Die Zeit hat es nicht gut gemeint mit Superman, dem wohl bekanntesten
Superhelden aller Zeiten. Zwar erfreut er sich auch 80 Jahre nach
seiner Erschaffung durch Jerry Siegel und Joe Shuster grosser
Beliebtheit und ein Ende seines Daseins als amerikanische Kulturikone
ist nicht abzusehen. Als Grundpfeiler der mächtigen Comicindustrie
ist ihm ein Platz in der Geschichte der Populärkultur gewiss. Als
Figur an sich jedoch scheint der Erd-Exilant vom fernen Planeten
Krypton dem Zeitgeist nicht mehr zu entsprechen: Superman steht seit
jeher für einen braven, gut aussehenden Frauenschwarm, einen
stereotypen "Boy Scout", der stets das Gute im Sinn hat und
seinen Teil zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung beiträgt
– einer jener konservativen Saubermänner, welche das Bild des
DC-Verlages jahrzehntelang prägten.
Mittlerweile hat sich die populäre Meinung aber in Richtung der
ursprünglichen Marvel-Philosophie verlagert: Helden brauchen Ecken
und Kanten, menschliche Makel – selbst wenn sie keine Menschen sind
–; der Kampf mit dem eigenen Heldentum hat inzwischen das gleiche
Gewicht wie der Konflikt zwischen Gut und Böse. Auf Zelluloid haben
DC und Marvel unterschiedlich, aber ähnlich erfolgreich auf diese
Entwicklung reagiert. Erstere konnte sich primär durch Christopher
Nolans hyperrealistisch-düstere Neuinterpretation von Batman
profilieren, während Letztere das Avengers-Projekt lancierten
und mit Humor und Hingabe charakterlich unvollkommene Figuren wie
Iron Man, Thor oder Captain America auf die Leinwand transponierten.
Superman hingegen passt nicht in dieses Schema. Zu schwer wiegt seine
makellose Reputation, zu haarsträubend wirkt sein Hintergrund. Er
bleibt verdammt dazu, der Mann mit drei Namen – Kal-El, seinem
Geburtsnamen, Clark Kent, seinem Pseudonym, Superman, seinem Alter
Ego –, aber ohne Identität zu sein. Somit bestand die vielleicht
grösste Herausforderung, die sich Zack Snyder (Regie), Christopher
Nolan (Produzent und Co-Autor) und David S. Goyer (Autor) in ihrem
Superman-Reboot, erst dem zweiten derartigen Film seit 1987 und
Sidney J. Furies desaströsem Superman IV: The Quest for Peace,
bot, darin, diese vorgegebene Farblosigkeit zeitgemäss
umzugestalten, gleichzeitig aber die Vision von Siegel und Shuster
aufrecht zu erhalten.
So kommt es, dass sich ihr Clark Kent (Henry Cavill) in Man of
Steel als traumatisierter, grüblerischer, von Selbstzweifeln
geplagter Eigenbrötler geriert, der auf der Suche nach sich selbst
und seiner Lebensaufgabe die halbe Welt durchstreift und
schlussendlich lernt, sich seinen Dämonen zu stellen. Darin
Parallelen zu Batman Begins zu sehen, ist nicht schwer,
insbesondere angesichts des Engagements zweier Batman-Veteranen –
Goyer gilt als treibende Kraft in der Konzeption von Nolans Dark
Knight-Trilogie. Insofern ist Man of Steel weniger ein
Reboot der Superman-Figur als eine Angleichung von DCs bekanntester
Figur an seine (filmisch) erfolgreichste. Clarks Identitätsproblem
ist damit freilich nicht geholfen.
Keiner von uns: Clark Kent alias Superman (Henry Cavill) ergibt sich dem amerikanischen Militär. © 2013 Warner Bros. Ent. |
Im Gegenteil: Man of Steel ist eine enttäuschend blutleere
Angelegenheit. Zwar finden sich hin und wieder inspirierte Momente;
dazu gehören feine Bild- und Motiv-Anspielungen auf Horrorklassiker
der Fünfzigerjahre wie War of the Worlds oder Invasion of
the Body Snatchers und der Film wartet mit einem unbestreitbar
vorhandenen emotionalen Kern auf. Doch diese Bemühungen genügen
nicht, um über das fade Ganze hinweg zu täuschen. Ohne Leidenschaft
– dafür mit kuriosen Anleihen beim Fantasy-Genre – erzählt
Snyder, wie der Planet Krypton nach fatalen Bohrungen (ein Seitenhieb
gegen das vor allem in den USA heiss diskutierte Fracking?) in sich
zusammenstürzt, kurz nachdem Jor-El (Russell Crowe) seinen neu
geborenen Sohn Kal per Fluchtkapsel zur Erde geschossen hat und vom
machthungrigen General Zod (der abwechselnd hölzerne und
chargierende Michael Shannon, der Terence Stamps ikonische Rolle aus
Superman II übernimmt) ermordet wird.
Auf dem blauen Planeten (genauer gesagt, in Kansas) angekommen, wird
Kal vom Bauernehepaar Jonathan (Kevin Costner) und Martha Kent (Diane
Lane) aufgenommen. Er erhält den Namen Clark und wächst als
Menschenjunge mit übermenschlichen Kräften auf, die er auf Geheiss
seines Adoptivvaters keinesfalls benutzen darf. Während des
Hauptteils des häufig die Zeitebene wechselnden Films ist Clark 33
Jahre alt – eine von Snyders zahlreichen unbeholfenen
Jesus-Allegorien, welche allesamt den Umstand ignorieren, dass
Superman, wenn überhaupt, eine Moses-Figur ist – und sieht sich
dem seinem galaktischen Gefängnis entronnenen General Zod
entgegengestellt, der hofft, bei Kal-El einen kryptonischen Artefakt
vorzufinden, mit dem er die Erde zu seiner neuen Heimat umformen
will.
Dass im Zuge dieser drohenden Invasion auch noch die Journalistin
Lois Lane (Amy Adams) und ihr Vorgesetzter Perry White (Laurence
Fishburne) in den Plot verwickelt werden, gehorcht nicht einer
direkten Notwendigkeit, sondern der Tatsache, dass es sich bei Man
of Steel um einen Eintrag ins Superman-Legendarium handelt.
Goyers Skript, in dem die Konsequenzen einer Handlung niemals über
die Grenzen einer Szene hinaus gehen, fusst auf der bequemen
Ikonizität seiner Figuren, Motivationen können getrost übergangen
werden, weil jedes Kind weiss, dass Clarks Vater sterben und Lois
sich in Superman verlieben muss, obgleich zwischen Cavill und Adams
keinerlei romantische Dynamik spürbar ist. Fast schon
antiklimaktisch wirkt der obligate Kuss zum Schluss.
Der kryptonische General Zod (Michael Shannon) will sich die Erde unterwerfen. © 2013 Warner Bros. Ent. |
So ist es vielleicht sogar verständlich, dass Man of Steel nach
knapp 90 Minuten den Pfad der dialoglastigen, sich zunehmend um sich
selber drehenden Herkunftsgeschichte verlässt und in eine
Zerstörungsorgie mündet, die sogar die Materialschlachten eines
Michael Bay in den Schatten stellt, womöglich im Bestreben, es Joss
Whedons The Avengers gleichzutun, wo Iron Man und Konsorten
ihre Differenzen in einer ausladenden Kampfszene beilegten, welche
halb Manhattan in Schutt und Asche legte. Mit der Unterstützung der
besten erhältlichen CGI-Technik stürzen Wolkenkratzer in sich
zusammen, unter deren Trümmern Tausende von Menschen begraben
werden. Superman und Zod durchbrechen während ihrer ausgedehnten
Prügeleien unzählige Glasfassaden, Explosion reiht sich an
Explosion.
Dabei schallt das krachige Sounddesign aus den Lautsprechern und Hans
Zimmers dröhnender Musikscore verhilft dem immer unübersichtlicher
werdenden Geschehen zum nötigen Pathos, derweil Amir Mokris Kamera
mit schwindelerregenden Schwenks die rasanten Salti der Kombattanten
imitiert. War der Film bis anhin thematisch zumindest einigermassen
ansprechend, wenn auch nicht sonderlich fesselnd, so gewinnt er in
seiner letzten Dreiviertelstunde durch scheinbar endlose Variationen
der gleichen Choreografie an oberflächlichem Unterhaltungswert,
opfert diesem aber jegliche legitime Emotion. Wo Whedon die
destruktive Strassenschlacht mit Charakterentwicklungen und
humorvollen Vignetten konterkarierte, schwelgt Snyder in einem
ermüdenden Action-Spektakel, einem eigentlich aussichtslosen Kampf
zweier Kryptonier, welche beide auf der Erde so gut wie unverwundbar
sind. Am Ende gewinnt der moralisch überlegene Superman mit
moralisch unlauteren Mitteln. Da Snyder jedoch darauf verzichtet,
näher auf das Dilemma einzugehen, bleibt der ausserirdische
Muskelprotz brav, farblos, anachronistisch.
★★
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