Dass Zeitreisen der Dreh- und Angelpunkt von Richard Curtis' erster
Liebeskomödie seit einem Jahrzehnt sind, entbehrt, auch angesichts
seines verunglückten nostalgischen Ausflugs in die wilden
Sechzigerjahre in The Boat That Rocked (2009), nicht einer
gewissen Ironie, besteht sein angestammtes Territorium doch aus den
romantischen Verwicklungen der zeitgenössischen gehobenen englischen
Mittelklasse.
Seine einschlägigen Werke – der weihnächtliche Ensemble-Film Love
Actually sowie die Drehbücher zu Four Weddings and a Funeral
und Notting Hill – verliehen Curtis den Ruf, ein Meister
seines Genres zu sein, welcher das Kunststück vollbracht hat,
trockenen britischen Humor mit ungehemmter Emotionalität zu
verheiraten. Zwar ist ein Grossteil seines Schaffens eher
unvorteilhaft gealtert, doch ein Publikum hat er mit seiner
bieder-braven Art, welche einzig in den sozialrealistisch
angehauchten Passagen von Notting Hill je gebrochen wurde,
noch immer gefunden.
Dies wird sich auch mit About Time nicht ändern, wobei sich
das "Schüchterner junger Mann trifft charmante Frau seines
Lebens"-Narrativ inzwischen etwas zu bekannt anfühlt – trotz
der übernatürlichen Variabel. Der schüchterne junge Mann der
Gleichung ist hier der 21-jährige Tim Lake (Domhnall Gleeson),
dessen Vater (Bill Nighy) ihn in ein Geheimnis einweiht: Alle Männer
der Familie Lake können rückwärts durch die Zeit reisen,
wenngleich auch nur innerhalb ihres eigenen Lebens ("You can't
kill Hitler or shag Helen of Troy, unfortunately"). Diese
Fähigkeit nutzt der durchschnittliche Tim ("too tall, too
skinny, too orange") dazu, die hübsche Amerikanerin Mary
(Rachel McAdams) zu bezirzen.
Was man dem Film zugute halten kann, ist, dass er es nicht, wie so
viele andere Romanzen, dabei belässt, Tim um die Gunst von Mary
kämpfen zu lassen und nach ihrer Vermählung den Vorhang fallen zu
lassen. Vielmehr folgt Curtis' Erzählung einer anekdotischen,
chronologisch lose definierten Struktur, wie sie in der britischen
Tragikomödie etwa von Mike Leigh gerne verwendet wird. Kaum ein
Drittel der Laufzeit ist Tims Werben um Mary gewidmet; Hochzeit,
Schwangerschaft und familiäre Tragödien (mit obligater Beerdigung)
werden ebenso schnell wie abrupt in den Plot eingewoben.
Dabei kommt Tims Fähigkeit, peinliche Momente rückgängig zu machen
und unliebsame Szenarien fast nach Belieben manipulieren zu können,
primär die Rolle einer moralisierenden Instanz zu. Hie und da mögen
sich spannende Auseinandersetzungen mit der Macht von Zufall und
Timing über Entscheidungen und Einstellungen andeuten, doch nach und
nach weichen diese den altbekannten Predigten über genügsames,
bewusstes Leben. Der Vergleich mit Groundhog Day liegt nicht
weit. Da Tim jedoch, anders als Bill Murray in Harold Ramis'
Genre-Meilenstein, frei über die Wiederholung von Erlebnissen
entscheiden kann, ist der Kniff hier dramatisch weitaus weniger
überzeugend. Neben zahlreichen Verstössen gegen die klar etablierte
Zeitreise-Logik scheint About Time mit seinen diversen Déjà
vus mitunter auch ein wenig an Ort zu treten.
"You're a time traveller, Tim": Tim Lake (Domhnall Gleeson) erfährt von seinem Vater (Bill Nighy), dass er in die Vergangenheit reisen kann. © Universal Pictures |
Von diesem nur sporadisch funktionierenden, der Science-Fiction
entlehnten Topos abgesehen, bewegt sich Curtis jedoch eindeutig auf
vertrautem Boden. About Time spielt in einer simplen, typisch
Curtis'schen Welt, deren Akteure luxuriöse Villen in einem
arkadischen Anglo-Griechenland – so jedenfalls wird dem Zuschauer
Cornwall präsentiert – oder schicke Appartements im unnatürlich
sauberen London bewohnen, wo Geldnot ein Fremdwort ist,
Beziehungskrisen sich auf halb lächelnd geführte Dispute
beschränken und sich beinahe alles auf abgedroschene
Montage-Sequenzen reduzieren lässt, begleitet von
verträumt-überschwänglichen Pop-Balladen, von denen einzig Ron
Sexsmiths wundervolles "Gold in Them Hills" nachzuhallen
vermag. Liebenswert-verschrobene Figuren dominieren wie gewohnt das
Geschehen – vom vergesslichen, inhaltlich irrelevanten Onkel
Desmond (Richard Cordery) bis zum raubeinig-charmanten Theaterautor
Harry (Tom Hollander).
Und obwohl Curtis seine Geschichte auf nie und nimmer zu
rechtfertigende 123 Minuten streckt, bleibt die zentrale Beziehung
zwischen Tim und Mary sträflich unterentwickelt. Trotz des ideal
besetzten Domhnall Gleeson und einer sympathischen Darbietung von
Rachel McAdams bleibt die Paarung zu plump, um ihre volle Wirkung zu
entfalten, auch weil sich Curtis allzu oft damit begnügt, Mary als
stereotype Traumfrau-Schablone zu inszenieren – schüchtern,
humorvoll, von der eigenen Schönheit nicht überzeugt –, Zeitlupe
und goldene Beleuchtung inklusive, sowie Tims Annäherungsversuche
auf unbeholfene Cringe-Comedy zu reduzieren. Tatsächlich ist das
wahre emotionale Zentrum des Films eher in der Vater-Sohn-Dynamik
zwischen Gleeson und Bill Nighy zu finden, deren gemeinsame Szenen
echt anzurühren vermögen.
Mit subtilem Einsatz seiner Zeitreise-Fähigkeit gelingt es Tim, das Herz der Amerikanerin Mary (Rachel McAdams) zu erobern. © Universal Pictures |
Getrübt wird das grundsätzlich gefällige Seherlebnis letztlich
aber durch die verdriessliche Normativität, welche About Time
hinter seiner fidelen Formelhaftigkeit verbirgt. Zwar ist auch
dies in Curtis' Werk keine Neuheit, doch noch selten hat der Autor
und Regisseur Anpassung und Konventionalität dermassen explizit als
Tugenden dargestellt. Nicht nur ist Heirat für ihn noch immer die
Apotheose wahrer Liebe; diesmal geht er gar mit missionarischem Eifer
gegen Andersdenkende vor. "Nothing prepares you for the
indifference of friends who don't have children", sinniert Tim
via Voiceover nach der Geburt seiner ersten Tochter; die Entscheidung
der Kinderlosigkeit wird als lachhafte Naivität abgetan.
Ihren Höhepunkt erreicht Curtis' zweifelhafte Liebeserklärung an
die Norm jedoch in Form von Tims jüngerer Schwester Kit Kat (Lydia
Wilson), eine enthusiastische Exzentrikerin, von Tim als "my
favourite person in the whole world" eingeführt, eine
Idealistin mit einer Vorliebe für violette Pullover und nackte
Füsse. Um soziale Rituale und Protokolle kümmert sie sich nicht.
Mit ihr kennt Curtis keine Gnade: Zunächst dichtet er ihr eine
Depression an, gefolgt von exzessivem Alkoholkonsum; ihr Unbehagen
London gegenüber wird als nicht nachvollziehbare Spinnerei
behandelt, ihr Entschluss, von Männern nichts mehr wissen zu wollen,
als delirische Absage an das Leben. (Die Implikationen von letzterer
"Verfehlung" sind gleich auf mehreren Ebenen heikel: Zum
Einen wird insinuiert, dass eine Frau ohne Mann in ihrem Leben keine
vollendete Persönlichkeit sein kann; zum anderen, dass
Homosexualität aus der Enttäuschung mit dem anderen Geschlecht
entwächst.) "We have to fix her", beschliessen Tim und
Mary; der freieste Geist in About Time (vielleicht mit
Ausnahme von Tims Vater) muss "repariert" werden.
Exzentrik, so der Film, ist nur tolerierbar, wenn sie die bürgerliche
Norm nicht herausfordert. Dies ist die Botschaft des in Formeln und
Konventionen festgefahrenen Films.
★★
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