Seit gut 25 Jahren ist der Iraner Abbas Kiarostami der prominenteste Vertreter des nahöstlichen Kinos. Sein neuer Film führt ihn jedoch in fremde Gefilde: In Like Someone in Love dient ihm Japan als Leinwand für ein meditatives Drama über Liebe, Identität und Kommunikation.
Um sich ihr Soziologiestudium an einer Tokioter Universität
finanzieren zu können, arbeitet die junge Akiko (Rin Takanashi) des
Abends als Callgirl. Als ihr Chef sie eines Abends zu einem Auftrag
in die Vorstadt abkommandiert, prallen Privatleben, Beruf und
Ausbildung aufeinander: Zum einen muss sie ihren misstrauischen
Freund Noriaki (Ryo Kase), dem sie ihre Nebeneinkunft verheimlicht,
per Telefon beruhigen; zum anderen opfert sie für ihren Kunden, den
pensionierten Professor Takashi (Tadashi Okuno), den Schlaf, den sie
vor der anstehenden Prüfung bitter nötig hätte, sowie die
Möglichkeit, sich mit ihrer Grossmutter zu treffen, welche
kurzfristig einen eintägigen Tokio-Besuch angekündigt hat. Bei
Takashi angekommen, verzichtet Akiko auf das ihr angebotene
Abendessen und legt sich sogleich ins Bett. Am nächsten Morgen fährt
ihr Gastgeber sie zur Universität, wo er mit Noriaki ins Gespräch
kommt, der ihn für Akikos Grossvater hält.
Die Feinheiten und Fallgruben menschlicher Interaktion sind für
Abbas Kiarostami (Where Is the Friend's Home?, Taste of
Cherry, The Wind Will Carry Us), 72, kein Neuland: Schon Close Up (1990), sein satirisch angehauchtes Stück Cinéma
vérité um eine absurde Verwechslung, zeigte die Fährnisse von
Missverständnissen, die aus Höflichkeit nicht aufgeklärt werden.
Seit er jedoch seinem geliebten Heimatland zumindest vorübergehend
den Rücken gekehrt hat, scheint ihn dieses Thema mehr denn je zu
inspirieren. Insofern ist Like Someone in Love, sein zweiter
ausserhalb des Irans gedrehter Spielfilm, eindeutig ein Begleitwerk
zu Copie conforme von 2010, wo das Gespräch zweier Fremder
plötzlich in den Dialog eines desillusionierten Ehepaars
überleitete. Hier beschäftigt sich Kiarostami mit dem Versuch –
und dem Scheitern – der Kommunikation: zwischen den Geschlechtern,
zwischen den Generationen (Anklänge an Japans Filmemacher-Legende
Yasujiro Ozu), zwischen den Menschen.
Akiko (die herausragende Rin Takanashi) steht vor einer wegweisenden
Nacht.
© Praesens Film |
Er zeigt ein zweigeteiltes Tokio, neonfarbene Glitzerwelt bei Nacht,
unspektakuläre Betonwüste bei Tag, in dem die Stimmen aus Radios
und Mobiltelefonen kommen, in dem stets über unsichtbare Dritte
gesprochen wird, wo selbst das Gegenüber, wenn überhaupt, nur
verschwommen wahrnehmbar ist. In diesem unpersönlichen Moloch aus
zwischenmenschlichen Barrieren und kodierten Verhaltensregeln –
warum er über den Witz lacht, möchte Akiko wissen; "Weil es eben
ein Witz ist", antwortet Takashi –, den auch Wong Kar-wai schon
in In the Mood for Love thematisierte, ist es, so Kiarostami,
schier unmöglich, sich seinen Individualismus zu bewahren: Laut
Akiko vergeht kein Tag, an dem sie nicht mit jemand anderem
verglichen werde. Das gesellschaftliche Maskenspiel ist vollkommen:
Als Takashi den Part des Grossvaters übernimmt, wird klar, dass auch
seine jüngeren Gesprächspartner lediglich Rollen spielen –
Noriaki den Ehemann, Akiko (brillant gespielt von der faszinierend
ausdrucksstarken Rin Takanashi) das Escort Girl.
Das alles scheint letztlich auf die Frage hinauszulaufen, was denn
die monogame Liebe eigentlich ist und ob sie in dieser in Ritualen
gefangenen Welt überhaupt noch gilt. In Copie conforme konnten
sich zwei wildfremde Menschen eine ganze Ehe ausdenken; hier wird
eine Beziehung durch Wortlosigkeit am Leben erhalten. Der Titel ist
Programm: Es herrschen Unsicherheit, Vagheit, das Fehlen klarer
Bezeichnungen und Konturen. Diese Vielfalt an Motiven und Themen trägt Kiarostami mit
atemberaubender Schlichtheit und visueller Eloquenz vor. Auch deshalb
ist Like Someone in Love das kontrollierte, souveräne Werk
eines Meisters.
★★★★★
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