Es scheint, als hätte Boris Vians Kult-Roman L'écume des jours
(1947) bei seiner dritten Verfilmung endlich den idealen
Regisseur gefunden. Nach den in Vergessenheit geratenen Versuchen von
Charles Belmont (L'écume des jours, 1968) und Go Riju (Chloe,
2001) hat sich nun Michel Gondry des surrealistischen Stoffs
angenommen. Eigentlich müsste die schwelgerisch-bizarre Ästhetik
von Filmen wie Eternal Sunshine of the Spotless Mind und La
science des rêves perfekt mit der eigenwilligen Vision des
Universalkünstlers Vian harmonieren.
Und tatsächlich stehen die Zeichen zu Beginn äusserst gut: In einem
atemlosen Vorspann macht Gondry sein Publikum mit dem reichen
Bohémien Colin (Romain Duris) und dessen dynamischem Bediensteten
Nicolas (Omar Sy – wer Anstoss an dessen Rolle in Intouchables
nahm, wird sich wohl auch an dieser wundervollen Darbietung nicht
erfreuen können) bekannt. In diesen Anfangsminuten zieht Gondry alle
stilistischen Register: Ein Mann im Mauskostüm – in
Originalgrösse, versteht sich – hastet durch Colins Wohnung; die
morgendlichen Sonnenstrahlen werden zu makellos gestimmten Saiten;
Nicolas bereitet mit Hilfe eines Fernsehkochs (ein Cameo von Alain
Chabat), der ihm zur Not die richtigen Gewürze durch den Bildschirm
reichen kann, ein auffallend lebendiges Frühstück zu: Die Speisen,
farbenfrohe Arrangements aus Karton, Filz und Krepppapier, fahren und
tanzen in Stop-Motion über den Tisch, während sich Colins
Türklingel bei Benutzung in einen kaum aufzuhaltenden Käfer
verwandelt.
Überhaupt
sind Gondrys Spielereien der weitaus überzeugendste Aspekt seines
L'écume
des jours;
die Momente, in denen er auf seine eigene, stets handgemacht wirkende
Weise die ungezügelte Fantasie Vians auf die Leinwand bannt. Sein
zeitlich nicht schlüssig zu verortendes Paris – das Milieu ist die
Bohème der Vierzigerjahre, die manchmal Tatis Play
Time evozierende
Einrichtung gehört in die späten Sechzigerjahre, Schlittschuhläufer
treffen sich im 1989 geschlossenen Piscine Molitor –, wo die
motorischen Gesetzmässigkeiten von Jan Švankmajers Alice
zu gelten scheinen, ist die Heimat überdimensionierter Vögel,
dehnbarer Kinder und exzentrischer Bonvivants. Zu Letzteren gehören
Colins bester Freund Chick (Gad Elmaleh) und dessen Freundin Alise
(Aïssa Maïga), beides Verehrer des Star-Philosophen Jean-Sol Partre
(Jean-Paul Sartre war ein enger Freund Vians), welcher in L'écume
des jours,
ähnlich wie Jean-Pierre Melvilles Schriftsteller Parvulescu in À
bout de souffle,
allgegenwärtig ist, ohne in mehr als drei Szenen effektiv
aufzutreten.
Noch ist die Welt von Colin (Romain Duris, links), Chloé (Audrey Tautou) und Nicolas (Omar Sy) in Ordnung. © Frenetic Films |
Der
Plot setzt ein, als Colin auf einer Geburtstagsfeier für den Terrier
einer Freundin (sic) die hübsche Chloé kennen lernt; diese wird
gespielt von Audrey Tautou, welche mit mässigem Erfolg versucht, die
leichtfüssige Altklugheit ihrer Amélie-Performance
zu reziklieren. Zwischen dem Paar entwickelt sich eine Liebe, die
durch eine mysteriöse Krankheit Chloés einem tragischen Ende anheim
fällt.
Je
länger sich Gondry dieser Handlung widmet, desto deutlicher treten
seine Schwierigkeiten im Erzählen linearer Geschichten zutage. Steht
nicht seine cineastische Spielfreude im Mittelpunkt des Geschehens,
verliert seine Regie an Fahrt und Reiz, insbesondere dann, wenn er
sich mit einer tendenziell dünnen, weil parabelhaften, Dramaturgie
wie jener Vians konfrontiert sieht. Zwar bleiben dem Film die
surrealen Vignetten durchgehend erhalten, doch sobald in L'écume
des jours der
Plot die Überhand gewinnt, dienen sie nicht mehr der Ausschmückung
von Vians fantastischer Welt, sondern der willkommenen Ablenkung.
Gondry allein ist dieses Dilemma wohl allerdings nicht zuzuschreiben,
da die Gegenüberstellung von Surrealismus und Erzählung in
geschriebener Form immer noch am besten funktioniert. So ist sein
Versuch, diese Kombination in einen Film zu übersetzen, letztlich
gerade gut genug. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
★★★
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