Mittwoch, 20. März 2013

Hitchcock

Setzt sich ein Film mit der Kultfigur Alfred Hitchcock auseinander, dann kündigt sich gewichtiges Kino an, ist die britische Regie-Ikone doch als einer der bedeutendsten Filmemacher der Geschichte unbestritten. Doch diese Erwartungshaltung wird in Sacha Gervasis erstem Spielfilm mit der Nonchalance seiner Hauptfigur genüsslich konterkariert: Hitchcock ist leichtgewichtige Hollywood-Unterhaltung erster Güte.

1959: Mit North by Northwest festigt Alfred Hitchcock (Anthony Hopkins) seinen Ruf als "berühmtester Regisseur aller Zeiten", kann dessen Erfolg aber nicht lange geniessen, da er bereits wieder fieberhaft nach einem Projekt sucht. Dabei schlägt er Ian Flemings Casino Royale ebenso aus wie das aktuelle Buch von Whitfield Cook (Danny Huston), dem besten Freund seiner geliebten Frau Alma Reville (Helen Mirren). Schliesslich fällt ihm Robert Blochs Skandalroman Psycho, basierend auf dem Mörder und Grabräuber Ed Gein (Michael Wincott), in die Hände – und "Hitch" ist total begeistert. Da die Idee aber trotz der Bemühungen seines Agenten Lew Wasserman (Michael Stuhlbarg) weder vom Paramount-Studio noch von der Zensurbehörde abgesegnet wird – zuviel Gewalt, zuviel sexuelles Innuendo –, sieht sich Master of Suspense gezwungen, den Film zusammen mit Alma zu finanzieren. Mit Janet Leigh (Scarlett Johansson) und Anthony Perkins (James D'Arcy) in den Hauptrollen beginnt der Dreh.

2012 wurde das Publikum gleich doppelt mit der überlebensgrossen Figur des Sir Alfred Joseph Hitchcock konfrontiert. Im Oktober strahlte der Fernsehsender HBO den TV-Film The Girl aus, in dem Julian Jarrold zusammen mit Hauptdarsteller Toby Jones die tyrannische Seite des Regisseurs herausstrich: Er erzählt davon, wie Hitchcock, getrieben vom "Verlust" von Grace Kelly ans monegassischen Fürstenhaus, in Tippi Hedren eine neue Lieblings-Blondine findet und sich auf den Sets von The Birds und Marnie an ihr vergreift. Aus der Legende Hitchcock wurde der despotische Familienpatriarch, dessen Erfolg ihn jahrelang immun gegen die Aufdeckung seiner Untaten machte.

In Robert Blochs Roman Psycho findet Alfred Hitchcock (Anthony Hopkins) sein neues Projekt.
© 2012 Twentieth Century Fox Film Corporation
Im Dezember folgte Hitchcock, der, obwohl beileibe keine Heiligsprechung, sicher einen gütigeren Blickwinkel vertritt, jenen einer Kim Novak (Hitchcocks Muse in Vertigo) oder einer Nora Brown, der Witwe von Hitchcocks langjährigem Freund James H. Brown, die beide Jarrolds Film aufs Schärfste kritisierten. Zwar ist "Hitch" auch in Sacha Gervasis Version mindestens ein schwieriger Zeitgenosse, doch anders als in Hedrens Beschreibungen lässt er sich hier allenfalls grenzwertige Essgewohnheiten und seine berühmt-berüchtigten Set-Streiche zu Schulden kommen. Der grausame Patriarch verwandelt sich in einen exzentrischen Onkel, der über einem Glas Brandy die besten Geschichten zu spinnen weiss.

Wie es auch oft in Hitchcocks Karriere der Fall war, ist in Gervasis Film aber nicht unbedingt der Plot das stärkste Element. Drehbuchschreiber John J. McLaughlin (Black Swan) scheint sich streckenweise nicht sicher zu sein, was er mit seinem prominenten Protagonisten anfangen soll und verheddert sich allzu oft in Banalitäten und fehlgeleiteten Kunstgriffen. Die Idee, den Spiess umzudrehen und Alma Reville eine mögliche Fast-Affäre anzudichten, ist in Bezug auf The Girl und inhaltlich verwandte Literatur pfiffig, nimmt aber eindeutig zu viel Laufzeit in Anspruch. Hitchcock in Traumsequenzen zum Quasi-Komplizen Ed Geins zu machen, wirkt gestelzt und unnötig. Nur unklar umrissen bleiben derweil filmhistorische Ansätze: So hätte Hitchcock mit mehr Sorgfalt unterschwellig von der Rolle des Sterbehelfers handeln können, die Psycho für das alte Studiosystem und den Hays Code spielte. Die Höhepunkte von McLaughlins Skript sind indes ein profanes Vergnügen: Hier eine Anspielung, dort ein Filmtitel; hier Janet Leigh, die Hitchcocks Methoden denen eines Orson Welles vorzieht; dort die inspirierte Rahmenhandlung, die den Film als eine Episode von Alfred Hitchcock Presents inszeniert.

Kreative Partnerschaft: "Hitch" und seine resolute Ehefrau Alma Reville (Helen Mirren).
© 2012 Twentieth Century Fox Film Corporation
Als Gegengewicht zum nur zum Teil überzeugenden Inhalt nutzt Gervasi allerdings nicht die gleichen Techniken wie Hitchcock. Während dieser mit seiner formalen Brillanz auch mittelmässige Stoffe zu veredeln vermochte, muss sich Neuling Gervasi anderweitig behelfen. Wenn sich Hitchcock um nur etwas verdient macht, dann darum, die einzigartige Beziehung zwischen seiner Titelfigur und Alma Reville gebührend zu würdigen. Dies ist allerdings weniger auf McLaughlins Schreib- und Gervasis Regiequalitäten als auf die Besetzung der beiden Rollen zurückzuführen. Anthony Hopkins' Affektiertheit geht nach und nach in eine würdige Leinwandinterpretation des grossen Regisseurs über, die letztendlich in seinem thetralisch-virtuosen Dirigieren der Zuschauerschreie kulminiert. Ihm gegenüber steht das wahre Herz des Films: Helen Mirren spielt eine feurige Alma Reville, die in ihrer souveränen Zurückhaltung das polare Gegenteil ihres Mannes zu sein scheint, sich in den entscheidenden Momenten aber als perfekte Kontrastfigur zum spröden "Hitch" erweist.

Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass Hitchcock Psycho, in einer seiner besten Untertreibungen, gerne als "our little movie" bezeichnet hat. Die Beschreibung passt auch auf Hitchcock: Er sagt nicht viel, er wagt nicht viel, er ist "Filmen nach Zahlen", das auch vor Klischees und abgedroschenen, trailerfreundlichen Dialogen nicht Halt macht. Doch er zeigt auch die nachhaltige Kraft des Meisters: Ist Hitchcock involviert, kommt nie Langeweile auf.

★★★

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