Die 1980 uraufgeführte Bühnenbearbeitung von Victor Hugos
historischem Epos Les Misérables gehört zu den
erfolgreichsten Musicals aller Zeiten. Nun wurde das weltweite
Phänomen im grossen Stil verfilmt. Herausgekommen ist ein
langfädiges Edel-Singspiel.
Frankreich, 1815: Fast 20 Jahre hat Jean Valjean (der beherzte Hugh
Jackman) wegen eines geringfügigen Diebstahls im Straflager
verbracht. Auch nach seiner Begnadigung wird er seines Lebens nicht
froh: Staat und Gesellschaft verstossen den Verurteilten. Als er
eines Nachts einen gutmütigen Bischof bestiehlt, erhebt dieser keine
Anklage und bewahrt ihn so vor einer erneuten Gefängnisstrafe.
Inspiriert von diesem Akt der Barmherzigkeit, schwört sich Jean,
fortan ein ehrliches Leben zu führen. Dieses ist ihm unter neuem
Namen in einer neuen Stadt vergönnt, wo er binnen acht Jahren zum
reichen Unternehmer und Bürgermeister aufsteigt. Als solcher hilft
er der sterbenden Fantine (eine masslos theatralische Anne Hathaway)
und adoptiert deren uneheliche Tochter Cosette. Durch das plötzliche
Auftauchen seines alten Gefängniswärters Javert (Russell Crowe)
sieht sich Valjean jedoch gezwungen, mit dem Mädchen nach Paris zu
fliehen. 1832 sammeln sich dort die Studenten zur Junirevolte, unter
ihnen der junge Marius (Eddie Redmayne), der sich in Cosette (Amanda
Seyfried) verliebt.
Eines der grundlegenden Probleme des Musical-Genres ist der Einfluss,
den spontane Gesangseinlagen auf den Fluss einer Geschichte ausüben.
Fängt eine Figur an, opernhaft ihre Gefühle und Gedanken singend zu
äussern, steht die Dramaturgie still. Entsprechend überraschend ist
es, dass Les Misérables diese Schwierigkeit mühelos
überwindet. Indem sich Regisseur Tom Hooper (The King's Speech)
an das originale Konzept des Musicals von Alain Boublil,
Claude-Michel Schönberg und Herbert Kretzmer – alle drei wirkten
auch am Drehbuch mit – hält und überwiegend auf gesprochenen
Dialog verzichtet, wird der Gesang zum narrativen Medium, wodurch die
Handlung gar nicht erst unterbrochen werden kann.
Spiel mir das Lied vom Tod: Der Ex-Sträfling Jean Valjean (Hugh
Jackman) versucht vergeblich, die arme Fantine (Anne Hathaway) zu
retten.
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Doch bekanntlich hat jede Medaille zwei Seiten. Während der
Erzählfluss zwar davon profitiert, dass sich die Darsteller mittels
– mitunter arg gestelztem – Sprechgesang austauschen, verliert
die Victor Hugos Geschichte innewohnende Tragödie jegliche Geltung.
Wenn Fantine im internationalen Hitsong "I Dreamed a Dream" von
ihrem Elend singt, dann täuschen weder ihre schrille Alt-Stimme noch
ihre prominent in Szene gesetzten Tränen über die offenkundige
Künstlichkeit der Szene hinweg; die Emotion wirkt zu unecht, um
wirklich zu bewegen.
An diesem Manko scheitert letztlich der ganze Film. Als nach rund der
Hälfte der Laufzeit (geschlagene 158 Minuten) die Exposition
endgültig abgeschlossen ist, stellt sich Langeweile ein. Die
Handlung verlagert sich von Valjean und Javert auf die eher
eindimensionalen Figuren Marius und Cosette; das oberflächliche
Charakterdrama macht einer schleppenden Kriegsromanze Platz, in der
Politisches wie Privates stets uninteressant bleibt. Einzig die
opulenten Designs von Ausstattung und Kostümen vermögen in der
zweiten Hälfte zu erfreuen, obgleich ihr Wert unter Danny Cohens
unausgeglichener Kameraarbeit leidet. Ist die ganze Chose
schliesslich zu Ende, bleibt die Erkenntnis, dass die Tragödie als
Filmmusical einfach schlecht funktioniert (anders als die Oper in der
Künstlichkeit der Bühnenwelt). Wie definierte doch Donald O'Connor
in Singin' in the Rain einst die Aufgabe des Genres? "Make
'em laugh!".
★★