Wie fast jeder Film von Pixar beginnt auch Monsters University,
das Prequel zu Monsters, Inc. von 2001, einem approbierten
"Klassiker" der Studio-Historie, mit einem separat
produzierten Kurzfilm. The Blue Umbrella heisst der Nachfolger
von kleinformatigen Meisterwerken wie Geri's Game, For the
Birds, Presto oder natürlich Luxo Jr., die
Geschichte der kleinen Lampe, die bis heute das Firmenlogo ziert. Zu
Letzterem, dem eigentlichen Ausgangspunkt der
Pixar-Erfolgsgeschichte, kehrt The Blue Umbrella denn auch
zurück: Eines regnerischen Abends treffen sich ein blauer und ein
roter Regenschirm, verlieben sich und werden anschliessend durch
Wind, Wetter und die Bewegungen ihrer Besitzer wieder voneinander
getrennt.
Hier treffen Animationsfilm-Welten aufeinander. Das graue
Grossstadt-Setting ist fotorealistischer als alles, was Pixar in der
Vergangenheit aus Bits und Bytes auf die Leinwand gezaubert hat. Die
Figuren jedoch zeichnen sich durch totale Reduktion aus: Die
Regenschirme werden durch einige wenige Punkte und Linien – Augen
und Mund – charakterisiert, ihre städtischen Mitstreiter, die
ihnen dabei helfen, wieder zusammen zu finden, sind unveränderte
Strassenrequisiten: Regenrinnen, Briefkästen, Gullydeckel und
U-Bahn-Lüftungen erhalten durch Beleuchtung und minimale Bewegungen
eine Persönlichkeit; Schrauben werden zu Augen, Öffnungen zu
Mündern. Es ist eine wunderschöne Bestätigung von Pixars
Philosophie: Nicht die Animation erzeugt Film-Magie, sondern die
Geschichte, die erzählt wird, und die Figuren, von der sie bevölkert
wird. The Blue Umbrella geht zurück zu den Wurzeln des
Genres: Lebloses wird "animiert"; die vermittelten Gefühle
haben Vorrang vor der Bildqualität der Pixelmasse.
Es ist ein wichtiger Film, vor allem mit Blick auf den Zeitpunkt
seines Erscheinens. Nach dem durchschlagenden Erfolg von Toy Story
3, der Pixar den vierten Oscar für den besten Animationsfilm in
Folge einbrachte (eine Kategorie, zu deren Schaffung der originale
Toy Story massgeblich
beitrug), fiel das Studio, so die Meinung zahlreicher
Kritiker, in ein noch nie da gewesenes kreatives Loch. Cars 2
liess die Kritiker kalt, während Brave zwar zu gefallen
wusste, für viele aber den typischen "Pixar-Touch"
vermissen liess. Dass es sich nun bei Monsters University, dem
darauf folgenden Film, um eine weitere Fortsetzung handelte,
irritierte das Publikum weiter. Insofern kann The Blue Umbrella
auch als eine
Selbst-Ermahnung gelesen werden, als eine Erinnerung daran, wie
simpel grosse Trickfilm-Kunst sein kann.
Und diese hat Pixar in den
vergangenen 20 Jahren mit einer atemberaubenden Regelmässigkeit
produziert, dass es mit jedem neuen Eintrag schwieriger wird, ein
Publikum zufrieden zu stellen, das mit dem Anspruch ins Kino geht,
einen neuen The
Incredibles, einen
neuen Ratatouille,
einen neuen WALL-E,
einen neuen Up,
eine neue Toy Story
vorgesetzt zu bekommen. Natürlich müssen sich neue Projekte auch im
Kontext dieser imposanten Filmografie behaupten können, doch sie
pauschal dafür zu verurteilen, dass sie sich nicht mit den Werken
John Lasseters, Andrew Stantons, Lee Unkrichs und Brad Birds messen
können, wird ihnen nicht gerecht.
Heiteres Campus-Leben: Mike (oben, Stimme: Billy Crystal) will sich mit harter Arbeit gegen den faulen, aber talentierten Sulley (unten, John Goodman) als Schrecker beweisen. © Disney |
Auch Monsters
University, entstanden
unter der Regie von Quasi-Neuling Dan Scanlon,
wird nicht als
Höhepunkt von Pixars Œuvre in die Annalen eingehen. Zurückführen
lässt sich dies primär auf jene (wenigen) Momente, in denen die
studioübliche Verspieltheit ins allzu Kindliche übergeht, sowie auf
die reissbrettartige Dramaturgie, der anzumerken ist, dass die
Autoren Scanlon, Daniel Gerson (Co-Autor von Monsters,
Inc.) und Robert L.
Baird (Skript-Überarbeiter bei Monsters,
Inc.) gewisse
Konfliktsituationen erzwingen mussten.
Zwar ist die Grundidee des Films
zweifelsohne plausibel: Er spielt Jahre vor den Ereignissen in
Monsters, Inc.,
in einer Zeit also, in der die Monster-Dimension ihre Energie noch
aus Kinderschreien gewinnt,
und versetzt die
bekannten Helden, den einäugigen Grünling Mike Wazowski (Stimme:
Billy Crystal) und das grosse, haarige Ungeheuer James P. "Sulley"
Sullivan (John Goodman) an die renommierte "Monster University"
(ein veritables Monster-Hogwarts im Design eines Ivy-League-College),
an deren Schreck-Fakultät, geleitet von Dekanin Hardscrabble (die
perfekt besetzte Helen Mirren), sich die beiden in ihrem ersten
Semester einen erbitterten Konkurrenzkampf liefern. Mike durchforstet
sämtliche Bücher, um für sein harmloses Aussehen zu kompensieren,
während Sulley sich auf sein Talent und seine berühmte Familie
verlässt.
Entsprechend widmet sich diese
erste Hälfte im Stile einer Fernsehepisode jenen Möglichkeiten, die
ein solches Szenario bietet. In jedes Tableau werden so viele
ausgefallene Monster wie möglich projiziert – Jim Hensons Muppets
scheinen allgegenwärtig –, der Film erlaubt sich einige subtile
Anspielungen auf die universitäre Nerd-Kultur (The
Lord of the Rings,
Star Wars und
The Simpsons,
um nur drei zu nennen), Erzbösewicht Randall Boggs (ein köstlicher,
sich vom Aussenseiter zum Grobian entwickelnder Steve Buscemi)
bekommt einen Hintergrund, allerlei wohlbekannte Stereotypen werden
zitiert und teilweise uminterpretiert.
Um jedoch im zweiten Teil den
Einsatz zu erhöhen, dichtet der Film dem Schreck-Wettbewerb, an dem
Sulley und Mike, die inzwischen aus der Schreck-Fakultät
ausgeschlossen wurden, im Verbund mit der unbeliebtesten
Studentenverbindung teilnehmen, eine äusserst fadenscheinige Klausel
an, nach der die beiden abgewiesenen Erschrecker in spe der
Universität verwiesen werden, wenn sie aus dem Wettstreit
ausscheiden. Sieht man allerdings von diesem dünnen Stück
Plot ab, halten die zweiten 45 Minuten von Monsters
University einige
angenehme Überraschungen bereit. Der Erzählfluss wird stringenter,
der Humor bissiger, derweil die einzelnen Aufgaben der
Schreck-Olympiade die Fantasie von Autoren und
Animationsverantwortliche gleichermassen inspiriert zu haben
scheinen.
Schliesslich gelingt es Scanlons
Film sogar, mit einem überraschenden Schlussakt, der wieder einmal
zeigt, dass sich Pixar nicht mit einfachen Lösungen begnügt, den
mitreissenden, aber von zahlreichen Drehbuch-Neufassungen gehemmten
Brave zu
übertreffen. Dem unausweichlichen Ausgang der Schreck-Spiele folgt
eine lange, nüchterne (aber nichtsdestoweniger höchst
unterhaltsame) Passage, die, fest verankert auf dem Boden der
Tatsachen, den Einsatz tatsächlich erhöht und mit durch und durch
überzeugender Figurenzeichnung und -entwicklung die Voraussetzungen
für Monsters, Inc.
schafft.
Dass sich Monsters
University, wie bisher
nur wenige andere Filme von Pixar, am Ende (das sich,
sprechenderweise, überwiegend in der Menschenwelt abspielt) zur
sozialen Realität äussert, gerät darob fast zur Nebensache. Doch
genau betrachtet, wird hier die hoffnungsvolle, ja utopische Vision
einer wahren Meritokratie gefeiert, in der Talent und harte Arbeit
belohnt werden. Man kann seine Träume erfüllen, sagt der Film, zur
Not auch ohne akademische Ausbildung – eine starke Botschaft des
Trostes in einer Zeit, in der angesichts der angespannten
Wirtschaftslage viele amerikanische Studenten ihre College-Schulden
nicht mehr bezahlen können und somit die schmerzliche Möglichkeit
ins Auge fassen müssen, ihre universitäre Laufbahn aufzugeben.
★★★★