Setzt
sich ein Film mit der Kultfigur Alfred Hitchcock auseinander, dann
kündigt sich gewichtiges Kino an, ist die britische Regie-Ikone doch
als einer der bedeutendsten Filmemacher der Geschichte unbestritten.
Doch diese Erwartungshaltung wird in Sacha Gervasis erstem Spielfilm
mit der Nonchalance seiner Hauptfigur genüsslich konterkariert:
Hitchcock ist
leichtgewichtige Hollywood-Unterhaltung erster Güte.
1959:
Mit North by Northwest festigt
Alfred Hitchcock (Anthony Hopkins) seinen Ruf als "berühmtester
Regisseur aller Zeiten", kann dessen Erfolg aber nicht lange
geniessen, da er bereits wieder fieberhaft nach einem Projekt sucht.
Dabei schlägt er Ian Flemings Casino Royale ebenso
aus wie das aktuelle Buch von Whitfield Cook (Danny Huston), dem
besten Freund seiner geliebten Frau Alma Reville (Helen Mirren).
Schliesslich fällt ihm Robert Blochs Skandalroman Psycho,
basierend auf dem Mörder und Grabräuber Ed Gein (Michael Wincott),
in die Hände – und "Hitch" ist total begeistert. Da die
Idee aber trotz der Bemühungen seines Agenten Lew Wasserman (Michael
Stuhlbarg) weder vom Paramount-Studio noch von der Zensurbehörde
abgesegnet wird – zuviel Gewalt, zuviel sexuelles Innuendo –,
sieht sich Master of Suspense gezwungen, den Film zusammen mit Alma
zu finanzieren. Mit Janet Leigh (Scarlett Johansson) und Anthony
Perkins (James D'Arcy) in den Hauptrollen beginnt der Dreh.
2012
wurde das Publikum gleich doppelt mit der überlebensgrossen Figur
des Sir Alfred Joseph Hitchcock konfrontiert. Im Oktober strahlte der
Fernsehsender HBO den TV-Film The Girl aus,
in dem Julian Jarrold zusammen mit Hauptdarsteller Toby Jones die
tyrannische Seite des Regisseurs herausstrich: Er erzählt davon, wie
Hitchcock, getrieben vom "Verlust" von Grace Kelly ans monegassischen Fürstenhaus, in Tippi Hedren eine neue
Lieblings-Blondine findet und sich auf den Sets von The
Birds und Marnie an
ihr vergreift. Aus der Legende Hitchcock wurde der despotische
Familienpatriarch, dessen Erfolg ihn jahrelang immun gegen die
Aufdeckung seiner Untaten machte.
In Robert Blochs Roman Psycho findet Alfred Hitchcock (Anthony Hopkins) sein neues Projekt. © 2012 Twentieth Century Fox Film Corporation |
Im
Dezember folgte Hitchcock,
der, obwohl beileibe keine Heiligsprechung, sicher einen gütigeren
Blickwinkel vertritt, jenen einer Kim Novak (Hitchcocks Muse in
Vertigo) oder einer
Nora Brown, der Witwe von Hitchcocks langjährigem Freund James H.
Brown, die beide Jarrolds Film aufs Schärfste kritisierten. Zwar ist
"Hitch" auch in Sacha Gervasis Version mindestens ein
schwieriger Zeitgenosse, doch anders als in Hedrens Beschreibungen
lässt er sich hier allenfalls grenzwertige Essgewohnheiten und seine
berühmt-berüchtigten Set-Streiche zu Schulden kommen. Der grausame
Patriarch verwandelt sich in einen exzentrischen Onkel, der über
einem Glas Brandy die besten Geschichten zu spinnen weiss.
Wie
es auch oft in Hitchcocks Karriere der Fall war, ist in Gervasis Film
aber nicht unbedingt der Plot das stärkste Element.
Drehbuchschreiber John J. McLaughlin (Black Swan)
scheint sich streckenweise nicht sicher zu sein, was er mit seinem
prominenten Protagonisten anfangen soll und verheddert sich allzu oft
in Banalitäten und fehlgeleiteten Kunstgriffen. Die Idee, den Spiess
umzudrehen und Alma Reville eine mögliche Fast-Affäre anzudichten,
ist in Bezug auf The Girl und
inhaltlich verwandte Literatur pfiffig, nimmt aber eindeutig zu viel
Laufzeit in Anspruch. Hitchcock in Traumsequenzen zum Quasi-Komplizen
Ed Geins zu machen, wirkt gestelzt und unnötig. Nur unklar umrissen
bleiben derweil filmhistorische Ansätze: So hätte Hitchcock
mit mehr Sorgfalt unterschwellig
von der Rolle des Sterbehelfers handeln können, die Psycho
für das alte Studiosystem und
den Hays Code spielte. Die Höhepunkte von McLaughlins Skript sind
indes ein profanes Vergnügen: Hier eine Anspielung, dort ein
Filmtitel; hier Janet Leigh, die Hitchcocks Methoden denen eines
Orson Welles vorzieht; dort die inspirierte Rahmenhandlung, die den
Film als eine Episode von Alfred Hitchcock Presents
inszeniert.
Kreative Partnerschaft: "Hitch" und seine resolute Ehefrau Alma Reville (Helen Mirren). © 2012 Twentieth Century Fox Film Corporation |
Als
Gegengewicht zum nur zum Teil überzeugenden Inhalt nutzt Gervasi
allerdings nicht die gleichen Techniken wie Hitchcock. Während
dieser mit seiner formalen Brillanz auch mittelmässige Stoffe zu
veredeln vermochte, muss sich Neuling Gervasi anderweitig behelfen.
Wenn sich Hitchcock um
nur etwas verdient macht, dann darum, die einzigartige Beziehung
zwischen seiner Titelfigur und Alma Reville gebührend zu würdigen.
Dies ist allerdings weniger auf McLaughlins Schreib- und Gervasis
Regiequalitäten als auf die Besetzung der beiden Rollen
zurückzuführen. Anthony Hopkins' Affektiertheit geht nach und nach
in eine würdige Leinwandinterpretation des grossen Regisseurs über,
die letztendlich in seinem thetralisch-virtuosen Dirigieren der
Zuschauerschreie kulminiert. Ihm gegenüber steht das wahre Herz des
Films: Helen Mirren spielt eine feurige Alma Reville, die in ihrer
souveränen Zurückhaltung das polare Gegenteil ihres Mannes zu sein
scheint, sich in den entscheidenden Momenten aber als perfekte
Kontrastfigur zum spröden "Hitch" erweist.
Es
ist eine wohlbekannte Tatsache, dass Hitchcock Psycho,
in einer seiner besten Untertreibungen, gerne
als "our little movie" bezeichnet hat. Die Beschreibung
passt auch auf Hitchcock:
Er sagt nicht viel, er wagt nicht viel, er ist "Filmen nach
Zahlen", das auch vor Klischees und abgedroschenen,
trailerfreundlichen Dialogen nicht Halt macht. Doch er zeigt auch die
nachhaltige Kraft des Meisters: Ist Hitchcock involviert, kommt nie
Langeweile auf.
★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen