Mittwoch, 16. Oktober 2013

L'écume des jours

Es scheint, als hätte Boris Vians Kult-Roman L'écume des jours (1947) bei seiner dritten Verfilmung endlich den idealen Regisseur gefunden. Nach den in Vergessenheit geratenen Versuchen von Charles Belmont (L'écume des jours, 1968) und Go Riju (Chloe, 2001) hat sich nun Michel Gondry des surrealistischen Stoffs angenommen. Eigentlich müsste die schwelgerisch-bizarre Ästhetik von Filmen wie Eternal Sunshine of the Spotless Mind und La science des rêves perfekt mit der eigenwilligen Vision des Universalkünstlers Vian harmonieren.

Und tatsächlich stehen die Zeichen zu Beginn äusserst gut: In einem atemlosen Vorspann macht Gondry sein Publikum mit dem reichen Bohémien Colin (Romain Duris) und dessen dynamischem Bediensteten Nicolas (Omar Sy – wer Anstoss an dessen Rolle in Intouchables nahm, wird sich wohl auch an dieser wundervollen Darbietung nicht erfreuen können) bekannt. In diesen Anfangsminuten zieht Gondry alle stilistischen Register: Ein Mann im Mauskostüm – in Originalgrösse, versteht sich – hastet durch Colins Wohnung; die morgendlichen Sonnenstrahlen werden zu makellos gestimmten Saiten; Nicolas bereitet mit Hilfe eines Fernsehkochs (ein Cameo von Alain Chabat), der ihm zur Not die richtigen Gewürze durch den Bildschirm reichen kann, ein auffallend lebendiges Frühstück zu: Die Speisen, farbenfrohe Arrangements aus Karton, Filz und Krepppapier, fahren und tanzen in Stop-Motion über den Tisch, während sich Colins Türklingel bei Benutzung in einen kaum aufzuhaltenden Käfer verwandelt.

Überhaupt sind Gondrys Spielereien der weitaus überzeugendste Aspekt seines L'écume des jours; die Momente, in denen er auf seine eigene, stets handgemacht wirkende Weise die ungezügelte Fantasie Vians auf die Leinwand bannt. Sein zeitlich nicht schlüssig zu verortendes Paris – das Milieu ist die Bohème der Vierzigerjahre, die manchmal Tatis Play Time evozierende Einrichtung gehört in die späten Sechzigerjahre, Schlittschuhläufer treffen sich im 1989 geschlossenen Piscine Molitor –, wo die motorischen Gesetzmässigkeiten von Jan Švankmajers Alice zu gelten scheinen, ist die Heimat überdimensionierter Vögel, dehnbarer Kinder und exzentrischer Bonvivants. Zu Letzteren gehören Colins bester Freund Chick (Gad Elmaleh) und dessen Freundin Alise (Aïssa Maïga), beides Verehrer des Star-Philosophen Jean-Sol Partre (Jean-Paul Sartre war ein enger Freund Vians), welcher in L'écume des jours, ähnlich wie Jean-Pierre Melvilles Schriftsteller Parvulescu in À bout de souffle, allgegenwärtig ist, ohne in mehr als drei Szenen effektiv aufzutreten.

Noch ist die Welt von Colin (Romain Duris, links), Chloé (Audrey Tautou) und Nicolas (Omar Sy) in Ordnung.
© Frenetic Films
Der Plot setzt ein, als Colin auf einer Geburtstagsfeier für den Terrier einer Freundin (sic) die hübsche Chloé kennen lernt; diese wird gespielt von Audrey Tautou, welche mit mässigem Erfolg versucht, die leichtfüssige Altklugheit ihrer Amélie-Performance zu reziklieren. Zwischen dem Paar entwickelt sich eine Liebe, die durch eine mysteriöse Krankheit Chloés einem tragischen Ende anheim fällt.

Je länger sich Gondry dieser Handlung widmet, desto deutlicher treten seine Schwierigkeiten im Erzählen linearer Geschichten zutage. Steht nicht seine cineastische Spielfreude im Mittelpunkt des Geschehens, verliert seine Regie an Fahrt und Reiz, insbesondere dann, wenn er sich mit einer tendenziell dünnen, weil parabelhaften, Dramaturgie wie jener Vians konfrontiert sieht. Zwar bleiben dem Film die surrealen Vignetten durchgehend erhalten, doch sobald in L'écume des jours der Plot die Überhand gewinnt, dienen sie nicht mehr der Ausschmückung von Vians fantastischer Welt, sondern der willkommenen Ablenkung. Gondry allein ist dieses Dilemma wohl allerdings nicht zuzuschreiben, da die Gegenüberstellung von Surrealismus und Erzählung in geschriebener Form immer noch am besten funktioniert. So ist sein Versuch, diese Kombination in einen Film zu übersetzen, letztlich gerade gut genug. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

★★★

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