Die amerikanische High School dient zahllosen Filmen und
Fernsehserien als Schauplatz, doch nur wenige sind in der Lage, sie
stimmig und lebensnah einzufangen. Die begeisternde Buchverfilmung The Perks of Being a Wallflower bildet eine menschlich
berührende, ehrliche Ausnahme.
1385 Tage. So viele High-School-Tage muss Charlie (der hervorragende
Logan Lerman) bis zum Abschluss hinter sich bringen, so seine
Rechnung am ersten Tag an der neuen Schule. Auf den ersten Blick ist
er ein ganz normaler Teenager der frühen Neunzigerjahre: Mit seiner
Schwester Candace (Nina Dobrev) und seinen Eltern lebt er in einem
Vorstadthaus nahe Pittsburgh, Pennsylvania; er ist unauffällig und
macht keine Probleme. Hinter ihm liegt jedoch eine Vergangenheit
voller psychischer Probleme und Traumata; das letzte – der
Selbstmord eines guten Freundes – liegt nur ein Jahr zurück.
Entsprechend nervös verhält er sich auf der neuen Schule, wo ihn
nicht nur seine alten Kameraden, sondern auch Candace ignorieren,
während die älteren Schüler ihn nach allen Regeln der Kunst
piesacken. Einzig ein Englischlehrer (Paul Rudd) erkennt das
Potential des Jungen. Dann aber lernt Charlie den schwulen
Exzentriker Patrick (Ezra Miller, auf seiner beeindruckenden Leistung
in We Need to Talk About Kevin aufbauend) und dessen
Stiefschwester Sam (der ehemalige Harry Potter-Star Emma
Watson, der eine rosige Zukunft im Schauspielfach winkt) kennen.
Beide sind in ihrem letzten High-School-Jahr, nehmen den
intelligenten Charlie aber trotzdem bald in ihre "Gruppe der
Mauerblümchen" auf. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich
akzeptiert und aufgenommen. Doch seine seelischen Wunden sind noch
nicht verheilt.
Geht es um Pubertät, das Ende der Jugend, die letzte Etappe vor der
Universität, dann schiessen in Hollywood die Klischees ins Kraut,
selbst wenn viele davon nicht einmal annähernd zutreffen. Selten
gelingt es einem Regisseur, sein Projekt vor überstilisierter
Nostalgie oder abgedroschenen Stereotypen zu bewahren. Dass
ausgerechnet Stephen Chbosky für die Alternative zeichnet – eine
Geschichte, in welcher Schüler wie Erwachsene dreidimensionale
Menschen sind –, ist keine Überraschung: The Perks of Being a
Wallflower basiert auf dem gleichnamigen, 1999 veröffentlicheten
Briefroman, für dessen Lebensechtheit der Autor, Chbosky selbst,
frenetisch gefeiert wurde
Sei ein Sonderling und sei stolz darauf: Charlie (Logan Lerman,
links), Patrick (Ezra Miller) und Sam (Emma Watson) – die "Mauerblümchen".
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In seiner Adaption nimmt sich der 42-Jährige Neo-Klassiker der
Neunziger-Popkultur wie Richard Linklaters Dazed and Confused
oder die TV-Serie Daria wie auch neuere Werke, darunter Gus Van
Sants Restless oder Drew Barrymores Whip It, zum Vorbild
und liefert eine Coming-of-Age-Tragikomödie, in der witzige
Eigenheiten und ernste Elemente Hand in Hand gehen. Die Ängste und
Nöte der jungen Generation werden nicht bloss angetönt; sie bilden
das Rückgrat der Erzählung. Mal enden Drogenexperimente in
harmlosen Peinlichkeiten, mal im Krankenhaus. Charlie muss
mitansehen, wie sich seine beste Freundin in einen anderen verliebt.
Patricks Beziehung zum Footballstar der Schulmannschaft wird von
dessen Furcht vor einem Coming Out überschattet. Sam hat, obwohl
noch keine 20, schwere Probleme mit Männern und Alkohol hinter sich.
Chbosky inszeniert die Jugendzeit zwar mit bittersüsser Romantik,
ist sich ihrer wahren Natur aber stets vollauf bewusst – siehe
Charlies herausragende finale Ode. Es ist eine flüchtige,
mysteriöse, faszinierende, schreckliche, wunderschöne Zeit, in der
sich jeder der mitunter fatalen Illusion des Erwachsenseins hingibt. The Perks of Being a Wallflower ist einer jener Filme, von
denen man sich wünscht, sie würden häufiger gemacht.
★★★★
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