Dienstag, 12. März 2013

Frankenweenie

In einem zeitgenössischen Hollywood, dem es an Egomanen wahrlich nicht mangelt, ist es vor allem einem Regisseur gelungen, seine Ichbezogenheit in ebenso bestechendes wie unprätentiöses Filmmaterial zu übersetzen. Seit den Achtzigerjahren ist Tim Burton aktiv, Alter Egos bevölkern sein Werk. Nach zuletzt zwei kritisch umstrittenen Adaptionen ist er in seinem neuen Projekt zu seinen Wurzeln zurückgekehrt: Frankenweenie ist die animierte Neuauflage seines eigenen Kurzfilms aus dem Jahr 1984 und verdient es, unter Burtons beste Arbeiten eingereiht zu werden.

Selbstreflexivität ist eine feste Grösse in den Filmen des mehrheitsfähigen Sonderlings aus Burbank. Seine Filme quellen über vor Selbstporträts und -karikierungen; seine Avatare nehmen die Formen von historischen, literarischen und verfremdeten Figuren an; in ihnen spiegelt sich Burtons eigene Vita. Oft werden sie von seinem Seelenverwandten Johnny Depp verkörpert, der sich über die Jahre zur etablierten Leinwandinkarnation Burtons gewandelt hat. Doch von Anfang an spielte sich in diesen Filmen eine tiefer gehende Selbstreflexion ab, die weit über die profane Freude an der Selbstdarstellung hinaus geht.

Denn in Burtons Universum figuriert er nicht als Mensch, sondern als Filmemacher; immer und immer wieder geht es in seinem Œuvre darum, über die Natur des bewegten Bildes nachzudenken. Für Burton ist der Schöpfer dieser Bilder ein ewiger Querkopf: ein Tüftler, ein Erfinder, ein Künstler, ein Wissenschaftler, ein Theoretiker, ein Lügenbaron, ein Dieb. Warum sonst nutzt der Protagonist von Edward Scissorhands seine Monstrosität zur kreativen Entfaltung? Was beweist Mars Attacks!, wenn nicht, dass auch Kaugummi-Sammelkarten einen Film inspirieren können? Was ist das unlogische Durcheinander in Dark Shadows anderes als eine Verneigung vor dem Format der täglichen TV-Seifenoper? Bedient Big Fish nicht die Auffassung, dass jeder grosse Künstler sein Publikum schamlos belügt? Ist der Kurzfilm Vincent nicht deren natürliche Erweiterung: dass jener Künstler auch sich selber hinters Licht führen muss?

Filmabend bei Frankensteins.
In Frankenweenie, dem schwarzweissen, in Stop-Motion animierten 3-D-Remake des gleichnamigen Kurzfilms, in dem sich Burton mit dem Tod seines geliebten Hundes auseinandersetzte, treten alle diese Stränge nun dichter denn je auf, angefangen mit der allerersten Einstellung: Das Bild ist unscharf, die Umrisse einiger Gebäude sind schwach zu erkennen. Des Rätsels Lösung: Victor Frankenstein (Stimme: Charlie Tahan) führt seinen Eltern (Catherine O'Hara, Martin Short) seinen neuesten Super-8-Film vor, ein 3-D-Monsterabenteuer mit Harryhausen-Effekten, in dem sein bester Freund, Hund Sparky, einem mutierten Pterosaurier Einhalt gebietet. Mr. und Mrs. Frankenstein sind beeindruckt, stellen aber besorgt fest: "He's just in his own world".

Damit ist Victor im ewig wolkenverhangenen New Holland allerdings nicht allein. So zählt er eine ins Leere starrende Katzennärrin, einen buckligen Igor-Verschnitt (Atticus Shaffer), einen vorpubertierenden Boris Karloff und einen grössenwahnsinnigen Japaner (James Hiroyuki Liao) zu seinen Klassenkameraden, während Sparky ein Auge auf die Pudeldame von Victors gleichaltriger Nachbarin Elsa (Winona Ryder), selber ein Goth, wirft. Der Plot kommt ins Rollen, als Sparky überfahren wird und Victor, inspiriert durch den exzentrischen Lehrer Mr. Rzykruski (Martin Landau – Bela Lugosi in Burtons Ed Wood – mit einer fantastischen Darbietung), sich in seiner Verzweiflung die Macht der Elektrizität zu eigen macht, sein totes Haustier wieder zum Leben erweckt und damit seine Heimatstadt ungewollt ins Chaos stürzt.

Er lebt! Victor (Stimme: Charlie Tahan) holt seinen überfahrenen Hund Sparky ins Diesseits zurück.
Woran es auch liegen mag – der Tatsache, dass Burton diesen Film schon einmal gemacht hat; dem Umstand, dass er sämtliche Facetten seiner Kino-Persona in seiner Hauptfigur vereint –, Frankenweenie fühlt sich natürlicher und unangestrengter an als alle seine Vorgänger seit Corpse Bride. Trotz seiner allgegenwärtigen Träumereien über das Filmemachen und den kreativen Prozess behält Burton konsequent jene kindliche Perspektive bei, die ihn zu einem derart aussergewöhnlichen Regisseur macht. Wie in Wes Andersons Moonrise Kingdom spielt auch hier die Welt der Erwachsenen über weite Strecken nur eine untergeordnete Rolle. Während die blindwütige Elternschaft wie ein engstirniger Mob von religiösen Fanatikern den unglückseligen Mr. Rzykruski aus dem Amt schreien, verändern ihre Kinder mit ihrer Fantasie die Welt. New Holland, ein Ort ausserhalb von Zeit und Raum, ist Burtons makabre Utopie einer von hochbegabten Aussenseiter-Kindern regierten Welt, einer Welt, in der sich schlussendlich auch die Erwachsenen dem scheinbar Widersinnigen fügen müssen ("Sometimes adults don't know what they're talking about"). Denn am Ende, ungeachtet jeglicher pädagogischer Bedenken, obsiegt der kindliche Wunsch nach dem Unmöglichen.

Die Schulstunden des exzentrischen Mr. Rzykruski (Martin Landau) inspirieren die Kinder von New Holland.
Diese an Big Fish erinnernde Emotionalität wird ergänzt durch einen reichen Fundus an bald offensichtlichen, bald subtilen Filmanspielungen und -zitaten, wie ihn Burton seit Ed Wood nicht mehr bemüht hat. Was in anderen Händen zum uninspirierten Selbstzweck verkommen wäre, entwickelt in Frankenweenie, auch dank der vorzüglichen Animation und Danny Elfmans Score – sein bester seit Jahren –, eine wunderbare Eigendynamik; sie unterstützt die Illusion, das Ganze sei das Produkt einer Kinderfantasie, deren Bezugspunkte die Horror-Nachtprogramme aus der Frühzeit des Fernsehens sind. In diesem Zusammenhang erweist sich Burton einmal mehr als Meister der Mehrfachkodierung: Der Reiz von Boris Karloff Junior wäre nicht komplett, würde er im Laufe des Films nicht in ein passendes Filmkostüm gesteckt. Sparkys Wiederauferstehung folgt sogleich eine Verneigung vor Bride of Frankenstein. Beschwört Victors Nemesis Toshiaki seine dahingeschiedene Schildkröte Shelley (!), genügt es nicht, lediglich ihr Aussehen Ishiro Hondas Gojira nachzuempfinden: Auch ihre abgehackten Bewegungen erweisen dem japanischen Klassiker ihre Reverenz.

Obgleich Alice in Wonderland und Dark Shadows besser als ihr Ruf sind, bestätigt Burtons neuester Film, was sich über die vergangenen acht Jahre angekündigt hat: Tim Burton ist dann am besten, wenn er seine eigenen Stoffe bearbeiten kann. Diese tragen seine unverkennbare Handschrift und erlauben ihm den unbegrenzten Spielraum, welchen er braucht, um seine einzigartige Vision auszuleben. Frankenweenie handelt mehr denn je von ihm selbst und ist gerade deshalb einer seiner bezauberndsten Filme. Es ist die Geschichte von einem Jungen, der auszog, um das Unmögliche zu erschaffen. Also machte er Filme.

★★★★★

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