Der britische Humor, ein zentrales Element der nationalen Identität,
ist längst zum international bekannten kulturellen Stereotypen
geworden. Diesen dreht Regisseur Ben Wheatley in seinem neuen Film,
dem zynischen Roadmovie Sightseers, nun genüsslich durch den
Fleischwolf.
Seit drei Monaten sind Mauerblümchen Tina (Co-Autorin Alicia Lowe)
und Möchtegern-Literat Chris (Co-Autor Steve Oram) ein Paar. Die
beiden schweben nach wie vor auf Wolke sieben – trotz der
missbilligenden Kommentare von Tinas Mutter – und beschliessen, zu
einer einwöchigen Wohnwagentour aufzubrechen. Von den heimischen
Vorstädten Birminghams aus soll es nach Derbyshire und Yorkshire
gehen, wo die touristischen Verlockungen alles andere als dünn gesät
sind: Es stehen viktorianische Viadukte, Tropfsteinhöhlen, keltische
Steinkreise sowie Tram- und Bleistiftmuseen auf dem Programm. Doch
die Freude an der Reise wird durch unhöfliche Proleten, nervige
Teenager und arrogante Nachbarn im Wohnwagenpark getrübt. Bald
entwickeln Tina und Chris ihre eigenen, gewalttätigen Methoden, mit
den Störungen umzugehen.
John Major, der ehemalige Premierminister Grossbritanniens,
definierte sein Land einmal als "Ort der langen Schatten auf
Cricket-Feldern, des warmen Biers, der uneinnehmbaren Vororte, der
Hundeliebhaber, der alten Jungfern, die mit ihren Fahrrädern den
Morgennebel durchbrechen". Es ist eine nostalgische Perspektive auf
ein Land, das sich seit Jahren in einer Identitätskrise zu befinden
scheint: Sind Fish and Chips wirklich englischer als Curry? Ist es
möglich, sich guten Gewissens auf das sprachliche Erbe William
Shakespeares zu berufen, wenn im United Kingdom heute mehr Sprachen
als in jedem anderen europäischen Land gesprochen werden? Dass im
Angesicht von Globalisierung und kulturellem Umbruch sprichwörtliche
Tugenden wie Höflichkeit und Fairplay oft nur noch Fassade sind,
wurde im jüngeren englischen Kino bereits mehrfach abgehandelt, etwa
in Stephen Frears' Tamara Drewe. Ben Wheatley zieht diesen
Ansatz in Sightseers jedoch weiter und zeigt: Mittlerweile sind
jene Markenzeichen nicht einmal mehr eine Fassade. Aus den
herausragenden Charaktereigenschaften sind unübersehbar leere
Floskeln und Rituale geworden.
Es ist was faul im Staate England: Chris (Steve Oram) und Tina
(Alicia Lowe) stossen auf ihrer Wohnwagenreise bald an ihre Grenzen.
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Wheatley stellt dieser zynischen Dekadenz eines Volkes, das zur
Karikatur seiner eigenen
Stereotypen geworden ist, eine geradezu penetrant britische Kulisse
entgegen. Die Reise von Chris und Tina führt sie durch das Herz
Britanniens – ein veritables "Heart of Darkness" –, wo der
Sommer grau ist, wo die Ortschaften Redditch, Kidderminster,
Bromsgrove, Crich und Ribblehead heissen, wo jedem Alltagsgegenstand
ein Museum gewidmet ist, wo Mittel- und Arbeiterklasse via Motorway
das eigene Land erkunden. In dieser Umgebung sind die beiden
Hauptfiguren Barbaren unter Barbaren, die sich einzig durch ihren
zunehmend an Bonnie und Clyde erinnernden Fatalismus von der Masse
abzuheben scheinen. Motivation schimmert nur sporadisch hindurch –
als wäre er ein General des einstigen Empires, murmelt Chris "I
just want to be feared and respected"; ansonsten inszeniert
Wheatley sie als Vertreter eines düstereren, archaischeren Englands,
wo Konflikte mit Waffen gelöst werden, unterlegt mit William Blakes
Gedicht "And Did Those Feet in Ancient Time".
Doch obwohl Sightseers mit seinem rabenschwarzen Humor und
seinen die Grenzen des guten Geschmacks immer wieder aufs Neue
auslotenden Bildern – der Einfluss der Anarcho-Komikertruppe The
League of Gentlemen ist spürbar – durchgehend zu faszinieren
weiss, so verfehlt es Wheatley, es seinen Vorbilderwerken, Lindsay
Andersons Doppelschlag If... und O Lucky Man!, in Sachen
Wucht und Aussagekraft gleichzutun. Zu ziellos irrt die Handlung
umher, zu viel will er aufgreifen und zerlegen.Was bleibt, ist ein
provokanter Angriff auf die Sehgewohnheiten des Publikums, ein
hintersinniges Porträt eines postmodernen Grossbritanniens. Doch
nebst alledem scheint Laurie Roses Kameraarbeit sagen zu wollen:
England ist so schön wie eh und je. Nur die Menschen sind verrückt
geworden.
★★★
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