Der belgische Regisseur Felix Van Groeningen zieht in seinem neuen Film alle dramatischen Register: The Broken Circle Breakdown handelt von stürmischer Liebe, unbändiger Trauer und musikalischer Leidenschaft – ein wuchtiges Drama, getragen von einem erlesenen Bluegrass-Soundtrack.
Zuallererst ist The Broken Circle Breakdown aber ein Beleg
dafür, dass Namen keineswegs Schall und Rauch sind. Aus
unerfindlichen Gründen wird der Film in der Schweiz unter dem Titel The Broken Circle vertrieben, was zwar weniger sperrig klingt,
dem Ganzen aber zahlreiche Assoziationen raubt. "Breakdown" kann
das Scheitern einer Beziehung bedeuten oder das Beenden einer
medizinischen Prozedur – beides Themenkreise, die Van Groeningen
(The Misfortunates) aufgreift. Im Bluegrass-Genre hingegen
beschreibt das Wort ein Instrumentalstück; berühmtestes Beispiel
dafür ist wohl der durch Arthur Penns Bonnie and Clyde berühmt
gewordene "Foggy Mountain Breakdown" von Lester Flatt und Earl
Scruggs. Darauf verweist wiederum die dynamische nonlineare
Dramaturgie, welche sich wie eine Art filmisches Medley aus
ungewöhnlich vielen Montagesequenzen zusammensetzt.
Erzählt wird dabei die tragische Geschichte von Didier (ein
umwerfender Johan Heldenbergh) und Elise (Veerle Baetens). Er ist ein
passionierter Banjo-Spieler, sie Tätowiererin, und bald nachdem sie
ihn Ende der Neunzigerjahre kennenlernt, Sängerin in seiner Band,
wodurch die beiden zu flämischen Nachfahren im Geiste grosser
Country- und Bluegrass-Duos werden: Johnny Cash und June Carter,
deren Ikonografie Kameramann Ruben Impens immer wieder zitiert;
George Jones und Tammy Wynette, Porter Wagoner und Dolly Parton. Nach
mehreren Jahren glücklicher Ehe erhält das Paar eine
niederschmetternde Nachricht: Ihre mittlerweile siebenjährige
Tochter Maybelle (Nell Cattrysse), benannt nach der legendären
Maybelle Carter, ist an Krebs erkrankt.
Ein musikalisches Paar: Elise (Veerle Baetens) singt in der
Bluegrass-Band ihres Mannes Didier (Johan Heldenbergh).
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Van
Groeningens Herangehensweise steht in krassem Kontrast zum kühleren
Stil anderer zeitgenössischer belgischer Filmemacher wie etwa der
Dardenne-Brüder oder Michaël Roskam (Bullhead); die
italienische Inbrunst
eines
Daniele Luchetti (La nostra vita) steht ihm näher. Die
Emotionen in The Broken Circle Breakdown sind roh und
unmittelbar, ungebrochen durch übertrieben analytische Distanz. Doch
der Film ist weit davon entfernt, sich der blossen Gefühlsduselei
hinzugeben. Dank sorgsam ausgearbeiteter Konflikte (Didier ist ein
atheistischer Romantiker, Elise eine religiöse Realistin) und
Figuren, zu deren primären Charakteristika auch ein Sinn für
warmherzigen Humor zählt, verfehlt die zwischenmenschliche Tragödie
des zerstörten Familienkreises ihren Zweck nicht; sie ist von einer
emotionalen Kraft, die man in diesem Ausmass im modernen Kino gerne
öfter sehen würde.
Der womöglich grösste Coup, den Van Groeningen in seiner
Inszenierung landet, ist jedoch sein Einsatz von Musik, welche er
nicht nur rhythmisch und mitreissend auf die Leinwand zu bannen
versteht, sondern ins dramaturgische Zentrum seines Films stellt.
Diverse Schlüsselmomente spielen sich während der herausragenden
Interpretationen klassischer Songs ab ("Will the Circle Be
Unbroken?", "Wayfaring Stranger", "If I Needed You"),
gesungen von Heldenbergh und Baetens, begleitet von der Broken Circle
Breakdown Bluegrass Band. Entwicklungen werden dezent signalisiert,
finden mittels subtiler Blickwechsel und sprechender Mimik statt. The Broken Circle Breakdown ist ein Exemplar jener seltenen
Sorte von Dramen, welche die grossen Gefühle zelebrieren, ohne ihr
Publikum mit klischierter Rührseligkeit zu manipulieren. Ein Film,
der alle richtigen Töne trifft.
★★★★★