Kansas, 1905: Viele Jahre vor Dorothys Reise durch den Tornado und
"über den Regenbogen" zieht der trickreiche Zauberer und
Frauenheld Oscar Diggs (James Franco) unter dem Namen "Oz the
Great and Powerful" mit einem Wanderzirkus von Ort zu Ort. Als
er aber eines Tages der Freundin des Zirkus-Muskelprotzes Avancen
macht, ist es mit seinem geruhsamen Leben vorbei. Zwar kann er dem
Streit per Heissluftballon entkommen, steuert damit aber direkt in
einen Sturm hinein. Dieser trägt ihn in ein seltsames fremdes Land,
wo ihm sogleich die hübsche Hexe Theodora (Mila Kunis) begegnet, die
ihn im Land von Oz begrüsst und in ihm den prophezeiten Magier zu
erkennen glaubt, der ihre Welt von der bösen Hexe Glinda (Michelle
Williams) befreien soll. Trotz des Misstrauens von Theodoras
Schwester Evanora (Rachel Weisz) kann Oscar die Illusion mit seinen
Taschenspielertricks aufrecht erhalten und macht sich mit dem
fliegenden Affen Finley (Stimme: Zach Braff) auf, Glinda zu töten.
Immerhin winkt ein riesiger Schatz als Belohnung.
Der Moment, in dem Dorothy Gale (Judy Garland) in The Wizard of Oz
ihr im Munchkinland bruchgelandetes Haus verlässt, gehört zu
den Schlüsselsequenzen des klassischen Hollywood: Garland öffnet
die Tür und bewegt sich, wie das Kino selbst, weg vom Monochrom,
hinein in eine Welt voller satter, leuchtender Farben. Auch Oz:
The Great and Powerful weiss um die Tragweite der Szene, wobei
Regisseur Sam Raimi die Verwandlung dank moderner Technik in ganz
neuen Dimensionen darstellen kann: Das Schwarzweiss-Bild wird von
Farbe durchflutet, das alte Academy-Format weicht dem Breitbild,
Stereo-Ton setzt ein. Es ist eine elaborierte, technisch einwandfrei
vollzogene Verneigung des Prequels vor dem Original, die aber leider
allzu deutlich darauf hinweist, dass Oz kein eigenständiges
Werk ist. Raimi versucht, die Faszination von Flemings Kostüm-Musical
mit den gleichen Mitteln zu reproduzieren, büsst so aber
gleichzeitig seinen Individualismus ein; sein Film bleibt eine
weitgehend seelenlose Aneinanderreihung von Zitaten, Querverweisen
und schwelgerischen Computerbildern.
Wie alles begann: Sam Raimi lädt ein zur CGI-Reise nach Oz. © Disney |
Letztere, obgleich ein Fest fürs Auge, vermögen indes auch nicht
über den fadenscheinigen Inhalt hinwegzutäuschen. Zwar orientiert
sich auch die Handlung an The Wizard of Oz – der
Neuankömmling wandert mit seinen zauberhaften Gefährten durch Oz,
immer auf der Hut vor der bösen Hexe –, doch die Autoren David
Lindsay-Abaire (Rabbit Hole) und Mitchell Kapner (The Whole
Nine Yards) scheinen eher damit beschäftigt, vorsichtig Brücken
zum Original zu schlagen – aus rechtlichen Gründen basiert Oz
offiziell lediglich auf L. Frank Baums Büchern – als überzeugende
Figuren zu entwerfen. Tragisch, Mila Kunis, ansonsten einer
verlässlichen Grösse in mittelmässigen Filmen, zusehen zu müssen,
wie sie schmachtend und seufzend dem vermeintlichen Magier Oscar
verfällt, in ihrer Eifersucht anschliessend zur blindwütigen Furie
mutiert und schliesslich in PG-13-gerechter Manier bis aufs Korsett
entkleidet wird. Diesem unangenehm archaischen Frauenbild steht ein
Figurenkreis gegenüber, der sich überwiegend damit begnügt, das
Geschehen auf der Leinwand durch Begleitkommentar zu ergänzen.
Die Ehrenrettung des überwiegend belanglosen, schnell vergessenen
Films erfolgt spät. Nach rund 110 Minuten dramatischen und
emotionalen Leerlaufs, hie und da unterbrochen durch uninspirierte
Schreckmomente, schöpft Raimi die Möglichkeiten, die ihm 3-D und
CGI bieten, endlich aus: Oz zeichnet sich durch einen
stimmigen, solide inszenierten Action-Höhepunkt aus, der ahnen
lässt, was mit mehr Fantasie hätte sein können. Ob der Film
dadurch aus dem Schatten des Originals getreten wäre, ist allerdings
eine andere Frage.
★★