Filme wie Trainspotting, Slumdog Millionaire oder 127
Hours bezeugen die unbestrittene Klasse des englischen Regisseurs
Danny Boyle. Trance ist zwar virtuos gemacht, doch der
verschachtelte Psychothriller ersetzt menschliches Interesse durch
blasierte künstlerische Selbstgefälligkeit.
Fast erwartet man, dass, wenn nach 100 Minuten der Abspann über die
Leinwand rollt und man immer noch versucht, die unablässig
ineinander verzahnten Handlungsebenen des soeben Gesehenen
voneinander zu trennen, Danny Boyle sich höchstpersönlich ans
Publikum wendet und mit einem frechen Grinsen fragt: "Did you get
it? Habt ihr alles kapiert?". Denn Trance ist einer jener
Filme, die dem Fehlschluss erlegen sind, dass eine komplizierte
Dramaturgie inhaltlicher Substanz gleichkommt, eine Auffassung, die
sich im angelsächsischen Kino primär dank des Erfolges von
Christopher Nolan angesiedelt hat. Dessen Werke – Memento, The Prestige, The Dark Knight, Inception (mit dem Trance gerne verglichen wird) – jonglieren regelmässig mit
der erzählten Chronologie, Figurenperspektiven und unzuverlässigen
Erzählern, frei nach Jean-Luc Godards berühmtem Bonmot, ein Film
müsse einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss haben –
wenngleich nicht zwingend in dieser Reihenfolge.
Doch was Nolans (und, ganz nebenbei, auch Godards) Kino über jenes
erhebt, welches Boyle in Trance zelebriert, ist das Gefühl für
den Zuschauer, das Wissen darum, dass das Publikum nicht von den
Haken, die ein Plot schlägt, gefesselt wird, sondern von den
Charakteren, den Konflikten, den Ideen, die ihn bevölkern. Dass die
Manipulation des Kinogängers zu den Grundfesten des Mediums gehört
(man denke an Alfred Hitchcock), entschuldigt nicht den eklatanten
Verzicht auf jedweden Respekt für das Publikum.
Der Film handelt vom Dreiecksgespann Simon (James McAvoy), einem
verschuldeten Auktionshaus-Angestellten, Franck (der wie gewohnt
starke Vincent Casssel), einem mafiösen Nachtclub-Besitzer, und
Elizabeth (Rosario Dawson, deren überflüssige Nacktszene ans
Pornografische grenzt), einer Hypnotiseurin. Ersterer stiehlt im
Auftrag des Zweiten ein unbezahlbares Goya-Gemälde, reisst es sich
aber selber unter den Nagel. Weil er jedoch seit einem Schlag auf den
Kopf an Amnesie leidet, erinnert sich Simon nicht mehr daran, wo er
das Kunstwerk versteckt hat. Also engagiert Franck Elizabeth, deren
Therapie die Erinnerung freilegen soll.
Nichts ist, wie es scheint: Hypnotiseurin Elizabeth (Rosario Dawson)
versucht, Simons (James McAvoy) Amnesie zu heilen.
© Pathé Films AG
|
"Where
is the painting?", ist ein Satz, den man in Trance sehr oft
hört – als hofften Boyle und das Autorenduo Joe Ahearne/John
Hodge, denen als Inspiration ein gleichnamiger TV-Film aus dem Jahr
2001 diente, dass dadurch das Interesse an Stoff und Story wachsen
würde. In Tat und Wahrheit jedoch bleibt die Suche nach dem
gestohlenen Bild, wie auch ihre Protagonisten, stets ein emotional
kaltes, distanziertes, gänzlich humorfreies Konstrukt, welches zwar
zusehends intensiver, brutaler und verworrener wird, aber niemals zu
packen vermag. Alles ist Boyles formal gekonnt in Szene gesetzter
Raffinesse unterworfen, die sich jedoch, wie bald klar wird, in
endlosen Spiegelungen, Brechungen und den für Kameramann Anthony Dod
Mantle typischen Dutch Tilts (Einstellungen in Schräglage)
erschöpft.
Dabei sind durchaus Anklänge an klassische Suspense-Thriller im
Stile von Alfred Hitchcock erkennbar; gewisse Tendenzen erinnern an
Frühwerke David Cronenbergs wie etwa Crash; und mitunter
schwingt auch die Atmosphäre von John Boormans verkanntem
Meisterstück Point Blank mit. Doch solche Vergleiche
befriedigen nicht, denn Trance entbehrt jeglicher Substanz
hinsichtlich Narration und Charakterzeichnung. Es ist der
oberflächlich elegante, innerlich marode Versuch eines
selbstzufriedenen Regisseurs, sein Publikum zu narren – einzig und
allein deshalb, weil er es kann. Das ist eitler Selbstzweck. Das ist
Betrug.
★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen