Zwei Titel zählte Derek Cianfrances Filmografie bislang, kleine, fokussierte Elegien. Nun aber sprengt der Independent-Regisseur deren intimen Rahmen und präsentiert mit The Place Beyond the Pines eine gross angelegte Tragödie über Schuld, Sühne und den Tod des amerikanischen Traumes.
Die Titel gebende Kleinstadt Schenectady – der Name leitet sich ab
aus der Sprache der Mohawk-Indianer und heisst so viel wie "der Ort
hinter den Kiefern" – im US-Bundesstaat New York, wo sich einst
die Ureinwohner gegen die europäischen Eindringlinge zur Wehr
setzten, ist im Jahr 1997 Schauplatz eines Überlebenskampfs ganz
anderer Art. In der Tradition von Paul Haggis' Crash und Elia
Kazans Klassiker East of Eden zeichnet Derek Cianfrance virtuos
auf, welche weitreichenden Konsequenzen einzelne Handlungen haben
können, wie sie das Leben anderer Menschen nachhaltig beeinflussen
können.
Angestossen wird die Handlung durch den Motorradfahrer Luke Glanton
(Ryan Gosling), der seine Fähigkeiten einem Wander-Jahrmarkt zur
Verfügung stellt. The Place Beyond the Pines beginnt in seinem
Wohnwagen und begleitet ihn mittels einer fantastischen Kamerafahrt
durch die Neonlichter des Rummelplatzes, vorbei an den plärrenden
Karussells, hinein in ein Zelt, wo er mit zwei Partnern in der "Todeskugel" halsbrecherische Motorrad-Stunts vollführt – ein
allabendliches Ritual, bei dem er, für einen Hungerlohn und die
Bewunderung zehnjähriger Kinder, Leib und Leben riskiert. In jener
Nacht jedoch erfährt er, dass aus seiner ein Jahr zurückliegenden
Liebelei mit Romina (Eva Mendes), welche mittlerweile mit dem gut
situierten Kofi (Mahershala Ali) liiert ist, ein Sohn hervorgegangen
ist. Um seinen Vaterpflichten nachzukommen, verlässt Luke den
Jahrmarkt, lässt sich in Schenectady nieder und setzt, angestiftet
von einem Mechaniker (Ben Mendelsohn), seine Fahrkünste dazu ein,
lokale Banken auszurauben.
Schon zu diesem Zeitpunkt ist Cianfrances cineastisches Talent nicht
mehr zu übersehen. Mit feinem Gespür für seinen Schauplatz, ein
trügerisches Natur-Idyll im gemeinhin mit Urbanität assoziierten
Staat New York, erzählt er in grossartig komponierten Bildern
(eingefangen von Sean Bobbitt, dem Hauskameramann des britischen
Kunstfilmers Steve McQueen) und untermalt von Mike Pattons
berückendem musikalischen Leitmotiv, die berührende Geschichte des
naiven Glanton, der seinem Sohn um jeden Preis der Vater sein will,
den er selber nie hatte – selbst wenn er dabei die Grenzen der
Legalität überschreiten muss. Hierbei erweist sich Ryan Gosling,
der mit wenigen Worten viel zu vermitteln vermag, einmal mehr als
eindrucksvolle Leinwandpräsenz.
Motorradfahrer Luke (Ryan Gosling) versucht, mit dem Erlös aus
Banküberfällen für Romina (Eva Mendes) und seinen Sohn zu sorgen.
© Ascot Elite
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Goslings Auftritt endet jedoch nach knapp einer Stunde jäh; der
mutige Cianfrance entledigt sich seines grössten Stars und verlagert
den Fokus auf den jungen Polizisten Avery Cross (Bradley Cooper),
dessen Leben von einer schicksalhaften Begegnung mit Glanton
verändert wird. Zwar wird er so über Nacht zum Lokalhelden, doch
schon bald stösst der frischgebackene Familienvater auf
institutionelle Korruption in der Polizeiwache Schenectadys. Auch für
ihn, einen rechtschaffenen College-Abgänger, ist der Traum von der
ehrlich verdienten Karriere letztlich eben doch nur ein Traum:
Während seine beruflichen Verdienste ihm zwar zu Ruhm und Ehre
verhelfen, sind es Verrat und Erpressung, die ihm finanzielle
Sicherheit verschaffen – auf Kosten eines geregelten
Familienlebens, wie sich später zeigt.
Denn in seinem letzten Kapitel springt The Place Beyond the Pines 15 Jahre in die Zukunft, wo sich der – bald kontemplative, bald
rasante – Film auf die jeweiligen Söhne Lukes und Averys, dessen
Ehe in die Brüche ging und der nun ein politisches Amt anstrebt,
konzentriert und zeigt, wie beide trotz der Abwesenheit ihrer Väter
zu deren Ebenbildern wurden – indem sie ihre Identität an deren
Biografien ausrichten. Cianfrance mag die Laufzeit dieses
verlängerten Epilogs vielleicht ein wenig überstrapazieren, doch
insgesamt fühlt sich der 140-minütige The Place Beyond the
Pines keineswegs überlang an. Zu faszinierend ist er, zu gross
seine cineastische Klasse.
★★★★
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