Für das Kunstatelier Court 13 war 2012 ein gutes Jahr, gehört doch das Langspielfilmdebüt seines Mitbegründers Benh Zeitlin zu den erfolgreichsten Indie-Produktionen des Jahres. Beasts of the Southern Wild ist zwar kein neuer amerikanischer Klassiker, doch Zeitlins romantische Vision vermag dennoch zu verzaubern.
Irgendwo im Mississippi-Delta, im Süden des US-Bundesstaats
Louisiana, liegt "The Bathtub", eine kleine, durch einen
künstlichen Deich von der Aussenwelt abgeschottete Gemeinde. Die
Bewohner sind Selbstversorger; sie fischen Baumaterial aus dem
Wasser, halten sich Hühner und anderes Geflügel, fangen Fische und
Krebse mit blossen Händen. Steht ein Sturm bevor, wird gefeiert. In
diesem Umfeld lebt die kleine, naturverbundene Hushpuppy (Quvenzhané
Wallis) mit ihrem Vater Wink (der grossartige Dwight Henry), der
schwer erkrankt ist, dies aber vor seiner Tochter geheim halten will.
Als durch das Schmelzen der arktischen Polkappen ein gewaltiger Sturm
über The Bathtub hereinbricht, sehen sich Hushpuppy, Wink und ihre
Freunde einer Gefahr ausgesetzt, welche über die gewohnten
Überschwemmungen hinausgeht: Aus dem Eis sind monströse
Urzeit-Untiere ausgebrochen.
Es ist eine anachronistische Gesellschaft, die Benh Zeitlin in seinem
Film besingt. Das Bathtub-Bayou wird bevölkert von Menschen, welche
scheinbar aus der amerikanischen Folklore angespült wurden:
Frauenkleider tragende Sonderlinge, wie sie in einer Show von P. T.
Barnum hätten auftreten können; sesshaft gewordene Hobos;
liebenswerte Trunkenbolde; weise schwarze Frauen – Beasts of the
Southern Wild lässt die Südstaaten Mark Twains und William
Faulkners noch einmal aufleben und inszeniert sie gleichzeitig als
ein modernes amerikanisches Utopia. Im Bathtub kennt man keinen
Rassismus; Schwarz und Weiss feiert gemeinsam die Ankunft eines neuen
Sturmes, trauert als Einheit um einen verstorbenen Freund, spielt
Seite an Seite in einer Cajun-Band. Im Amerika der Finanzkrise, der
Klassenunterschiede und der politischen Grabenkämpfe macht das
Porträt eines ethnisch durchmischten, harmonischen, in der leicht
hingenommenen Armut vereinten Gemeinwesens Eindruck und Hoffnung.
"Born on the Bayou": Hushpuppy (Quvenzhané Wallis) lebt in
Einklang mit der Natur in den amerikanischen Südstaaten.
|
Zeitlin beruft sich auf klassische Werte wie Gemeinschaftssinn,
Individualismus, harte Arbeit und bedingungslosen Optimismus und
lässt Hushpuppy, ausgezeichnet gespielt von der erst neunjährigen
Quvenzhané Wallis, die Verkörperung all dieser Werte sein. In
kindlicher Einfachheit spricht sie über die empfindliche Ordnung des
Universums, dessen Überleben vom Zusammenspiel aller seiner Teile
abhängt. Ob Zeitlin nun die amerikanische Gesellschaft oder doch den
Klimawandel – Hushpuppys Monologen werden oft Bilder zerbrechender
Eisschollen unterlegt – meint, ist letztlich ohne Belang, denn Beasts of the Southern Wild funktioniert dann am besten, wenn
Politik und aktuelle Probleme aussen vor gelassen werden und das
Ganze als enigmatisches Kindheits-Märchendrama im Stile von Where
the Wild Things Are gelesen wird.
Beschränkt sich der Film mit seinen berauschenden Bildern und
Klängen, seiner visuellen Poesie und seiner sympathischen Exzentrik
auf die Sorgen des Mädchens – eine abwesende Mutter, ein
sterbender Vater, eine den Naturgewalten unterworfene Existenz –,
reüssiert er: Der Moment, in dem sich Hushpuppy einem rieisgen
prähistorischen Auerochsen in den Weg stellt, ist atemberaubend und
unvergesslich. Werden die Bathtub-Eingeborenen von nebulösen
Regierungshelfern in ein Auffanglager jenseits des Deiches
verfrachtet, dann verliert sich Zeitlins Virtuosität in
bedeutungsschwangeren Symbolismus.
★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen