Bombastisches, oft niveauarmes Actionkino bildet das Kerngeschäft
des Michael Bay. Vielen gilt er als Inbegriff des anspruchslosen
Popcorn-Blockbusters, manchen gar als Totengräber des Mediums. In
seinem neuen Film, der unsteten Krimikomödie Pain & Gain,
fordert er beide Standpunkte heraus.
Die vielleicht am stärksten nachhallende Einstellung in Pain &
Gain dauert knapp zwei Sekunden. Angesiedelt ist sie in einer
längeren Montagesequenz – in deren Dramaturgie sie keine
essentielle Rolle einnimmt – und sie zeigt eine der Hauptfiguren
als Silhouette im goldenen Abendlicht von Miami, wie sie neben einem
Baum steht, dessen imposantes Geäst weit in den Bildrahmen
hineinragt. Es ist eine beinahe perfekte Spiegelung eines ikonischen
Tableaus, welches in Victor Flemings Hollywood-Klassiker Gone with
the Wind zu finden ist. Michael Bay, der von zahllosen Cinephilen
verachtete Regisseur von – finanziell erfolgreichen –
Fliessband-Krachern wie Bad Boys (schrecklich) Armageddon (schrecklich) oder der Transformers-Trilogie (schrecklich),
zitiert Gone with the Wind, den majestätischen
Publikumsliebling von 1939.
Dies weist zwar nicht auf eine tief schürfende Veränderung in Bays
Schaffen hin – er ist und bleibt der oberflächliche Ex-Werbefilmer
–, wohl aber darauf, dass der bald bitterböse, bald infantile Pain & Gain in seiner Filmografie einen speziellen Platz
einnimmt. Für einmal scheint Bay nicht ausschliesslich auf billige
Unterhaltung abzuzielen. Die auf wahren Begebenheiten aufbauende,
unverkennbar von den Werken der Coen-Brüder inspirierte
Entführungskomödie lässt in ihren besten Momenten durchaus
subversiv-satirische Züge erkennen.
Im Zentrum steht dabei der Amerikanische Traum und die für viele
Menschen ernüchternde Realität. Mit dieser wird auch der
muskelbepackte Fitnesstrainer Danny (Mark Wahlberg) konfrontiert, der
Mitte der Neunzigerjahre unermüdlich für den persönlichen Erfolg
schuftet. Doch nach und nach stellt der zwar sympathische, aber nicht
sonderlich helle, junge Mann fest, dass es nicht die sich
abrackernden "Macher" sind, welche von der boomenden Wirtschaft
profitieren, sondern selbstgerechte Schnösel wie der
milliardenschwere Unternehmer Victor Kershaw (Tony Shalhoub), der
unter Dannys Aufsicht seinen Körper stählen will. Zusammen mit
seinem besten Freund Adrian (Anthony Mackie) und dem frommen
Ex-Sträfling Paul (Dwayne Johnson) plant Danny einen Coup: Victor
soll entführt und dazu gezwungen werden, dem Trio sein Vermögen zu
überschreiben. Einwandfrei gelingen will die Ausführung aber nicht.
Viele Muskeln, wenig IQ: Mit einer Entführung wollen Danny (Mark
Wahlberg, Mitte), Adrian (Anthony Mackie, rechts) und Paul (Dwayne
Johnson) reich werden.
© 2012 Paramount Pictures
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Zu sagen, dass Bay sich in Pain & Gain als gereifter
Filmemacher erweist, wäre übertrieben. "Reif" ist der Film mit
seinen breit gestreuten Witzen über Sexspielzeug und Schwule fast
ebenso wenig wie das stereotype "schwarze" Roboter-Zwillingspaar
in Transformers: Revenge of the Fallen; Frauen sind einmal mehr
blosse Staffage, leicht zu beeindruckende Stripperinnen, deren IQ
sich sogar unter jenen von Danny, Adrian und Paul befindet.
Doch ein Blick hinter die Fassade lohnt sich. Bay, dessen Stil oft so
wirkt, als habe er sich nie über die Werbe-Ästhetik der
Neunzigerjahre hinaus entwickelt, erzählt in Pain & Gain eine fest in jener überschwänglichen Dekade verwurzelte Geschichte
um Immigrantensöhne und -enkel, deren Nachnamen Lugo, Doorbal, Doyle
oder DuBois lauten, und die frustriert sind von dem Versprechen,
welches ihre Vorfahren einst nach Amerika lockte. Überall wehen die "Stars and Stripes", doch, so konstatieren die diversen Erzähler,
ihre Ideale sind längst korrumpiert worden – durch die
eigennützige Hochfinanz, durch lateinamerikanische Drogenbarone,
durch asiatische Tiger-Ökonomien. Ähnlichkeiten mit den
zeitgenössischen USA sind nicht von der Hand zu weisen.
Bay stellt dies in grellen, bisweilen auch drastischen Bildern und
mit sich in stetigem Wandel befindlichem Filmmaterial dar, als wolle
er nebst seiner kritischen Kommentare auch über seine eigene
Karriere in Werbungen, Videoclips und Kinofilmen reflektieren. Das
ist virtuos gemacht und hilft einem über die vielen ärgerlichen
Passagen hinweg, welche Pain & Gain, Bays besten Film seit The Rock (1996), heimsuchen.
★★★