Peter Bieris Roman Nachtzug nach Lissabon, veröffentlicht
unter dem Pseudonym Pascal Mercier, avancierte nach seiner
Erscheinung 2004 zum Weltbestseller. Bille Augusts biedere Verfilmung
enttarnt den Stoff, wenn auch ungewollt, als reine Hochstapelei.
Wieder einmal hat der geschiedene Lateinlehrer Raimund Gregorius
(Jeremy Irons) eine schlaflose Nacht verbracht, wieder einmal
schleppt er sich lustlos in sein Berner Gymnasium. Doch auf dem Weg
dahin bewahrt er eine junge Frau davor, sich von der
Kirchenfeldbrücke in den Tod zu stürzen. Dies ist für Raimund der
Startschuss zu einer unglaublichen Entdeckungsreise: Im Mantel der
Frau findet er nebst einem Buch des portugiesischen Philosophen
Amadeu de Prado (Jack Huston) zwei Zugfahrkarten nach Lissabon.
Instinktiv tritt er die Reise an und forscht in Portugals Hauptstadt
nach der Geschichte de Prados, die von Liebe, Freundschaft, Verrat,
Tod, Literatur und der Salazar-Diktatur geprägt war.
Nachtzug
nach Lissabon wurde seit seiner Veröffentlichung in 32 Sprachen
übersetzt; die deutsche Originalfassung verkaufte sich bis heute
insgesamt zwei Millionen Mal. Auf dem Papier scheint die Kinoadaption
diesen beachtlichen Zahlen durchaus gerecht zu werden: Fünf
Produktionsfirmen
ermöglichten ein stattliches Budget; mit Bille August (Pelle the
Conqueror, The Best Intentions) wurde ein mehrfach
preisgekrönter Regisseur mit weltweitem Renommee verpflichtet; das
Schauspiel-Ensemble ist durchsetzt von grossen Namen wie Irons, Bruno
Ganz, Tom Courtenay, Charlotte Rampling und Christopher Lee. Doch
diese grossspurige Internationalität ist nur das erste von etlichen
Mankos, welche Night Train to Lisbon belasten.
Während die Tatsache, dass im Sinne von Hauptdarsteller Irons
Englisch kurzerhand zur Berner Amtssprache erhoben wird – eine
Umstellung, der sich auch "unser" Hanspeter Müller-Drossaart
fügen muss –, zwar noch amüsiertes Schmunzeln evoziert, zumal der
Besuch der Bundesstadt recht kurz ausfällt, wiegt die Entscheidung,
Engländer, Deutsche, Franzosen und Schweizer mit der Aufgabe zu
betrauen, Portugiesen zu spielen, um einiges schwerer. Dies führt zu
einem surreal-grotesken Panoptikum an Akzenten, in dem die ordnende
Hand Augusts offenkundig versagt hat. So erhebend es sein mag, Mimen
wie Christopher Lee – oder auch dem angenehm gedämpft auftretenden
Jeremy Irons – dabei zuzusehen, wie sie sich trotz dieses
missglückten Kunstgriffs zu entfalten wissen, so desillusionierend
ist es, hochbegabte Darsteller wie Bruno Ganz, Martina Gedeck oder
Tom Courtenay als geradezu lächerliche Fehlbesetzungen zu erleben.
Im Bann der Literatur: Lateinlehrer Raimund Gregorius (Jeremy Irons)
reist wegen eines Buches nach Lissabon.
© Frenetic Films
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Unterstützt wird dieses schauspielerische Scheitern durch die
blutleere Erzählung, welche die Autoren Greg Latter und Ulrich
Herrmann aus den Tiefen von Bieris 500-seitigem Wälzer gehoben
haben. Night Train to Lisbon kettet sich an seine Vorlage:
Dialogzeilen werden verbatim übernommen – daran leidet besonders
die Darbietung Charlotte Ramplings –, die Handlung wird Punkt für
Punkt abgearbeitet, den Figuren fehlen Motivation und Schattierungen.
Wäre die Geschichte nicht auf zwei Zeitebenen gestellt, stünde die
Handlung wohl komplett still.
In diesem unfilmischen Rahmen zeigen sich dann auch die Schwächen
von Bieris Prosa. Plötzlich erscheinen seine philosophischen
Exkurse, getarnt als die Gedanken de Prados, über das Leben und die
grausame Ewigkeit als banale Allgemeinplätze. Die melancholische
Suche des schöngeistigen Gregorius nach dem Unantastbaren erinnert
auf einmal an The Words und The Woman in the Fifth –
genauso hochgestochen, genauso aufgeblasen, genauso leer. So ist der
wohl grösste Wert, der sich aus Night Train to Lisbon ziehen
lässt, die Ermutigung, seine Vorlage neuerlicher kritischer
Evaluierung zu unterziehen.
★★
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