Im zweiten Teil seines insgesamt fünfstündigen Verbrecher-Epos Gangs of Wasseypur wechselt der indische Independent-Regisseur
Anurag Kashyap den Protagonisten und mit ihm die Gangart. Der Film
wird getragener und zynischer – und büsst dabei nichts von seiner
Klasse ein.
Im ostindischen Wasseypur, wo sich die Clans der Khans, der Qureshis
und der Singhs seit den Vierzigerjahren bekriegen, ist eine neue Ära
angebrochen: Der mächtige Sardar Khan (Manoj Bajpai), dessen Ziel es
war, den politisch vernetzten Magnaten Ramadhir Singh (Tigmanshu
Dhulia) auszuschalten, wurde von den Schergen Sultan Qureshis (Pankaj
Tripathi) ermordet. Als kurz darauf auch sein heissblütiger
Erstgeborener Danish (Vineet Kumar Singh), sein designierter
Nachfolger, erschossen wird, liegt es am melancholischen Ganja-Kiffer
Faizal (Nawazuddin Siddiqui) – von seiner Familie verachtet, von
seinen Feinden belächelt –, die Ehre seiner Familie
wiederherzustellen und den von Ramadhir orchestrierten Tod seines
Grossvaters Shahid zu rächen.
Auf der formalen Ebene macht sich dieser Generationenwechsel gleich
in mehrerlei Hinsicht bemerkbar: Zeichnete sich Gangs of Wasseypur
– Part 1 noch durch sein berauschend übersetztes Tempo aus,
ganz der feurigen Passion Sardars entsprechend, dominiert in Part
2 eine an Faizal ausgerichtete, tranceartigere Atmosphäre, in der
schwelgerische Zeitlupenaufnahmen (von Rajeev Ravi unverändert
hervorragend eingefangen) und ironische Verfremdungseffekte keine
Seltenheit sind; derweil die Mischung aus poppigen Bollywood-Klängen
und indischer Folklore auf der Tonspur neu von elektronischen Beats
und psychedelischen Loops durchsetzt ist. Darüber hinaus verändert
sich mit Faizal auch der Tonfall: Sein Humor ist hintersinniger (und
bisweilen auch absurder) als derjenige Sardars; die Gewaltakte werden
kälter und emotionsloser.
Analog dazu findet die implizite Chronik des modernen Indiens, welche
Kashyap in Teils eins begonnen hat, hier einen neuen Fokus. Die
jüngere Generation – Faizal, seine jüngeren Brüder Perpendicular
(Aditya Kumar) und Definite (Zeishan Quadri), der abgefeimte
Unternehmer Shamshad Alam (Raj Kumar Yadav) –, welche ab der
Jahrtausendwende in Wasseypur die Macht übernimmt, orientiert sich
in ihren kriminellen Akten nicht mehr ausschliesslich an Prinzipien
und geschäftlicher Strategie, sondern eifert den Stars der
florierenden Mumbaier Filmindustrie nach. "Alle spulen in ihren
Köpfen die Filme ab, verhalten sich wie ihre Helden", spottet
Ramadhir Singh, der seine Langlebigkeit seiner Abneigung gegenüber
dem Kino zuschreibt. Während er Rivalen beseitigt und
Zwischenhändler manipuliert, eignen sich seine junge Konkurrenten
Filmposen an und färben sich ihre Haare, um wie die Schauspieler
Sanjay Dutt oder Salman Khan auszusehen. "Solange es in Indien das
Kino gibt", so Singh, "bleiben alle Vollidioten". (Kashyaps
einschlägige Szenen – etwa als Faizal seiner zukünftigen Ehefrau
im Bollywood-Stil den Hof macht – bewegen sich stets auf der Grenze
zwischen Persiflage und Hommage.)
Im Ganja-Kiffer Faizal (Nawazuddin Siddiqui) findet der Clan der
Khans einen neuen, gnadenlosen Anführer.
© polyband
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Ansonsten führt der Film, welcher mehrmals unverhofft Aspekte aus Part 1 in veränderter Form wieder aufgreift, das fort, was
bereits den ersten Teil zu einem fesselnden Erlebnis gemacht hat: Mit
faszinierender Detailverliebtheit porträtiert Kashyap die von
Shakespeare'schen Intrigen geprägten Bandenkriege von Wasseypur
anhand der Dutzenden von involvierten, einem letztendlich aber
bestens vertrauten Figuren. Ihren überstilisiert brutalen Höhepunkt
erreicht die Tragödie der jahrzehntelangen Fehde zwischen Khans und
Singhs in der furiosen Schlusssequenz, einer westernähnlichen
Schiesserei in einem Krankenhaus, in welcher wenigstens Faizal seinen
Frieden und sein Lächeln wiederfindet. Es ist das ebenso
befriedigende wie wuchtige Ende eines in seiner ganzen 320-minütigen
Pracht atemberaubenden Werkes.
★★★★★
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