F. Scott Fitzgeralds The Great Gatsby gilt als der vielleicht beste Roman aller Zeiten. Der fünfte Versuch einer Filmadaption, inszeniert von Baz Luhrmann, ist ein zeitgemässes Porträt einer von Prunk und Pomp besessenen Gesellschaft – aber auch eine Bankrotterklärung seines Regisseurs.
Im Sommer 1922 ist New York das wirtschaftliche und kulturelle
Zentrum der Welt: Die Börse boomt, am Broadway schwingen die "Ziegfeld Follies" die Beine, Bewunderer(innen) von Douglas
Fairbanks und Rudolph Valentino füllen die Lichtspielhäuser; der
billige, weil illegale, Alkohol fliesst in den zahllosen Speakeasys
in Strömen; wer es sich leisten kann, feiert jede Nacht bis zum
Morgengrauen durch. Fasziniert davon ist auch der junge
Weltkriegsveteran und angehende Schriftsteller Nick Carraway (Tobey
Maguire), der ein kleines Haus auf Long Island bezieht und an der
Wall Street sein Glück versuchen will. Von seiner Cousine Daisy
(Carey Mulligan) und deren Ehemann Tom (Joel Edgerton) erfährt er
von einem stadtbekannten Lebemann namens Gatsby (Leonardo DiCaprio),
der, wie sich herausstellt, die Villa neben Nicks Hütte bewohnt.
Während einer von Gatsbys rauschenden Partys treffen sich die beiden
erstmals und werden zu Freunden. Bald schon bittet Gatsby Nick, der
nach und nach auch die dunklen Seiten von New Yorks Hautevolee
kennenlernt, darum, ein Treffen mit Daisy, seiner einstigen
Geliebten, zu arrangieren.
"What's
all this for?", fragt der überwältigte Nick seinen neuen Freund,
das dekadente Spektakel betrachtend, welches sich in dessen mit
imposanten Memorabilia aus aller Herren Länder ausgestatteten
Schloss abspielt. Es ist eine der zentralen Fragen aus F. Scott
Fitzgeralds Jahrhundertroman, verfasst im Jahr 1925 – bevor die
Weltwirtschaft kollabierte, bevor Fitzgeralds Ehe zu bröckeln
begann, bevor er sich um seine Gesundheit trank. Wozu der
besinnungslose Überfluss, das Leben, als gäbe es kein Morgen? Diese
Frage im Jahr 2013 zu stellen, nach der "grossen Rezession", die
ganze Staaten an den Rand des Ruins getrieben hat, hat etwas
erfrischend (sic) Zynisches; sie verleiht dem Film eine
gesellschaftskritische Dimension, wie man sie seit Romeo + Juliet (1996) bei Baz Luhrmann (Moulin Rouge!, Australia) nicht
mehr gesehen hat. Ganz bewusst stellt er eine Verbindung zwischen
Fitzgeralds New York, wo sich in den gesetzeswidrigen Bars Politiker
und Gangster die Hand reichen, und der Gegenwart her, in der, keine
fünf Jahre nach dem Kollaps, die Banker-Boni und die Spekulation
wieder ins Kraut schiessen.
Der junge Autor Nick Carraway (Tobey Maguire, links) wird vom
Lebemann Jay Gatsby (Leonardo DiCaprio) in die New Yorker Hautevolee
eingeführt.
© 2013 Warner Bros. Ent.
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Doch man könnte sie auch an Luhrmann selbst richten: "What's all
this for?" Denn der australische Regisseur ergötzt sich in The
Great Gatsby einmal mehr an seinem hyperaktiven, in opernhaftem
Exzess schwelgenden Stil. Knapp 45 Minuten lang bombardiert er sein
Publikum mit rasanten Schwenks, schwindelerregenden Kamerafahrten und
Einstellungen, welche kaum je länger als zwei Sekunden ausgehalten
werden. Kombiniert mit überwiegend zwecklosem 3-D, führt dies nicht
nur zu akuten Kopfschmerzen, sondern auch zu rascher Übersättigung;
bald wirkt der ganze Zirkus mitsamt seinen kunstvollen Schauwerten,
so sehr er auch zum Quellenmaterial passen mag, ermüdend.
Als endlich Fitzgeralds Geschichte die Überhand gewinnt, weicht
Luhrmanns fast unerträgliche Vision einem nüchterneren Tonfall,
durch den The Great Gatsby von der überdrehten Effektorgie zum
blutleeren, bleiern vorgetragenen Pseudo-Kammerspiel wird; jegliches
Leben verfliegt. Und da sich hinter Luhrmanns Glitzer-Fassade kein
wirklich begabter Regisseur verbirgt, hält sich der viel zu lange
Film einzig und allein deshalb über Wasser, weil er an strategischen
Punkten Fitzgeralds atemberaubende Prosa direkt zitiert. Vielleicht
ist der Roman gerade deshalb grosse Literatur: Seine ganze Wirkung
entfaltet er nur in geschriebener Form. Und dagegen kommt auch Baz
Luhrmanns seelenloses (dekadentes?) Spektakel nicht an.
★★
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