Mittwoch, 30. Oktober 2013

About Time

Dass Zeitreisen der Dreh- und Angelpunkt von Richard Curtis' erster Liebeskomödie seit einem Jahrzehnt sind, entbehrt, auch angesichts seines verunglückten nostalgischen Ausflugs in die wilden Sechzigerjahre in The Boat That Rocked (2009), nicht einer gewissen Ironie, besteht sein angestammtes Territorium doch aus den romantischen Verwicklungen der zeitgenössischen gehobenen englischen Mittelklasse.

Seine einschlägigen Werke – der weihnächtliche Ensemble-Film Love Actually sowie die Drehbücher zu Four Weddings and a Funeral und Notting Hill – verliehen Curtis den Ruf, ein Meister seines Genres zu sein, welcher das Kunststück vollbracht hat, trockenen britischen Humor mit ungehemmter Emotionalität zu verheiraten. Zwar ist ein Grossteil seines Schaffens eher unvorteilhaft gealtert, doch ein Publikum hat er mit seiner bieder-braven Art, welche einzig in den sozialrealistisch angehauchten Passagen von Notting Hill je gebrochen wurde, noch immer gefunden.

Dies wird sich auch mit About Time nicht ändern, wobei sich das "Schüchterner junger Mann trifft charmante Frau seines Lebens"-Narrativ inzwischen etwas zu bekannt anfühlt – trotz der übernatürlichen Variabel. Der schüchterne junge Mann der Gleichung ist hier der 21-jährige Tim Lake (Domhnall Gleeson), dessen Vater (Bill Nighy) ihn in ein Geheimnis einweiht: Alle Männer der Familie Lake können rückwärts durch die Zeit reisen, wenngleich auch nur innerhalb ihres eigenen Lebens ("You can't kill Hitler or shag Helen of Troy, unfortunately"). Diese Fähigkeit nutzt der durchschnittliche Tim ("too tall, too skinny, too orange") dazu, die hübsche Amerikanerin Mary (Rachel McAdams) zu bezirzen.

Was man dem Film zugute halten kann, ist, dass er es nicht, wie so viele andere Romanzen, dabei belässt, Tim um die Gunst von Mary kämpfen zu lassen und nach ihrer Vermählung den Vorhang fallen zu lassen. Vielmehr folgt Curtis' Erzählung einer anekdotischen, chronologisch lose definierten Struktur, wie sie in der britischen Tragikomödie etwa von Mike Leigh gerne verwendet wird. Kaum ein Drittel der Laufzeit ist Tims Werben um Mary gewidmet; Hochzeit, Schwangerschaft und familiäre Tragödien (mit obligater Beerdigung) werden ebenso schnell wie abrupt in den Plot eingewoben.

Dabei kommt Tims Fähigkeit, peinliche Momente rückgängig zu machen und unliebsame Szenarien fast nach Belieben manipulieren zu können, primär die Rolle einer moralisierenden Instanz zu. Hie und da mögen sich spannende Auseinandersetzungen mit der Macht von Zufall und Timing über Entscheidungen und Einstellungen andeuten, doch nach und nach weichen diese den altbekannten Predigten über genügsames, bewusstes Leben. Der Vergleich mit Groundhog Day liegt nicht weit. Da Tim jedoch, anders als Bill Murray in Harold Ramis' Genre-Meilenstein, frei über die Wiederholung von Erlebnissen entscheiden kann, ist der Kniff hier dramatisch weitaus weniger überzeugend. Neben zahlreichen Verstössen gegen die klar etablierte Zeitreise-Logik scheint About Time mit seinen diversen Déjà vus mitunter auch ein wenig an Ort zu treten.

"You're a time traveller, Tim": Tim Lake (Domhnall Gleeson) erfährt von seinem Vater (Bill Nighy), dass er in die Vergangenheit reisen kann.
© Universal Pictures
Von diesem nur sporadisch funktionierenden, der Science-Fiction entlehnten Topos abgesehen, bewegt sich Curtis jedoch eindeutig auf vertrautem Boden. About Time spielt in einer simplen, typisch Curtis'schen Welt, deren Akteure luxuriöse Villen in einem arkadischen Anglo-Griechenland – so jedenfalls wird dem Zuschauer Cornwall präsentiert – oder schicke Appartements im unnatürlich sauberen London bewohnen, wo Geldnot ein Fremdwort ist, Beziehungskrisen sich auf halb lächelnd geführte Dispute beschränken und sich beinahe alles auf abgedroschene Montage-Sequenzen reduzieren lässt, begleitet von verträumt-überschwänglichen Pop-Balladen, von denen einzig Ron Sexsmiths wundervolles "Gold in Them Hills" nachzuhallen vermag. Liebenswert-verschrobene Figuren dominieren wie gewohnt das Geschehen – vom vergesslichen, inhaltlich irrelevanten Onkel Desmond (Richard Cordery) bis zum raubeinig-charmanten Theaterautor Harry (Tom Hollander).

Und obwohl Curtis seine Geschichte auf nie und nimmer zu rechtfertigende 123 Minuten streckt, bleibt die zentrale Beziehung zwischen Tim und Mary sträflich unterentwickelt. Trotz des ideal besetzten Domhnall Gleeson und einer sympathischen Darbietung von Rachel McAdams bleibt die Paarung zu plump, um ihre volle Wirkung zu entfalten, auch weil sich Curtis allzu oft damit begnügt, Mary als stereotype Traumfrau-Schablone zu inszenieren – schüchtern, humorvoll, von der eigenen Schönheit nicht überzeugt –, Zeitlupe und goldene Beleuchtung inklusive, sowie Tims Annäherungsversuche auf unbeholfene Cringe-Comedy zu reduzieren. Tatsächlich ist das wahre emotionale Zentrum des Films eher in der Vater-Sohn-Dynamik zwischen Gleeson und Bill Nighy zu finden, deren gemeinsame Szenen echt anzurühren vermögen.

Mit subtilem Einsatz seiner Zeitreise-Fähigkeit gelingt es Tim, das Herz der Amerikanerin Mary (Rachel McAdams) zu erobern.
© Universal Pictures
Getrübt wird das grundsätzlich gefällige Seherlebnis letztlich aber durch die verdriessliche Normativität, welche About Time hinter seiner fidelen Formelhaftigkeit verbirgt. Zwar ist auch dies in Curtis' Werk keine Neuheit, doch noch selten hat der Autor und Regisseur Anpassung und Konventionalität dermassen explizit als Tugenden dargestellt. Nicht nur ist Heirat für ihn noch immer die Apotheose wahrer Liebe; diesmal geht er gar mit missionarischem Eifer gegen Andersdenkende vor. "Nothing prepares you for the indifference of friends who don't have children", sinniert Tim via Voiceover nach der Geburt seiner ersten Tochter; die Entscheidung der Kinderlosigkeit wird als lachhafte Naivität abgetan.

Ihren Höhepunkt erreicht Curtis' zweifelhafte Liebeserklärung an die Norm jedoch in Form von Tims jüngerer Schwester Kit Kat (Lydia Wilson), eine enthusiastische Exzentrikerin, von Tim als "my favourite person in the whole world" eingeführt, eine Idealistin mit einer Vorliebe für violette Pullover und nackte Füsse. Um soziale Rituale und Protokolle kümmert sie sich nicht. Mit ihr kennt Curtis keine Gnade: Zunächst dichtet er ihr eine Depression an, gefolgt von exzessivem Alkoholkonsum; ihr Unbehagen London gegenüber wird als nicht nachvollziehbare Spinnerei behandelt, ihr Entschluss, von Männern nichts mehr wissen zu wollen, als delirische Absage an das Leben. (Die Implikationen von letzterer "Verfehlung" sind gleich auf mehreren Ebenen heikel: Zum Einen wird insinuiert, dass eine Frau ohne Mann in ihrem Leben keine vollendete Persönlichkeit sein kann; zum anderen, dass Homosexualität aus der Enttäuschung mit dem anderen Geschlecht entwächst.) "We have to fix her", beschliessen Tim und Mary; der freieste Geist in About Time (vielleicht mit Ausnahme von Tims Vater) muss "repariert" werden. Exzentrik, so der Film, ist nur tolerierbar, wenn sie die bürgerliche Norm nicht herausfordert. Dies ist die Botschaft des in Formeln und Konventionen festgefahrenen Films.

★★

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen