Gesichtsloses Kanonenfutter, bürokratischer Klotz am Bein des
einsamen Helden, korrupte Opportunisten – die organisierte Polizei
fristet im Kino ein zweifelhaftes Dasein. In seinem neuen Film, dem
packenden Thriller End of Watch, widersetzt sich Actionexperte
David Ayer der Konvention und zeigt im halbdokumentarischen,
weitestgehend plotlosen Stil den Alltag zweier Streifenpolizisten.
Taylor (Jake Gyllenhaal) und Zavala (Michael Peña) sind beste
Freunde und patrouillieren gemeinsam die Strassen von South Central
L.A. Im Rahmen eines Projekts beschliesst Taylor, seinen
Polizeialltag ab sofort auf Film zu bannen – sehr zum Missfallen
von Kollegen und Vorgesetzten. Dabei fängt er nicht nur
Einsatzbesprechungen, Neckereien unter Kameraden und kostbare Momente
mit seiner Freundin Janet (Anna Kendrick) ein, sondern auch die
unschönen Seiten seines Berufs: zerrüttete Familien tief unter der
Armutsgrenze, Drogen- und Menschenhandel, blutige Bandenkriege.
Der South-Central-Distrikt in der kalifornischen Metropole Los
Angeles gehört spätestens seit den verheerenden L.A. Riots im
Frühling 1992 zu den berüchtigtsten Stadtbezirken in den
Vereinigten Staaten. Die Schwarzen stellen seit Jahrzehnten die
Mehrheit, es ist der Geburtsort zahlloser Rapper und der Schauplatz
des Kultstreifens Boyz n the Hood. Doch mexikanische
Immigranten machen den Afroamerikanern seit geraumer Zeit das
Territorium streitig – "There used to be chicken stands on
every corner, now it's taco stands!" –; der Schmelztiegel
bereitet den Behörden dauerhaft Kopfzerbrechen; den xenophoben
Verfechtern der "Mexifornia"-Theorie ist er ein Dorn im
Auge. Banden und Kartelle bestimmen das Geschehen, die LAPD hat einen
schweren Stand. David Ayer, der Autor von Filmen wie Training Day
oder The Fast and the Furious, stammt selber aus South
Central und inszeniert die Arbeit Taylors und Zavalas als undankbare,
aber notwendige – und durchaus noble – Sisyphusaufgabe.
Auf Streife: Fahrt durch South Central Los Angeles. |
Das Klischee vom stolzen Gesetzeshüter, "deinem Freund und
Helfer", der sich am Ende seiner Schicht, dem "end of
watch", sicher sein kann, seinen Teil zum Gemeinwohl beigetragen
zu haben, wird allerdings recht schnell zerschlagen. Die typischen
Slogans sind schale Plattitüden geworden, die Frage "Have you
made a difference today?" wirkt nur mit spöttischem Unterton
überzeugend. Ein Held ist man nur in den Augen der anderen; privat
wird man dafür gescholten, sein Leben für wildfremde Kinder aufs
Spiel gesetzt zu haben. Im Anfangsmonolog, gesprochen über eine an
die TV-Serie COPS erinnernde Verfolgungsjagd, die in eine
tödlichen Schiesserei mündet, stellt Taylor klar, wie inkompatibel
Polizeiarbeit und Realität eigentlich sind: Wir sind die Guten, ihr
seid die Bösen. Brichst du das Gesetz, verhafte ich dich – selbst
wenn ich dem Gesetz nicht zustimme. Und doch sind die Männer und
Frauen in Dunkelblau notwendig.
Dem Zuschauer wird diese Realität mit einer dynamischen Mischung aus
"Found Footage"-Ästhetik, gewonnen aus kleinen Linsen an
den Brusttaschen der beiden Protagonisten, und Roman Vasyanovs
konventioneller Kameraarbeit vorgeführt. Ayer vermengt radikales
Cinéma vérité mit weitläufigen Panoramaaufnahmen und intensiven
Nahaufnahmen – alles in stimmigem Sepia-Ton –, verzichtet aber,
anders als etwa Oliver Stone in Natural Born Killers, auf
effekthascherische Wechsel von Format und Bilqualität und unnötig
verwackelte Einstellungen. Die Gefahr, der die beiden Hauptfiguren –
und Abertausender von realen Polizisten – täglich aufs Neue
ausgesetzt sind, wirkt damit real und unmittelbar; sehr bald wird man
auch selbst ein wenig paranoid. South Central ist ein Kastenteufel:
Während sich im Haus einer verzweifelten Mutter ein gewaltbereiter
Scherge aus der Drogenszene verstecken und hinter einer Tür ein
Gewehrlauf warten kann, Kollegen die Augen ausgestochen und sie bis
zur Unkenntlichkeit verprügelt werden und selbst Verkehrskontrollen
mit gezückter Waffe stattfinden, endet die Quasi-Razzia einer
Bandenparty nicht mit Gewalt, sondern nur mit der höflichen, aber
bestimmten Bitte, die Musik etwas leiser zu drehen.
Feldarbeit: Die Wachtmeister Zavala (Michael Peña, links) und Taylor (Jake Gyllenhaal) patrouillieren zu Fuss. |
Doch End of Watch als Mockumentary zu bezeichnen, wäre bei
aller angestrebter Realitätsnähe ein Fehlschluss. Ayer macht keinen
Hehl aus der Künstlichkeit seines Projekts; schon der erste Satz,
der auf der Leinwand zu lesen ist, unterstreicht dies: "Once
upon a time in South Central Los Angeles...", steht da
geschrieben. Dass der Film dennoch dokumentarisch anmutet, zeigt,
welchen Eindruck er macht, wie tief er berührt. Dazu tragen auch die
Darsteller Jake Gyllenhaal und Michael Peña mit ihrem
naturalistischen Schauspiel massgeblich bei. Zavala und Taylor sind
offenkundig nicht Polizisten geworden, weil es ihr Traum war, mit
Waffen zu spielen; vielmehr ist es ein krisenfester Job, der keine
College-Ausbildung voraussetzt. Beide wünschen sich ein anderes,
sichereres Leben und bringen ihre Arbeitstage in Uniform hinter sich,
indem sie miteinander witzeln, lachen und flachsen. Gyllenhaal und
Peña meistern diese Figuren so souverän, dass man vergisst, dass es
sich bei ihnen um blosse Platzhalter für die echten Wachtmeister der
LAPD handelt.
End of Watch ist ein weiterer Beleg für das Comeback des in
der Wirklichkeit verankerten Action- und Thrillergenres. Wie schon
Nicolas Winding Refns Drive rücken Schiessereien und
Autoverfolgungen in den Hintergrund, um echten menschlichen Emotionen
und cineastischer Vision Platz zu machen. Ein Propagandavideo für
die Polizei sieht anders aus; Gewalt aus der Ego-Shooter-Perspektive
ist in der Realität weder lustig noch ehrenvoll, sondern blutig und
erschütternd. Und doch zieht Ayer seinen Hut vor dem Gewerbe:
Menschen wie Brian Taylor und Mike Zavala zeigen grossen Mut und
haben es nicht verdient, im Kino zu belanglosen Nebenrollen
degradiert zu werden.
★★★★
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