Die Geschichte des 1999 verstorbenen amerikanischen Poeten Mark
O'Brien ist eine inspirierende: Obwohl er seit seiner
Polio-Erkrankung im frühen Kindesalter nur noch seinen Kopf bewegen
konnte, besuchte er eine Universität und machte seinen Abschluss im
kalifornischen Berkeley. Nach einer Dokumentation, die 1997 einen
Oscar gewann, hat sich nun auch eine Fox-Searchlight-Produktion mit
O'Brien beschäftigt. Doch The Sessions gelingt es nicht,
seinem Protagonisten gerecht zu werden: zu eintönig der Fokus, zu
bleiern die Inszenierung.
San Francisco, 1988: Nach seinem College-Abgang fehlt dem 38-jährigen
Mark O'Brien (John Hawkes) ein festes Ziel im Leben. Zwar schreibt er
nach wie vor Gedichte und lässt sich von seiner ungeliebten
(Noch-)Pflegerin regelmässig zum Gottesdienst fahren, doch vor
seinem Tod will er sich noch einen scheinbar unmöglichen Wunsch
erfüllen: Er will seine Jungfräulichkeit verlieren. Als der neue
Pfarrer (William H. Macy) dem Vorhaben des an eine eiserne Lunge
gefesselten Schwerstbehinderten seinen Segen gibt, wendet sich Mark
an die Sex-Therapeutin Cheryl (Helen Hunt), die ihm in sechs
Sitzungen helfen soll, sein Ziel zu erreichen.
Filme über Behinderte gibt es reichlich. In Werken wie My Left
Foot, Forrest Gump oder Le scaphandre et le papillon
kämpfen sie, mal mit ihrer Umwelt, mal mit sich selber, um
Unabhängigkeit, Respekt oder die Chance, sich entfalten zu dürfen.
Der Weg ist steinig, doch am Ende wartet entweder der Triumph oder
immerhin die Genugtuung, sein Bestes gegeben zu haben. Das Publikum
lernt indes die Schwierigkeiten kennen, mit denen sich Menschen wie
Christy Brown, Forrest Gump oder Jean-Dominique Bauby täglich
auseinandersetzen müssen. Ben Lewins The
Sessions jedoch vermag
weder Faszination für Marks ungewöhnlichen Plan zu wecken noch dem
Zuschauer vor Augen zu führen, wie der reale O'Brien wohl mit seiner
Situation umgegangen ist.
Ans Bett gefesselt: der gelähmte Mark O'Brien (John Hawkes). |
Das grundsätzliche Problem ist
hierbei Lewins Dramaturgie; seine Handlung leidet an akutem
Scheuklappenblick: Im Mittelpunkt der Geschichte steht nicht etwa
O'Briens Schaffen oder seine Strategien, die ihn plagende Langeweile
zu überwinden. Nein, The
Sessions hält sich
sklavisch an einen einzigen von der Hauptfigur verfassten Artikel –
"On Seeing a Sex Surrogate", erschienen 1990 im Magazin The
Sun – und beschränkt
sein Porträt O'Briens auf dessen Treffen mit Cheryl und die
darauffolgenden Beichtgänge bei Pater Brendan. Sex ist der Dreh- und
Angelpunkt des Films, was sich auf Dauer als enorm ermüdend erweist
– eben weil sich Lewin über andere Aspekte von Marks Leben
praktisch ausschweigt.
Lewin behandelt das Thema zwar
äusserst takt- und geschmackvoll, seine Figuren sind fast
ausnahmslos sympathisch, die meisten der viel zu zaghaft eingesetzten
Witze verfehlen ihren Zweck nicht und selbst die Schauspieler, vorab
der abgeklärt-lakonische 68er-Pfarrer William H. Macy und die
subtile Helen Hunt, überzeugen – wenngleich John Hawkes mit seiner
Darbietung, einer besseren Sean-Penn-Imitation, schamlos die
Aufmerksamkeit der Academy zu erhaschen versucht. Ohne die
emotionalen Anbindungen ist The
Sessions aber leider
nicht viel mehr als eine Aneinanderreihung von gleichförmigen
Episoden: Ein sich den Kopf zerbrechender Mark wird zur nächsten
Sitzung gefahren, wo er kleine Fortschritte erzielt; danach tauscht
er sich mit Brendan aus, während Cheryl ihren Bericht in ihr
Tonbandgerät spricht.
Sex-Therapeutin Cheryl (Helen Hunt) kümmert sich um Mark. |
Therapierter und Therapeutin mögen sich beide mehrfach nackt
ausziehen; fremd bleiben sie einem aber trotzdem. Selten hat ein Film
einen kleinen Subplot nötiger gehabt, doch Lewin lässt sämtliche
Ansätze unterwentwickelt und unerfüllt: Marks neue Pflegerin, die
sich mit einem Hotel-Receptionisten anzufreunden scheint, bleibt
ebenso skizzenhaft wie die Beziehung zwischen Cheryl und ihrem Sohn,
der sie konsequent beim Vornamen nennt, oder die Geschichte hinter
Marks sporadisch auftauchender Katze.
Körperlich benachteiligte
Menschen sind gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft, für die
auch die Sexualität kein Tabu sein darf. Mark O'Brien widmete einen
grossen Teil seiner letzten Lebensjahre der Aufgabe, diese einfache
Tatsache einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen. Ben Lewin
hat hehre Absichten
und bemüht sich redlich, dieses Erbe zu ehren, versagt aber
letztendlich auf inhaltlicher wie filmischer Ebene. The
Sessions ist ein
emotional distanzierter Film, der primär von der Sympathie seiner
Figuren zehrt, der aber dramaturgisch am besten mit O'Briens Zustand
zu vergleichen ist: Er liegt da und kann sich nicht bewegen.
★★
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