Donnerstag, 15. November 2012

The Perks of Being a Wallflower

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Die amerikanische High School dient zahllosen Filmen und Fernsehserien als Schauplatz, doch nur wenige sind in der Lage, sie stimmig und lebensnah einzufangen. Die begeisternde Buchverfilmung The Perks of Being a Wallflower bildet eine menschlich berührende, ehrliche Ausnahme.

1385 Tage. So viele High-School-Tage muss Charlie (der hervorragende Logan Lerman) bis zum Abschluss hinter sich bringen, so seine Rechnung am ersten Tag an der neuen Schule. Auf den ersten Blick ist er ein ganz normaler Teenager der frühen Neunzigerjahre: Mit seiner Schwester Candace (Nina Dobrev) und seinen Eltern lebt er in einem Vorstadthaus nahe Pittsburgh, Pennsylvania; er ist unauffällig und macht keine Probleme. Hinter ihm liegt jedoch eine Vergangenheit voller psychischer Probleme und Traumata; das letzte – der Selbstmord eines guten Freundes – liegt nur ein Jahr zurück. Entsprechend nervös verhält er sich auf der neuen Schule, wo ihn nicht nur seine alten Kameraden, sondern auch Candace ignorieren, während die älteren Schüler ihn nach allen Regeln der Kunst piesacken. Einzig ein Englischlehrer (Paul Rudd) erkennt das Potential des Jungen. Dann aber lernt Charlie den schwulen Exzentriker Patrick (Ezra Miller, auf seiner beeindruckenden Leistung in We Need to Talk About Kevin aufbauend) und dessen Stiefschwester Sam (der ehemalige Harry Potter-Star Emma Watson, der eine rosige Zukunft im Schauspielfach winkt) kennen. Beide sind in ihrem letzten High-School-Jahr, nehmen den intelligenten Charlie aber trotzdem bald in ihre "Gruppe der Mauerblümchen" auf. Zum ersten Mal in seinem Leben fühlt er sich akzeptiert und aufgenommen. Doch seine seelischen Wunden sind noch nicht verheilt.

Geht es um Pubertät, das Ende der Jugend, die letzte Etappe vor der Universität, dann schiessen in Hollywood die Klischees ins Kraut, selbst wenn viele davon nicht einmal annähernd zutreffen. Selten gelingt es einem Regisseur, sein Projekt vor überstilisierter Nostalgie oder abgedroschenen Stereotypen zu bewahren. Dass ausgerechnet Stephen Chbosky für die Alternative zeichnet – eine Geschichte, in welcher Schüler wie Erwachsene dreidimensionale Menschen sind –, ist keine Überraschung: The Perks of Being a Wallflower basiert auf dem gleichnamigen, 1999 veröffentlicheten Briefroman, für dessen Lebensechtheit der Autor, Chbosky selbst, frenetisch gefeiert wurde

Sei ein Sonderling und sei stolz darauf: Charlie (Logan Lerman, links), Patrick (Ezra Miller) und Sam (Emma Watson) – die "Mauerblümchen".
In seiner Adaption nimmt sich der 42-Jährige Neo-Klassiker der Neunziger-Popkultur wie Richard Linklaters Dazed and Confused oder die TV-Serie Daria wie auch neuere Werke, darunter Gus Van Sants Restless oder Drew Barrymores Whip It, zum Vorbild und liefert eine Coming-of-Age-Tragikomödie, in der witzige Eigenheiten und ernste Elemente Hand in Hand gehen. Die Ängste und Nöte der jungen Generation werden nicht bloss angetönt; sie bilden das Rückgrat der Erzählung. Mal enden Drogenexperimente in harmlosen Peinlichkeiten, mal im Krankenhaus. Charlie muss mitansehen, wie sich seine beste Freundin in einen anderen verliebt. Patricks Beziehung zum Footballstar der Schulmannschaft wird von dessen Furcht vor einem Coming Out überschattet. Sam hat, obwohl noch keine 20, schwere Probleme mit Männern und Alkohol hinter sich.

Chbosky inszeniert die Jugendzeit zwar mit bittersüsser Romantik, ist sich ihrer wahren Natur aber stets vollauf bewusst – siehe Charlies herausragende finale Ode. Es ist eine flüchtige, mysteriöse, faszinierende, schreckliche, wunderschöne Zeit, in der sich jeder der mitunter fatalen Illusion des Erwachsenseins hingibt. The Perks of Being a Wallflower ist einer jener Filme, von denen man sich wünscht, sie würden häufiger gemacht.

★★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen