"Life in space is impossible", verkündet eine der
Texttafeln, mit denen Alfonso Cuaróns Weltraum-Drama Gravity,
sein erster Film seit 2006 und Children of Men, eingeleitet
wird. Gemeint ist damit natürlich primär der "leere" Raum
(vage erinnert man sich an eine entfernte Chemie- oder Physikstunde,
in der gesagt wurde, dass auch das interstellare Nichts kein
perfektes Vakuum ist) zwischen den Himmelskörpern, wo, so haben wir
es in zahllosen Science-Fiction-Streifen erfahren, extreme
Temperaturen herrschen, kein Sauerstoff vorhanden ist, die
Bewegungsmöglichkeiten dramatisch beschränkt sind und wo –
selbstverständlich – "dich niemand schreien hört".
Im Lichte einer womöglich wörtlicheren Lesart jedoch wird aus
dieser kühl formulierten Information plötzlich ein hintersinniges
Aperçu. Ist "Life in space is impossible" nicht auch die
blauäugige Aussage eines Menschen, welcher glücklich und zufrieden
unter einem blauen Himmel in einer sauerstoffreichen Atmosphäre
steht, ohne sich der Tatsache gewahr zu werden, dass sich sein Leben
– verbracht auf einem überdimensionierten Stein, welcher um einen
noch grösseren Gasball rast – in eben jenem lebensfeindlichen
Weltraum abspielt?
Dieser demütige Gedanke bildet die philosophische Basis von Cuaróns
Film, nämlich, dass jedes erdenkliche menschliche Unternehmen –
jeder Krieg, jede Entdeckung, jede Errungenschaft – im Angesicht
der endlosen Weite des Alls, in der die Erde nur "ein blasser
blauer Punkt" ist, letztlich unbedeutend ist. Ist nicht das die
ultimative Crux der Condition humaine, die Existenzkrise des
Weltraumzeitalters – die für manche befreiende, für andere
verheerende Erkenntnis, im wohl grössten aller Zusammenhänge nicht
einmal eine Nebenrolle zu spielen?
Anders als Stanley Kubrick in 2001: A Space Odyssey (in dessen
gigantischem Schatten sich Gravity wacker schlägt)
beschäftigt sich Cuarón nicht explizit mit diesen Fragen und
Motiven, sondern gliedert sie, beinahe als Nebenschauplatz, in seine
fest in einer narrativen Handlung verankerte Geschichte ein, deren
Survival-Dramaturgie vertrauten Formeln folgt. Nachdem ein Hagel von
Weltraumschrott ihr Shuttle zerstört, wobei der Rest ihrer Crew ums
Leben kommt, müssen die NASA-Astronauten Ryan Stone (Sandra Bullock)
und Matt Kowalsky (George Clooney) ohne Funkkontakt zur Erde
versuchen, eine andere Raumstation zu erreichen.
Ryan Stone (Sandra Bullock) und Matt Kowalsky (George Clooney) arbeiten am Hubble-Teleskop. © 2013 Warner Bros. Ent. |
Mit Ausnahme einiger symbolbeladener Bilder, welche jeweils
mindestens indirekt Bezug auf 2001 nehmen – Ryans
Embryo-Pose in einer Sojus-Kapsel, die evolutionäre Schlusssequenz
–, sowie einem pfiffigen Verweis auf Pixars WALL-E,
verschreibt sich Cuarón ganz seinem Plot. Dieser wird in 90
überwiegend packenden, überraschend schnell verfliegenden Minuten
abgewickelt – ein angenehmer Gegensatz etwa zu John Sturges'
thematisch ähnlichem Marooned, berüchtigt für sein
schleppendes Tempo –, emotional getragen von (anfänglich) zwei
soliden Darstellern, von denen Clooney mit dem scheinbaren Versuch
auf sich aufmerksam macht, stellenweise Donald Sutherlands Darbietung
in Space Cowboys zu kanalisieren.
Doch trotz der durchaus brauchbaren, wenngleich mitunter etwas
fadenscheinigenf Dramatik ist das Drehbuch, verfasst von Vater
(Alfonso) und Sohn (Jonás) Cuarón, wahrlich nicht das stärkste
Element in Gravity. Nicht die vereinzelt hölzernen Dialoge
und Monologe – darunter die fehlgeleiteten Versuche, Ryan in eine
verkappte Actionheldin, modelliert nach Sigourney Weavers Ripley
(Alien) zu verwandeln – sind es, welche dem Film seine
Kraft, seine Eindringlichkeit verleihen, sondern vielmehr die formale
Vision seines Regisseurs; Cuaróns Talent, das legt der Film offen,
ist jenes eines Stilisten, nicht eines Wortschmieds.
Gravity ist
ein technisches Wunderwerk, in dem Sound- und Bilddesign formidabel
ineinander greifen. Kameramann Emmanuel Lubezki, der Architekt hinter
den archaisch-entrückten Bilderwelten von Terrence Malicks letzten
drei Filmen, komponiert seine lange ausgehaltenen Tableaux mit einem
phänomenalen Sinn für die leere Weite des Schauplatzes und die
dadurch entstehenden Grössenrelationen, unterstützt von ungemein
effektivem Post-Production-3D. Einen Höhepunkt stellt dabei die
erste, mehr als zehnminütige Einstellung des Films dar, in welcher
die Kamera unabhängig von jeglichen physikalischen Bedenken um das
Space Shuttle (die CGI-Ausstattung überzeugt vollauf) kreist, den
Blick abwechselnd auf die blau-grüne Fläche "unter" den
Protagonisten und die weiss gepunktete Unendlichkeit "hinter"
ihnen gerichtet.
Verloren im All. © 2013 Warner Bros. Ent. |
Der Ton beeindruckt indes vorab durch seine Abwesenheit, von Steven
Prices Score abgesehen, welcher nahtlos vom elektronischen Ambient-
in den hie und da überbetonen orchestralen Modus wechselt. Cuaróns
makellos inszenierte Action-Momente, in welchen die Figuren sich
konfrontiert sehen mit einer Wolke stählerner Trümmer, die mit
einem Tempo von vielen Tausend Stundenkilometern ganze Raumstationen
zerfetzt, erhalten durch das fast gänzliche Fehlen von Geräuschen
eine unheimliche neue Dimension.
Dass
die Defizite der zuweilen gestelzt wirkenden Dialoge durch diese
überwältigende formale Virtuosität des Films noch verstärkt
werden, überrascht demnach nicht. Insofern ist das – dennoch
keineswegs fatale – Hauptproblem des auf der tricktechnisch
sicherlich zukunftsweisenden Gravity eines,
welches zuletzt zu Zeiten des frühen Tonfilms weit verbreitet war:
Er verliert an Tiefe, wenn er seinen Mund öffnet. Doch zu Cuaróns
Glück gilt hier ebenso sehr eine Maxime, welche sogar dem Talkie
vorausgeht: Manchmal ist die Kamera mächtiger als der Stift.
★★★★
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