Donnerstag, 6. Dezember 2012

Cloud Atlas

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.


Ein gigantisches Epos sollte die Verfilmung von David Mitchells Erfolgsroman sein, ein noch nie da gewesenes Kinoerlebnis. Über das Ausmass des Projekts lässt sich tatsächlich nicht streiten, wohl aber über den Inhalt: Cloud Atlas verdient sich einen Platz unter den spektakulärsten Fehlschlägen der Filmgeschichte.

Mitte des 19. Jahrhunderts hinterfragt ein junger Anwalt (Jim Sturgess) auf einer Pazifiküberfahrt das Konzept der Sklaverei. 1936 ist ein aufstrebender englischer Pianist (Ben Whishaw) unglücklich in einen Freund (James D'Arcy) verliebt und lässt sich davon zum "Cloud Atlas Sextet", einer Sinfonie, inspirieren, während er in Diensten eines Meisterkomponisten (Jim Broadbent) steht. 37 Jahre später hört die Journalistin Luisa Rey (Halle Berry) das Musikstück, kann sich aber nicht lange genug damit befassen, da sie mit einem Atomphysiker (Tom Hanks) einen Skandal aufdeckt. Ihre Geschichte wird von einem Nachbarsjungen niedergeschrieben und 2012 an einen Verleger (Broadbent) geschickt, der nach einigen Querelen mit Kriminellen in einem Altersheim landet. 2144 kämpfen in Neo Seoul die Klonin Sonmi-451 (Doona Bae) – man bemerke die Anspielung auf Ray Bradburys Kult-Dystopie – und ein Revolutionär (Sturgess) gegen das herrschende Regime. Und in der nur wenige hundert Jahre entfernten postapokalyptischen Zukunft hilft ein Eingeborener (Hanks) einer technologisch hoch entwickelten Fremden (Berry).

Sinnlos, alle sechs Handlungsstränge en détail zu erörtern. Das Regie-Trio Lana (ehemals Larry) und Andy Wachowski (The Matrix) und Tom Tykwer (Lola rennt) lässt dieselben Darsteller in verschiedenen Zeit- und Raumebenen in den gleichen Rollenmustern agieren und spinnt so ein komplexes Netz aus simplen Geschichten, welche in gut drei Stunden eine simple Botschaft übermitteln: Wir sind alle verbunden, alles hängt zusammen, die Welt ist eins. Die Aufmachung mag neu anmuten, wurde aber bereits 1916 in Intolerance, dem 197-minütigen, von heutigen Kritikern und Experten gerne als "einzige Film-Fuge" bezeichneten Geniestreich des grossen Filmkunstpioniers D. W. Griffith, zur Perfektion geführt. Doch Cloud Atlas erreicht dessen Höhen – seien sie nun philosophischer, ethischer oder emotionaler Natur – nicht einmal in seinen besten Momenten. Himmelhoch sind die Ambitionen, entsprechend tief ist der Fall.

In ferner Zukunft spannen der Waldbewohner Zachry (Tom Hanks) und die hoch entwickelte Meronym (Halle Berry) zusammen.
Aber gerade darin liegt ein gewisser Reiz. Die Tykwer/Wachowski-Kollaboration ist auf ihre Art ein kleines Wunder: Unglaublich, dass es auch in Zeiten pedantischster Kostenoptimierung noch möglich ist, praktisch widerstandslos einen Film zu drehen, welcher dermassen stümperhaft, ja überwältigend schlecht ist. Ein gut geschminkter, stimmiges Pidgin-Englisch sprechender Tom Hanks mag zwar zu Beginn "There is a method to this tale of madness" verkünden, doch spätestens dann, als er selber, hemmungslos chargierend, als irischer Prolo-Schriftsteller auftritt, lassen sich die Zweifel an der Weissagung nicht mehr ignorieren. Dass Hugo Weaving im Folgenden noch in Frauenkleider gesteckt und Halle Berrys Gesicht weiss getüncht wird, verfestigt das Gefühl, man wohne dem längsten Monty-Python-Sketch aller Zeiten bei. Der stetig wechselnde Tonfall – das Ganze pendelt schamlos zwischen penetrant tragischem Melodram und peinlichen Slapstick-Einlagen – hilft dem Anspruch, Geschichte zu schreiben, ebenfalls nur wenig.

Doch gerade weil der Streifen derart selbstgefällig, haarsträubend und chaotisch ist, lässt sich ihm ein gewisser Unterhaltungswert, sogar bizarre Faszination, nicht absprechen. Das Epos falliert auf gloriose Art und Weise – es darf gelacht werden. Ernsthaft betrachtet jedoch, ist der kakophone Cloud Atlas das polare Gegenteil einer wohl klingenden Fuge.

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