt sogar
eine Spur von Michael Haneke mit; in einer Szene verneigt sich Ozon
obendrein vor Woody Allens düsterer Gesellschaftssatire Match
Point. Zwar droht das ganze wunderbar geschliffene, sorgfältig
aufgebaute Gebilde im letzten Akt auseinanderzufallen, doch genau
dann wird der Wert eines guten Casts erkennbar. Fabrice Luchinis
Darbietung pendelt stets zwischen der leichten Muse und der grossen
Tragödie und erreicht in Germains finalem psychischen Bankrott ihren
Höhepunkt.
Der perfekte Film mag François Ozon noch immer nicht gelungen sein,
doch Dans la maison ist zweifellos ein bedeutender Schritt in
die richtige Richtung. Nie war seine Kritik an der Bourgeoisie
kraftvoller als im rabenschwarzen Schlussbild des Films, in dem sich
die in ihre Einzelteile aufgespaltene Mittelklasse wortwörtlich
selbst zerstört. Claude Chabrol wäre stolz.
★★★★
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