Donnerstag, 15. August 2013

Trance

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Region.

Filme wie Trainspotting, Slumdog Millionaire oder 127 Hours bezeugen die unbestrittene Klasse des englischen Regisseurs Danny Boyle. Trance ist zwar virtuos gemacht, doch der verschachtelte Psychothriller ersetzt menschliches Interesse durch blasierte künstlerische Selbstgefälligkeit.

Fast erwartet man, dass, wenn nach 100 Minuten der Abspann über die Leinwand rollt und man immer noch versucht, die unablässig ineinander verzahnten Handlungsebenen des soeben Gesehenen voneinander zu trennen, Danny Boyle sich höchstpersönlich ans Publikum wendet und mit einem frechen Grinsen fragt: "Did you get it? Habt ihr alles kapiert?". Denn Trance ist einer jener Filme, die dem Fehlschluss erlegen sind, dass eine komplizierte Dramaturgie inhaltlicher Substanz gleichkommt, eine Auffassung, die sich im angelsächsischen Kino primär dank des Erfolges von Christopher Nolan angesiedelt hat. Dessen Werke – Memento, The Prestige, The Dark Knight, Inception (mit dem Trance gerne verglichen wird) – jonglieren regelmässig mit der erzählten Chronologie, Figurenperspektiven und unzuverlässigen Erzählern, frei nach Jean-Luc Godards berühmtem Bonmot, ein Film müsse einen Anfang, eine Mitte und einen Schluss haben – wenngleich nicht zwingend in dieser Reihenfolge.

Doch was Nolans (und, ganz nebenbei, auch Godards) Kino über jenes erhebt, welches Boyle in Trance zelebriert, ist das Gefühl für den Zuschauer, das Wissen darum, dass das Publikum nicht von den Haken, die ein Plot schlägt, gefesselt wird, sondern von den Charakteren, den Konflikten, den Ideen, die ihn bevölkern. Dass die Manipulation des Kinogängers zu den Grundfesten des Mediums gehört (man denke an Alfred Hitchcock), entschuldigt nicht den eklatanten Verzicht auf jedweden Respekt für das Publikum.

Der Film handelt vom Dreiecksgespann Simon (James McAvoy), einem verschuldeten Auktionshaus-Angestellten, Franck (der wie gewohnt starke Vincent Casssel), einem mafiösen Nachtclub-Besitzer, und Elizabeth (Rosario Dawson, deren überflüssige Nacktszene ans Pornografische grenzt), einer Hypnotiseurin. Ersterer stiehlt im Auftrag des Zweiten ein unbezahlbares Goya-Gemälde, reisst es sich aber selber unter den Nagel. Weil er jedoch seit einem Schlag auf den Kopf an Amnesie leidet, erinnert sich Simon nicht mehr daran, wo er das Kunstwerk versteckt hat. Also engagiert Franck Elizabeth, deren Therapie die Erinnerung freilegen soll.

Nichts ist, wie es scheint: Hypnotiseurin Elizabeth (Rosario Dawson) versucht, Simons (James McAvoy) Amnesie zu heilen.
© Pathé Films AG
"Where is the painting?", ist ein Satz, den man in Trance sehr oft hört – als hofften Boyle und das Autorenduo Joe Ahearne/John Hodge, denen als Inspiration ein gleichnamiger TV-Film aus dem Jahr 2001 diente, dass dadurch das Interesse an Stoff und Story wachsen würde. In Tat und Wahrheit jedoch bleibt die Suche nach dem gestohlenen Bild, wie auch ihre Protagonisten, stets ein emotional kaltes, distanziertes, gänzlich humorfreies Konstrukt, welches zwar zusehends intensiver, brutaler und verworrener wird, aber niemals zu packen vermag. Alles ist Boyles formal gekonnt in Szene gesetzter Raffinesse unterworfen, die sich jedoch, wie bald klar wird, in endlosen Spiegelungen, Brechungen und den für Kameramann Anthony Dod Mantle typischen Dutch Tilts (Einstellungen in Schräglage) erschöpft.

Dabei sind durchaus Anklänge an klassische Suspense-Thriller im Stile von Alfred Hitchcock erkennbar; gewisse Tendenzen erinnern an Frühwerke David Cronenbergs wie etwa Crash; und mitunter schwingt auch die Atmosphäre von John Boormans verkanntem Meisterstück Point Blank mit. Doch solche Vergleiche befriedigen nicht, denn Trance entbehrt jeglicher Substanz hinsichtlich Narration und Charakterzeichnung. Es ist der oberflächlich elegante, innerlich marode Versuch eines selbstzufriedenen Regisseurs, sein Publikum zu narren – einzig und allein deshalb, weil er es kann. Das ist eitler Selbstzweck. Das ist Betrug.

★★

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