Donnerstag, 27. Juni 2013

The Place Beyond the Pines

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Zwei Titel zählte Derek Cianfrances Filmografie bislang, kleine, fokussierte Elegien. Nun aber sprengt der Independent-Regisseur deren intimen Rahmen und präsentiert mit The Place Beyond the Pines eine gross angelegte Tragödie über Schuld, Sühne und den Tod des amerikanischen Traumes.

Die Titel gebende Kleinstadt Schenectady – der Name leitet sich ab aus der Sprache der Mohawk-Indianer und heisst so viel wie "der Ort hinter den Kiefern" – im US-Bundesstaat New York, wo sich einst die Ureinwohner gegen die europäischen Eindringlinge zur Wehr setzten, ist im Jahr 1997 Schauplatz eines Überlebenskampfs ganz anderer Art. In der Tradition von Paul Haggis' Crash und Elia Kazans Klassiker East of Eden zeichnet Derek Cianfrance virtuos auf, welche weitreichenden Konsequenzen einzelne Handlungen haben können, wie sie das Leben anderer Menschen nachhaltig beeinflussen können.

Angestossen wird die Handlung durch den Motorradfahrer Luke Glanton (Ryan Gosling), der seine Fähigkeiten einem Wander-Jahrmarkt zur Verfügung stellt. The Place Beyond the Pines beginnt in seinem Wohnwagen und begleitet ihn mittels einer fantastischen Kamerafahrt durch die Neonlichter des Rummelplatzes, vorbei an den plärrenden Karussells, hinein in ein Zelt, wo er mit zwei Partnern in der "Todeskugel" halsbrecherische Motorrad-Stunts vollführt – ein allabendliches Ritual, bei dem er, für einen Hungerlohn und die Bewunderung zehnjähriger Kinder, Leib und Leben riskiert. In jener Nacht jedoch erfährt er, dass aus seiner ein Jahr zurückliegenden Liebelei mit Romina (Eva Mendes), welche mittlerweile mit dem gut situierten Kofi (Mahershala Ali) liiert ist, ein Sohn hervorgegangen ist. Um seinen Vaterpflichten nachzukommen, verlässt Luke den Jahrmarkt, lässt sich in Schenectady nieder und setzt, angestiftet von einem Mechaniker (Ben Mendelsohn), seine Fahrkünste dazu ein, lokale Banken auszurauben.

Schon zu diesem Zeitpunkt ist Cianfrances cineastisches Talent nicht mehr zu übersehen. Mit feinem Gespür für seinen Schauplatz, ein trügerisches Natur-Idyll im gemeinhin mit Urbanität assoziierten Staat New York, erzählt er in grossartig komponierten Bildern (eingefangen von Sean Bobbitt, dem Hauskameramann des britischen Kunstfilmers Steve McQueen) und untermalt von Mike Pattons berückendem musikalischen Leitmotiv, die berührende Geschichte des naiven Glanton, der seinem Sohn um jeden Preis der Vater sein will, den er selber nie hatte – selbst wenn er dabei die Grenzen der Legalität überschreiten muss. Hierbei erweist sich Ryan Gosling, der mit wenigen Worten viel zu vermitteln vermag, einmal mehr als eindrucksvolle Leinwandpräsenz.

Motorradfahrer Luke (Ryan Gosling) versucht, mit dem Erlös aus Banküberfällen für Romina (Eva Mendes) und seinen Sohn zu sorgen.
© Ascot Elite
Goslings Auftritt endet jedoch nach knapp einer Stunde jäh; der mutige Cianfrance entledigt sich seines grössten Stars und verlagert den Fokus auf den jungen Polizisten Avery Cross (Bradley Cooper), dessen Leben von einer schicksalhaften Begegnung mit Glanton verändert wird. Zwar wird er so über Nacht zum Lokalhelden, doch schon bald stösst der frischgebackene Familienvater auf institutionelle Korruption in der Polizeiwache Schenectadys. Auch für ihn, einen rechtschaffenen College-Abgänger, ist der Traum von der ehrlich verdienten Karriere letztlich eben doch nur ein Traum: Während seine beruflichen Verdienste ihm zwar zu Ruhm und Ehre verhelfen, sind es Verrat und Erpressung, die ihm finanzielle Sicherheit verschaffen – auf Kosten eines geregelten Familienlebens, wie sich später zeigt.

Denn in seinem letzten Kapitel springt The Place Beyond the Pines 15 Jahre in die Zukunft, wo sich der – bald kontemplative, bald rasante – Film auf die jeweiligen Söhne Lukes und Averys, dessen Ehe in die Brüche ging und der nun ein politisches Amt anstrebt, konzentriert und zeigt, wie beide trotz der Abwesenheit ihrer Väter zu deren Ebenbildern wurden – indem sie ihre Identität an deren Biografien ausrichten. Cianfrance mag die Laufzeit dieses verlängerten Epilogs vielleicht ein wenig überstrapazieren, doch insgesamt fühlt sich der 140-minütige The Place Beyond the Pines keineswegs überlang an. Zu faszinierend ist er, zu gross seine cineastische Klasse.

★★★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen