Ein Höhenflug des französischen Kinos ist der Emmanuelle Bercot mit ihrem dritten Film, der ziemlich holprigen Wohlfühl-Dramödie Elle s'en va, wahrlich nicht gelungen. Dass das Roadmovie aber dennoch in positiver Erinnerung bleibt, ist Hauptdarstellerin Catherine Deneuve zu verdanken.
Deneuve übernimmt hier die Rolle der Restaurantbesitzerin und
ehemaligen Miss Bretagne Bettie, die sich von ihrem eigenen Leben
überfordert fühlt. Sie ist unglücklich verliebt; ihrem Gasthaus
droht die Insolvenz; mit ihrer Tochter (Camille Dalmais) hat sie sich
überworfen; ihre Mutter (Claude Gensac, bekannt aus vielen
Louis-de-Funès-Vehikeln) hört nicht auf, sich in ihre
Angelegenheiten einzumischen. Eines Tages reisst Bettie der
Geduldsfaden: Sie setzt sich ins Auto und fährt davon – mit
unbestimmtem Ziel.
Die Geschichte, die Bercot und ihr Co-Autor Jérôme Tonnerre aus
dieser Prämisse gewinnen, besteht, in bester Roadmovie-Manier, aus
kleineren und grösseren Episoden, welche schlussendlich alle zur
unausweichlichen Selbstfindung der Hauptfigur beitragen. "Das Leben
geht weiter" lautet die optimistische Moral, welche am Ende von
Betties Reise steht, nachdem sie, unter anderem, einem gut 30 Jahre
jüngeren Mann verfallen ist, an einem Fototermin für
Ex-Schönheitsköniginnen teilgenommen hat sowie ihren überdrehten
Enkel Charly (Nemo Schiffman) quer durch Frankreich chauffiert hat.
Manche dieser Vignetten sind amüsant, andere melancholisch, wieder
andere sind, primär dank Catherine Deneuves nuancierter Performance,
unerwartet emotional. Doch sie vermögen nicht harmonisch ineinander
zu greifen; zu lose sind die Impressionen von Betties Odyssee
miteinander verbunden, zu abrupt die zahlreichen Wechsel im Tonfall.
Bercots und Tonnerres fahriges Drehbuch verzichtet überwiegend auf
erzählerische Stringenz und begnügt sich damit, dramaturgisch
isolierte Szenen aneinander zu reihen.
Gemeinsam ist man weniger allein: Bettie (Catherine Deneuve) fährt
mit ihrem Enkel (Nemo Schiffman) quer durch Frankreich.
© Xenix Filmdistribution
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Dass dabei auch die Figurenzeichnung zu kurz kommt, überrascht
nicht. Während eine Mehrheit der Nebenfiguren irritierend
eindimensional gehalten ist, scheitert das Porträt der Beziehung
zwischen Oma Bettie und Enkel Charly vor allem an der erratischen
Charakterisierung des 11-jährigen Jungen, welcher im einen Moment
altklug-pubertäre Sprüche von sich gibt, nur um im nächsten wie
ein sechsjähriger Grundschüler Nonsens-Liedchen zu trällern. Der
Grund dafür, dass der Versuch, sich Bettie zu nähern, hingegen
zumindest stellenweise von Erfolg gekrönt ist, ist wiederum eher bei
Deneuve als beim Duo Bercot/Tonnerre zu suchen: Das Schauspiel der "unnahbaren Blonden" – der Rolle, die sie in Filmen wie Repulsion oder Belle de Jour verkörpert hat – erkundet
charakterliche Tiefen, die dem Skript wie auch den unablässigen
Nahaufnahmen von Kameramann Guillaume Schiffman (The Artist)
stets verborgen bleiben.
Man ist versucht, sich vorzustellen, wie Elle s'en va in den
Händen erfahrenerer Filmemacher zu einer ernst zu nehmenden
Tragikomödie hätte werden können, wie ein Jean Becker (Dialogue
avec mon jardinier), eine Noémie Lvovsky (Faut que ça
danse!) oder – würde er noch leben – ein Claude Berri
(Ensemble, c'est tout) den Stoff mit ihren unverwechselbaren
Stilen bearbeitet hätten. So aber bleibt Emmanuelle Bercots Film
eine lediglich passable Angelegenheit, die jedoch, bei all ihre
Defiziten, veredelt wird durch die sublime Präsenz der Catherine
Deneuve.
★★★