Die Probleme beginnen schon im
Ansatz: Mia (Joëlle Witschi), 16, wird Off-Screen von ihrem Freund
Andi verlassen, woraufhin ihre zwei Jahre ältere Schwester Laura
(Deleila Piasko) sie dazu ermutigt, sich an ihm und den Männern
("alles die gleichen Scheisstypen") zu rächen. Zu diesem
Zweck hecken die beiden einen fiesen Plan aus: Auf einer
Onlinedating-Plattform suchen sie sich einen arglosen Teenager, den
Mia verführen und wenig später so herzlos wie möglich
abservieren soll. "Aber wie räche ich mich so denn an Andi?",
will Mia verständlicherweise wissen. Lauras Reaktion ist keine
Antwort, sondern eine vitriolische Tirade gegen das männliche
Geschlecht; danach wird das Thema nie wieder aufgegriffen. Somit
basiert Boys Are Us auf
der Idee, dass ein Mädchen ihrem Ex-Freund den von ihm verursachten
Schmerz heimzahlt, indem sie jemanden schikaniert, den weder er noch
sie jemals zu Gesicht bekommen hat. Lasst, die ihr eintretet, alle
Logik fahren.
Luisi mag seinen Film unter das Motiv der emotionalen Gewalt und
deren Auswirkungen auf menschliches Handeln gestellt haben, womit
sich obiges Plotloch vielleicht wenigstens notdürftig erklären
lässt, doch auch dieses bleibt sträflich unterentwickelt –
allerdings nicht auf Grund fehlenden Bemühens. Im Gegenteil: Um dem
Publikum seine ungeschickt an die Handlung geheftete Ideologie –
prätentiöses, seltsam fehlplatziertes Geschwurbel über die
Individualität des Einzelnen – zu vermitteln, hat Luisi die Rolle
des Opfers von Mia und Laura gleich dreifach besetzt: Nicola Perot,
Peter Girsberger und Rafael Mörgeli spielen Timo, einen sensiblen
18-jährigen Hobby-Gitarristen, dessen Facetten bei jedem der drei
Jungschauspieler verschieden akzentuiert werden: Girsberger gibt den
psychisch angeschlagenen Optimisten, Mörgeli den sich langsam im
"echten Leben" zurechtfindenden jungen Erwachsenen, Perot
den Charmeur. Natürlich lässt sich der von der Liebe gleichermassen
enttäuschte Rekrut von Mia bezirzen; natürlich sieht sie in ihm,
zum Ärger ihrer Schwester, bald mehr als ein Opfer.
Intrige im Internet: Mia (Joëlle Witschi) sucht sich einen arglosen Teenager, dem sie den Laufpass geben kann. © Secondo Film GmbH |
Warum Boys
Are Us mit drei
männlichen Protagonisten jongliert, wird nie schlüssig
gerechtfertigt. Angesichts der Tatsache, dass Luisi selbst bei der
bescheidenen Laufzeit von 73 Minuten – 15 Minuten kürzer als der
genauso wenig überzeugende, aber dafür stringentere Der
Sandmann – Platz für
schlicht irrelevante Szenen gefunden hat, drängt sich der Gedanke
auf, dass die Dreifachbesetzung hauptsächlich dazu dient, den Film
auf Spielfilmlänge zu
strecken. Dank eines souveränen Schnitts gelingt es Luisi zwar, die
Handlungsstränge nachvollziehbar miteinander zu verschalten und
mitunter sogar die Darsteller innerhalb einer Szene auszuwechseln,
doch die Tatsache, dass er dies kann, bedeutet in diesem Fall nicht,
dass er es auch sollte.
Grund dafür ist sein nur
oberflächlich originelles Drehbuch, welches dermassen schwerfällig
daherkommt, dass der gute Geschmack es verbietet, die sich
wiederholenden Szenen mit Groundhog
Day in Verbindung zu
bringen. Nicht nur leidet der Film unter der hölzernen
Helvetisierung hochdeutscher Dialoglinien ("Lass eus det hi
ga"), sondern auch unter Luisis eklatanter Missdeutung
jugendlichen Verhaltens. Konnte sich unlängst ein Regisseur wie
Stephen Chbosky (The
Perks of Being a Wallflower)
dadurch profilieren, die Stimmung dieses Milieus mit viel Verständnis
und frei von Klischees eingefangen zu haben, bietet Boys
Are Us die
Vogelperspektive eines Erwachsenen, dem jegliche Jugendkultur fremd
zu sein scheint. Er vermittelt seine
gezwungene Botschaft,
indem er sich in eine peinlich überzeichnete Welt scheinbar
elternloser Adoleszenten stürzt, welche sich naiv und ohne jede
Vorsicht in virtuelle Liebesabenteuer stürzen, während in der
echten Welt oft ein Augenkontakt genügt, um gemeinsam im Bett zu
landen.
Inmitten dieser Ansammlung
kulturpessimistischer Gemeinplätze, welche zweimal, womöglich
unbeabsichtigt, David Finchers Meisterstück The
Social Network zitiert,
sich in ihrer
Darstellung des
Internets und der Web-Gemeinde aber eher auf dem Niveau von Gregory
Hoblits Schund-Thriller
Untraceable bewegt,
bleibt kaum einem Beteiligten genug Raum zur Entfaltung. Wie schon in
Verflixt verliebt,
Luisis bestem Film, bewegt sich Nicolo Settegrana mit seiner Kamera
behände durch die engen Appartements der Figuren, was wegen der
steril-einfallslosen Inszenierung jedoch weniger dessen
frechen Pseudo-Naturalismus, sondern eher die leere Ästhetik der
Fernsehwerbung evoziert. Auch seinen Schauspielern tut der sich
inhaltlich wie stilistisch penetrant um sich selber drehende Film
keinen Gefallen: Gefangen in künstlichen, eindimensionalen Rollen,
ist ihr ausnahmslos leidenschaftliches Spiel das einzig Lebendige an
den drei Hauptfiguren, im Guten (Witschi, Girsberger) wie im
Schlechten (Piasko, Mörgeli).
Opfer gefunden: Timo (Peter Girsberger, einer von drei Darstellern) frühstückt mit Mia und ihrer hinterhältigen Schwester Laura (Deleila Piasko). © Secondo Film GmbH |
Neben seiner unsinnigen Prämisse,
seiner zweifelhaften Auffächerung der männlichen Hauptrolle (wollte
Luisi keinen der Casting-Finalisten enttäuschen?) und seiner
verwirrten Darstellung der "heutigen Jugend" verweigert
Boys Are Us darüber
hinaus die Antwort auf eine weitere, eigentlich unausweichliche
Frage: Was mag Peter Luisi dazu bewogen haben, seinen grundsätzlich
passenden, wenn auch ein wenig platten, Arbeitstitel Mias
Blog durch eine allzu
offensichtliche, völlig aus der Luft gegriffen wirkende Anspielung
auf eine internationale Ladenkette zu ersetzen? Verweist die
Entscheidung etwa auf die mehrfach wiederholte Äusserung, Mia und
Laura betrieben ein sadistisches Spiel ("Boys Are Ours"?),
ein "funny game" nach Michael Haneke? Luisi provoziert
keine Diskussionen, weder über die digitale Generation, noch über
emotionale Gewalt. Er beweist sich und der Welt, dass er nonlineare
Geschichten erzählen kann. Da dies aber keinen erkennbaren
gefühlsmässigen, intellektuellen oder cineastischen Wert hat,
verwandelt sich der Kinobesuch in eine entmutigende, weil fruchtlose,
Sinnsuche, an deren Ende die Schlussfolgerung steht: Boys
Are Us ist ein
sinnloser Film.
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