Während hierzulande gerne die Trivialisierung der Politik beklagt wird, zeigt das leichtfüssige Dokudrama No, Chiles erster für den Fremdsprachen-Oscar nominierter Film, wie man damit die Massen ansprechen und sogar eine Diktatur stürzen kann.
1988 steht Chile am Scheideweg. 14 Jahre lang ist Diktator Augusto
Pinochet an der Macht, "legitimiert" durch eine gut situierte
Mittelschicht, welche die Augen vor dem Preis ihres Erfolges
verschliesst: Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der
Armutsgrenze, Proteste werden brutal niedergeschlagen, Andersdenkende
verschwinden spurlos. Wegen steigenden internationalen Drucks sieht
sich Pinochet gezwungen, sein Volk darüber abstimmen zu lassen, ob
er sein Amt weitere acht Jahre ausüben darf. "Sí" ist eine
Stimme für ihn, "No" für die Opposition. Um die ihnen an
täglicher Fernsehzeit zustehende Viertelstunde optimal auszunutzen,
verpflichten die No-Verfechter den Werbeexperten René Saavedra (Gael
García Bernal), der eine erfolgreiche Kampagne auf die Beine stellt.
Dieses Engagement bleibt allerdings nicht unbemerkt: Familie, Freunde
und auch er selber geraten ins Visier des staatlichen
Einschüchterungsapparates.
Tränengas liegt in der Luft, Demonstranten flüchten vor einer Armee
bewaffneter Polizisten. Über die Bilder sind Texttafeln gelegt; sie
zeigen, wie viele willkürliche Verhaftungen das Pinochet-Regime zu
verantworten hat, wie viele Exilanten, wie viele Exekutionen. Das
karge Fazit: "No". Ob sie glauben, damit die Wahl gewinnen zu
können, möchte René Saavedra wissen. Nein, aber darum gehe es auch
nicht, lautet die Antwort. Das Ziel sei, Aufmerksamkeit zu erregen.
Wenig später legt Saavedra seine Vision vor, eingeführt mit der
immer gleichen Versicherung, dass der folgende Clip "in den
gegenwärtigen sozialen Kontext Chiles passt". Fröhliche Menschen
singen und tanzen, alles ist bunt; Freiheit und Freude sollen fortan
die Opposition inspirieren. Die neue Botschaft lautet "No más", "nicht mehr": Schluss mit der Armut, Schluss mit der Angst,
Schluss mit der Diktatur.
Kreative Pause: Werbefachmann René (Gael García Bernal) übernimmt
die gefährliche Aufgabe, die Fernsehkampagne gegen Diktator Pinochet
zu gestalten.
© cineworx
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Larraíns primäres Bestreben ist es jedoch, sich vor den Helden des
Plebiszits von 1988 zu verneigen. Dabei erweist sich das Medium, eine
alte U-matic-Videokamera, als ideales Stilmittel: Archivaufnahmen
verbinden sich nahtlos mit inszeniertem Material. Fast könnte die
Illusion entstehen, No wäre aus den Archiven Santiagos gehoben
worden – wären da nicht Larraíns gezielte Brüche: Dialoge werden
trotz abrupter Schauplatzwechsel ohne Unterbrechung fortgeführt,
sich selber spielende Protagonisten, etwa der heute 94-jährige
Patricio Aylwin, Pinochets Nachfolger, erscheinen in den
No-Werbespots plötzlich viel jünger. Mit Kniffen wie diesem
unterstreicht Larraín seinen Anspruch, nicht Dokumentation, sondern
Kunst mit hohem Unterhaltungswert machen zu wollen. Etwas mehr
Substanz hätte No zwar nicht geschadet, doch über das
Resultat lässt sich nicht streiten.
★★★★
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