In einem zeitgenössischen Hollywood, dem es an Egomanen wahrlich
nicht mangelt, ist es vor allem einem Regisseur gelungen, seine
Ichbezogenheit in ebenso bestechendes wie unprätentiöses
Filmmaterial zu übersetzen. Seit den Achtzigerjahren ist Tim Burton
aktiv, Alter Egos bevölkern sein Werk. Nach zuletzt zwei kritisch
umstrittenen Adaptionen ist er in seinem neuen Projekt zu seinen
Wurzeln zurückgekehrt: Frankenweenie ist die animierte
Neuauflage seines eigenen Kurzfilms aus dem Jahr 1984 und verdient
es, unter Burtons beste Arbeiten eingereiht zu werden.
Selbstreflexivität ist eine feste Grösse in den Filmen des
mehrheitsfähigen Sonderlings aus Burbank. Seine Filme quellen über
vor Selbstporträts und -karikierungen; seine Avatare nehmen die
Formen von historischen, literarischen und verfremdeten Figuren an;
in ihnen spiegelt sich Burtons eigene Vita. Oft werden sie von seinem
Seelenverwandten Johnny Depp verkörpert, der sich über die Jahre
zur etablierten Leinwandinkarnation Burtons gewandelt hat. Doch von
Anfang an spielte sich in diesen Filmen eine tiefer gehende
Selbstreflexion ab, die weit über die profane Freude an der
Selbstdarstellung hinaus geht.
Denn in Burtons Universum figuriert er nicht als Mensch, sondern als
Filmemacher; immer und immer wieder geht es in seinem Œuvre darum,
über die Natur des bewegten Bildes nachzudenken. Für Burton ist der
Schöpfer dieser Bilder ein ewiger Querkopf: ein Tüftler, ein
Erfinder, ein Künstler, ein Wissenschaftler, ein Theoretiker, ein
Lügenbaron, ein Dieb. Warum sonst nutzt der Protagonist von Edward
Scissorhands seine Monstrosität zur kreativen Entfaltung? Was
beweist Mars Attacks!, wenn nicht, dass auch
Kaugummi-Sammelkarten einen Film inspirieren können? Was ist das
unlogische Durcheinander in Dark Shadows anderes als eine
Verneigung vor dem Format der täglichen TV-Seifenoper? Bedient Big
Fish nicht die Auffassung, dass jeder grosse Künstler sein
Publikum schamlos belügt? Ist der Kurzfilm Vincent nicht
deren natürliche Erweiterung: dass jener Künstler auch sich selber
hinters Licht führen muss?
Filmabend bei Frankensteins. |
In Frankenweenie, dem schwarzweissen, in Stop-Motion
animierten 3-D-Remake des gleichnamigen Kurzfilms, in dem sich Burton
mit dem Tod seines geliebten Hundes auseinandersetzte, treten alle
diese Stränge nun dichter denn je auf, angefangen mit der
allerersten Einstellung: Das Bild ist unscharf, die Umrisse einiger
Gebäude sind schwach zu erkennen. Des Rätsels Lösung: Victor
Frankenstein (Stimme: Charlie Tahan) führt seinen Eltern (Catherine
O'Hara, Martin Short) seinen neuesten Super-8-Film vor, ein
3-D-Monsterabenteuer mit Harryhausen-Effekten, in dem sein bester
Freund, Hund Sparky, einem mutierten Pterosaurier Einhalt gebietet.
Mr. und Mrs. Frankenstein sind beeindruckt, stellen aber besorgt
fest: "He's just in his own world".
Damit ist Victor im ewig wolkenverhangenen New Holland allerdings
nicht allein. So zählt er eine ins Leere starrende Katzennärrin,
einen buckligen Igor-Verschnitt (Atticus Shaffer), einen
vorpubertierenden Boris Karloff und einen grössenwahnsinnigen
Japaner (James Hiroyuki Liao) zu seinen Klassenkameraden, während
Sparky ein Auge auf die Pudeldame von Victors gleichaltriger
Nachbarin Elsa (Winona Ryder), selber ein Goth, wirft. Der Plot kommt
ins Rollen, als Sparky überfahren wird und Victor, inspiriert durch
den exzentrischen Lehrer Mr. Rzykruski (Martin Landau – Bela Lugosi
in Burtons Ed Wood – mit einer fantastischen Darbietung),
sich in seiner Verzweiflung die Macht der Elektrizität zu eigen
macht, sein totes Haustier wieder zum Leben erweckt und damit seine
Heimatstadt ungewollt ins Chaos stürzt.
Er lebt! Victor (Stimme: Charlie Tahan) holt seinen überfahrenen Hund Sparky ins Diesseits zurück. |
Woran es auch liegen mag – der Tatsache, dass Burton diesen Film
schon einmal gemacht hat; dem Umstand, dass er sämtliche Facetten
seiner Kino-Persona in seiner Hauptfigur vereint –, Frankenweenie
fühlt sich natürlicher und unangestrengter an als alle seine
Vorgänger seit Corpse Bride. Trotz seiner allgegenwärtigen
Träumereien über das Filmemachen und den kreativen Prozess behält
Burton konsequent jene kindliche Perspektive bei, die ihn zu einem
derart aussergewöhnlichen Regisseur macht. Wie in Wes Andersons
Moonrise Kingdom spielt auch hier die Welt der Erwachsenen
über weite Strecken nur eine untergeordnete Rolle. Während die
blindwütige Elternschaft wie ein engstirniger Mob von religiösen
Fanatikern den unglückseligen Mr. Rzykruski aus dem Amt schreien,
verändern ihre Kinder mit ihrer Fantasie die Welt. New Holland, ein
Ort ausserhalb von Zeit und Raum, ist Burtons makabre Utopie einer
von hochbegabten Aussenseiter-Kindern regierten Welt, einer Welt, in
der sich schlussendlich auch die Erwachsenen dem scheinbar
Widersinnigen fügen müssen ("Sometimes adults don't know what
they're talking about"). Denn am Ende, ungeachtet jeglicher
pädagogischer Bedenken, obsiegt der kindliche Wunsch nach dem
Unmöglichen.
Die Schulstunden des exzentrischen Mr. Rzykruski (Martin Landau) inspirieren die Kinder von New Holland. |
Diese an Big Fish erinnernde Emotionalität wird ergänzt
durch einen reichen Fundus an bald offensichtlichen, bald subtilen
Filmanspielungen und -zitaten, wie ihn Burton seit Ed Wood nicht
mehr bemüht hat. Was in anderen Händen zum uninspirierten
Selbstzweck verkommen wäre, entwickelt in Frankenweenie, auch
dank der vorzüglichen Animation und Danny Elfmans Score – sein
bester seit Jahren –, eine wunderbare Eigendynamik; sie unterstützt
die Illusion, das Ganze sei das Produkt einer Kinderfantasie, deren
Bezugspunkte die Horror-Nachtprogramme aus der Frühzeit des
Fernsehens sind. In diesem Zusammenhang erweist sich Burton einmal
mehr als Meister der Mehrfachkodierung: Der Reiz von Boris Karloff
Junior wäre nicht komplett, würde er im Laufe des Films nicht in
ein passendes Filmkostüm gesteckt. Sparkys Wiederauferstehung folgt
sogleich eine Verneigung vor Bride of Frankenstein.
Beschwört Victors Nemesis Toshiaki seine dahingeschiedene
Schildkröte Shelley (!), genügt es nicht, lediglich ihr Aussehen
Ishiro Hondas Gojira
nachzuempfinden: Auch
ihre abgehackten Bewegungen erweisen dem japanischen Klassiker ihre
Reverenz.
Obgleich Alice
in Wonderland und Dark
Shadows besser als ihr
Ruf sind, bestätigt Burtons neuester Film, was sich über die
vergangenen acht Jahre angekündigt hat: Tim Burton ist dann am
besten, wenn er seine eigenen Stoffe bearbeiten kann. Diese tragen
seine unverkennbare Handschrift und erlauben ihm den unbegrenzten
Spielraum, welchen er braucht, um seine einzigartige Vision
auszuleben. Frankenweenie
handelt mehr denn je
von ihm selbst und ist gerade deshalb einer seiner bezauberndsten
Filme. Es ist die Geschichte von einem Jungen, der auszog, um das
Unmögliche zu erschaffen. Also machte er Filme.
★★★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen