Als
Vorlage diente Mungiu eine reale Begebenheit, ein Exorzismus mit
tödlichem Ausgang, der sich 2005 in einem nordrumänischen Kloster
zugetragen hat. Daraus spinnt er eine hochkomplexe, von moralischer
und emotionaler Ambiguität geprägte Filmparabel um die Liebe zweier
grundverschiedener Frauen. Nachdem sie einige Jahre in Deutschland
verbracht hat, kehrt Alina (Cristina Flutur) nach Rumänien zurück,
um ihre innig geliebte Freundin aus Kinder- und Jugendtagen
wiederzusehen. Doch Voichiţa
(Cosmina Stratan) lebt mittlerweile als Nonne in einem abgelegenen
orthodoxen Kloster, welches vom ansässigen Priester (Valeriu
Andriuţă), Papa genannt, nach strengen Regeln geführt wird.
Frustriert von der Aufopferung ihrer einstigen Geliebten, wird Alina
von einer rasenden Eifersucht ergriffen, die in tätlichen Angriffen
auf Bewohnerinnen des Konvents gipfelt, woraufhin sie unter
beträchtlichem Kraftaufwand ins örtliche Krankenhaus gebracht wird.
Da dort der Platz aber begrenzt ist, legt der behandelnde Arzt
Voichiţa sowie der Mutter Oberin (Dana Tapalagă) nahe, Alina
vorübergehend im Kloster aufzunehmen, wo sie zur Ruhe kommen soll –
sehr zum Missfallen Papas.
Wie
schon 4
Months, 3 Weeks and 2 Days ist
Beyond
the Hills tief
im Stil der rumänischen neuen Welle verwurzelt; sozialer Realismus
und formale Austerität sind der Modus operandi. Mit langen, brillant
orchestrierten Einstellungen, immer hautnah am Geschehen, erzählt
Cristian Mungiu eine emotional distanzierte Geschichte aus dem
modernen Rumänien, wo Männer ihre Frauen des Hexentums bezichtigen,
Ärzte ihren Patienten empfehlen, zusätzlich zum Medikamenten-Konsum
auch das gute Buch zu konsultieren, und jeder jemanden kennt, dessen
Bekannter durch Gebete von einer schlimmen Krankheit geheilt wurde.
Anders jedoch als in seinem von Robert Altman und Miloš
Forman
beeinflussten Palme-d'Or-Gewinner, scheint Mungiu hier von
existenzialistischen Fragen getrieben zu sein, was seinen neuen Film
eher in den Dunstkreis Andrei Tarkovskys oder Béla Tarrs versetzt.
Der beschwerliche Weg des Herrn: Voichiţa (Cosmina Stratan, links) führt ihre Freundin Alina (Cristina Flutur) zum Kloster "jenseits der Hügel". © Frenetic Films |
Das philosophische Zentrum stellt dabei der Umgang des Menschen mit
der Religion dar. Nicht umsonst ist immer wieder ist die Rede von
unerreichbaren, oder zumindest unerreichbar scheinenden, Orten
(Deutschland, das Land der finanziellen Aufstiegsmöglichkeiten;
Istanbul, das Zentrum der orthodoxen Welt; der für die Nonnen
verbotene Altarraum), stellt doch gerade dieses unsichere Versprechen
ein Grundpfeiler religiöser Überzeugung dar. Mit abgründiger
Ironie zeigt Mungiu auf, wie der Glauben den Gläubigen dazu
verleiten kann, Dingen eine inexistente übersinnliche Dimension
anzudichten: Neben ihren von akuten Krampfanfällen begleiteten
Wutausbrüchen spreche Alina überdies in einer fremden Stimme,
berichten die Nonnen Voichiţa; sie fluche, sie habe Visionen, sie
grinse diabolisch, weshalb sie auf eine kreuzförmige Planke gebunden
werden müsse. Zu sehen oder zu hören ist all dies freilich nicht.
Auch
Sinn und Unsinn der Entscheidung, sein Leben Gott zu widmen, wird in
Beyond
the Hills erkundet.
Unter dem wachsamen Auge der Kirche ist der Mensch, ob er sich nun
den Versuchungen der liberalen Stadt oder der klösterlichen Askese
hingibt, grundsätzlich schlecht, Absolution nur durch die Beichte
möglich. Auf die Spitze getrieben wird dieser sardonische Blick in
einer der absurdesten Szenen des Films: Um ihr dabei zu helfen, ein
rechtschaffenes Leben zu führen, händigt Papa Alina ein Buch aus,
das eine fein säuberlich aufgestellte Liste von 464 Sünden enthält.
Punkt für Punkt notiert sie sich, mit Unterstützung der
Ordensschwestern, ihre Fehltritte, bis sie bei Sünde Nummer 21
resigniert und den Stift niederlegt. Lohnt es sich überhaupt, sich
nach diesen Regeln zu richten, wenn sogar das Versäumnis, über die
Nichtexistenz Gottes nachzudenken, eine Sünde ist?
Kenne deine Sünden: Der Pfarrer (Valeriu Andriuţă) führt das Kloster mit eiserner Faust. © Frenetic Films |
Dies als eine pauschalisierte Anklage der Religion zu lesen, wird
durch Mungius Figurenzeichnung allerdings nicht unterstützt. Zwar
finden sich während des Films immer wieder Andeutungen auf mögliche
Motivationen und Hintergründ: Die Beziehung zwischen Alina und
Voichiţa hat eine unübersehbare sexuelle Dynamik – ein starker
Kontrast zur rigideren göttlichen Liebe, die Voichiţa zu erfahren
glaubt –, welche, ebenso wie die näheren Umstände von Alinas
krankhaftem Zustand, nie explizit erwähnt wird. Ein nebulöser
Deutscher, der regelmässig das örtliche Waisenhaus besucht, in dem
die beiden Hauptfiguren aufgewachsen sind und wo er die
heranwachsenden Insassen fotografiert, scheint Alina mit der
Frauenhandel-Mafia in Verbindung zu bringen, derweil Voichiţas
devote Verehrung Papas ödipale Züge tragen könnte. Doch weder ist
die unhöfliche Alina, das Opfer eines zusehends perfider und
brutaler werdenden Exorzismus-Rituals (wenngleich das Wort
"Exorzismus" niemals Erwähnung findet), ein sonderlich
sympathischer Charakter, noch wirkt Papa wie ein fanatischer Despot,
der die "sündige" Besucherin mutwillig in den Tod treibt,
noch scheint die fromme Voichiţa mit ihrem Lebenswandel unzufrieden
zu sein.
Letztendlich
inszeniert Mungiu die Religion als bloss eine von vielen menschlichen
Neurosen. Er benutzt den nicht näher definierten Wahnsinn Alinas, um
sie als abstruses und heuchlerisches – aber nicht axiomatisch böses
– System zu entlarven: Als Papa schliesslich von der Polizei
gestellt wird, versucht er zunächst mit priesterlicher Leidenschaft
seine Taten zu verteidigen, bis ihn einer der Beamten daran erinnert,
dass "man zu seinen Fehlern stehen muss", dass man, wie
Papa stets zu sagen pflegt, "beichten und bereuen" soll.
Mit Besonnenheit, Klarsicht, Intelligenz und filmischer Verve
propagiert Beyond
the Hills einen
kritischen Umgang mit Religion, einer gut gemeinten Einrichtung, die
sich viel zu schnell jener Grausamkeit ergibt, die sie zu bekämpfen
versucht.
★★★★
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