"Hand aufs Herz! Kennen Sie die folgenden Filme?
- Il Comandante e la
cicogna
- Opération Libertad
- Rosie
- Sister
- Verliebte Feinde
Nein? Dann sind Sie nicht allein. Oder kennen Sie diese
Stars:
- Sibylle Brunner, Mona
Petri, Sabine Timoteo?
- Fabian Krüger und Kacey Mottet Klein?
Nein? Dann werden Sie sich wundern: Das sind die
Nominierten für den Schweizer Filmpreis 2013. Der am 23. März in
Genf vergeben wird. Wieder mal pseudointellektuelle Inzucht. So kommt
der CH-Film nie aus seiner Krise."
Dieser Beitrag stammt aus der Feder von Helmut-Maria
Glogger, erschienen im heutigen Blick am Abend. Es fallen
bereits auf den ersten Blick mehrere Probleme ins Auge – selbst
wenn vom allgemeinen Tonfall abgesehen wird: So steht etwa zu
bezweifeln, dass allzu viele Leser, die Frage, ob sie L'enfant
d'en haut (Sister) kennen, mit Nein beantworten werden,
war doch der Film im vergangenen Jahr in aller Munde, sei es wegen
des Silbernen Bären, den er erhalten hat, wegen der César-Nomination von Kacey Mottet Klein, seines Zeichens bereits ein Gewinner des Schweizer Filmpreises, oder aufgrund der Tatsache,
dass der Film es bis unter die letzten neun Kandidaten für den
Fremdsprachen-Oscar geschafft hat, eine Ehre, die seit 2006 und Fredi
M. Murers Vitus keinem Schweizer Film mehr zuteil geworden war. Auch
erscheint die Benutzung des Wortes "Stars" ein wenig fehl
am Platze, wenn man sich darüber echauffiert, keinen der genannten
Namen zu kennen.
L'enfant d'en haut |
Doch in einem Land wie der Schweiz, einem Land, in dem der Wert eines Studiums an seinem ökonomischen Nutzen gemessen wird, einem Land, in dem, so scheint es, viele Formen der Kunst und Kultur, seien sie nun "alternativer" Natur oder nicht, gegen ein tief sitzendes öffentliches Misstrauen zu kämpfen haben ("Und dafür zahlen wir Steuern!"), gibt ein Text wie dieser doch sehr zu denken. Seine Publikation, die von den Blick am Abend-Oberen abgesegnet worden sein muss, legt nahe, dass diese Meinung – wie auch die Art und Weise ihrer Äusserung –, wenn nicht mehrheits-, dann wenigstens salonfähig ist.
Opération Libertad |
In einem Punkt liegt die Kolumne allerdings vollkommen richtig: Das Schweizer Kino ist in einer Krise. Die grossen Zeiten von ernsthaften Künstlern wie Franz Schnyder, Leopold Lindtberg, Michel Soutter, Kurt Gloor, Alain Tanner oder Claude Goretta sind längst vorbei, die erfolgreicheren Produktionen der letzten Jahre (Grounding, Mein Name ist Eugen, Die Herbstzeitlosen, Giochi d'estate) können bestenfalls leidlich überzeugen und selbst die qualitativ hochstehenderen Erzeugnisse der Industrie (Sternenberg, Happy New Year, Stationspiraten) werden ausnahmslos durch überbeanspruchte cineastische Helvetismen getrübt. Dass sich der Geschmack der breiten Masse in Richtung der "dokumentarischen" Darstellung einer schamlos romantisierten Schweiz bewegt (Die Kinder vom Napf, Alpsegen), verbessert die Situation beileibe nicht.
Verliebte Feinde |
Doch während wohl die meisten Kritiker den Stil einer Ursula Meier als grösste Zukunftshoffnung des nationalen Filmschaffens betrachten, glaubt Glogger, gerade darin dessen endgültigen Untergang zu erkennen. Der beschränkte Platz seiner Plattform erlaubt es ihm aber nicht, näher auf den von ihm gewünschten Gegenentwurf einzugehen, wobei bezweifelt werden darf, dass er einen solchen zur Hand hat. Und auch hier zeigt sich die traurige Salonfähigkeit der Schweizer Kultur-Skepsis (auch Antiintellektualismus würde passen): Sich mit einer Sache zu befassen, ist keine Voraussetzung dafür, gegen sie zu Felde zu ziehen und sie als "pseudointellektuelle Inzucht" zu diffamieren. Nachdenklich sollte einen dies schon stimmen.
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