Dass eines der Kultwerke der Beat-Generation, Jack Kerouacs
autobiografischer Roman On the Road aus dem Jahr 1957, als
"unverfilmbar" gilt, ist nicht der einzige Grund, warum
Walter Salles' Adaption verhältnismässig viel Aufmerksamkeit
erhält. Denn eine Kinoverfilmung ist bereits seit 55 Jahren in
Planung, Namen wie Marlon Brando, Francis Ford Coppola, Gus Van Sant,
Joel Schumacher, Brad Pitt, Colin Farrell und Ethan Hawke wurden über
die Jahrzehnte mit dem Projekt assoziiert. Die mehr als ein halbes
Jahrhundert dauernde Pre-Production merkt man dem Film kaum an. Im
Gegenteil: On the Road lässt das Gefühl vermissen, auf
grosser Literatur zu basieren.
USA, 1947: Der Tod seines Vaters stürzt den
Möchtegern-Schriftsteller Sal Paradise (Sam Riley) in eine Lebens-
und Schaffenskrise. Hilfe erhält er aus ungewöhnlicher Quelle: Sein
Freund Carlo Marx (Tom Sturridge) stellt ihm den rebellischen Dean
Moriarty (Garrett Hedlund) und dessen erst 16-jährige Ehefrau
Marylou (Kristen Stewart) vor. Die beiden Lebenskünstler faszinieren
den eher häuslichen Sal und er macht sich mit ihnen auf, die grosse
Weite Amerikas zu durchqueren. Frei nach dem Motto "Sex, Drugs,
and Bebop-Jazz" erkunden die Taugenichtse in mehreren Etappen,
über mehrere Jahre hinweg, mal zusammen, mal getrennt, das Land,
treffen auf Verbündete und Gleichgesinnte wie etwa den exzentrischen
Autor Old Bull Lee (Viggo Mortensen) und ertragen Deans Hin und Her
zwischen Marylou und Camille (Kirsten Dunst). Derweil macht sich Sal
eifrig Notizen, denn den Traum vom grossen amerikanischen Roman hat
er noch nicht aufgegeben.
Die Bedeutung von On the Road liegt bekanntermassen in zwei
Aspekten: Zum einen wäre da Kerouacs Prosa, welche der literarischen
Beat-Kunst praktisch im Alleingang eine Stimme gab. Sie begründete,
was Ginsberg und Burroughs in Howl und Naked Lunch zur
Vollendung bringen sollten. Zum anderen ist das Buch ein essentielles
Stück Kulturgeschichte; es erzählt von der grossen Zeitenwende nach
Wirtschaftskrise und Weltkrieg, als die junge, desillusionierte
College-Generation – zu jung um gekämpft zu haben, zu alt, um als
Kinder zu gelten – nach neuen Ausdrucksformen suchte. On the
Road schlägt die Brücke zwischen Amerikas erster Hälfte des
20. Jahrhunderts, die mit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki
zu Ende ging, und der zweiten, welche um 1950 ihren Anfang nahm.
Schreiberling Sal (Sam Riley, links) und der rebellische Dean (Garrett Hedlund) ziehen gemeinsam durch die USA. |
Walter Salles (Diarios de motocicleta) ist sich beider
Tatsachen bewusst. Oft zitiert er das Original Wort für Wort, er
lässt die Inkarnationen von Kerouacs Mitstreitern Allen Ginsberg
(Carlo Marx) und William S. Burroughs (Bull Lee) ihr Schaffen
selbstreflexiv kommentieren – "I'm 21. When I'm 23, I'm gonna
write one big poem", so etwa Carlo –, der Plot ist fast
sklavisch der Vorlage unterworfen. Stimmig wirkt dies nicht immer. Um
dem Sinn und Geist des Autors gerecht zu werden, opfern Salles und
Drehbuchverfasser José Rivera die Stringenz, das Ganze wirkt
episodenhaft und unausgeglichen. Beziehungen werden eingeführt, nur
um gleich wieder von der Bildfläche zu verschwinden; wie genau es
zur Freundschft zwischen Sal und Dean kommt, bleibt ebenso offen wie
der Zweck von den unnötigen – obgleich schauspielerisch
ansprechenden – Gastauftritten von Steve Buscemi und Amy Adams.
Besser schneidet On the Road beim Versuch ab, den
Subkultur-Zeitgeist einzufangen. Zwar erweist sich die Palette der
Darsteller als unterschiedlich begnadet, wobei mitunter das Gefühl
entsteht, man wohne einer Retro-Kostümparty bei. Kristen Stewart und
Kirsten Dunst lassen Tiefgang vermissen, während sich Sam Riley, der
nach Ian Curtis in Control wieder eine Ikone der Gegenkultur
spielen darf, und vor allem Garrett Hedlund wacker schlagen.
Glücklicherweise machen die Bilderwelten von Kameramann Éric
Gautier viele der erzählerischen Mängel des Films wett. Fast jede
Einstellung ist ein kleines Sepia-Kunstwerk – vor allem dann, wenn
die streckenweise irritierend hektische Kamera einmal innehält.
Mithilfe der stilsicheren Ausstattung gelingt es Salles und Gautier,
eine effektive Atmosphäre bittersüsser Nostalgie zu konstruieren.
Die Schatten der Vergangenheit sind noch nicht überwunden – auf
den Feldern Kaliforniens stehen die Schwarzen und pflücken Baumwolle
–, doch die Nuclear Family der sich anbahnenden Fünfzigerjahre
kündigt sich bereits auf Werbetafeln im unbebauten Niemandsland an.
"My life on the road": Sal bringt seine Erlebnisse zu Papier. |
In diesem Rahmem wird noch einmal die letzte grosse Ära
amerikanischer Wanderlust zelebriert. Sal, Dean und Marylou bewegen
sich von Algiers, Louisiana, nach San Francisco, von Willcox,
Arizona, nach Denver und New York; die USA, von der Kleinstgemeinde
bis zur Wolkenkratzer-Metropole, werden abgelaufen und -gefahren.
Bewohnt wird das Land von einem grundverschiedenen Volk, ethnisch –
in einer der besten Szenen brüstet sich Dean damit, dass seine
Tochter englisches, deutsches, irisches, holländisches und
schottisches Blut in sich trägt ("100 per cent wonderful")
–, aber auch ideologisch, womit On the Road auch
hervorragend ins heutige Amerika passt. Der Film spielt in einer
romantisierten Zeit, in der ein gebildeter Schreiberling wie Sal von
einem Pick-Up-Truck aus Iowa nicht nur als Anhalter mitgenommen wird,
sondern von den ebenfalls mitreisenden Hinterwäldlern aufs
Herzlichste empfangen wird.
Es fällt schwer, den Vergleich zwischen Walter Salles' Film und der
aktuellen Adaption von The Rum Diary nicht zu bemühen, nicht
zuletzt, weil Ersterer Sal als eine Art Prototyp von Hunter Thompson
inszeniert. Beide versuchen sich an einem Koloss der amerikanischen
Untergrundliteratur, beide gehen die Sache zu zahm an. On the Road
begeht keineswegs Verrat an Jack Kerouacs Meisterstück, doch er
verpasst es, dem Werk ein substantielles filmisches Denkmal zu
setzen. Er zieht vorbei, ohne Spuren zu hinterlassen.
★★★
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