Paul Raymond, der "King of Soho", eine der schillerndsten
Gestalten im Grossbritannien der Sechziger- und Siebzigerjahre,
erhält mit Michael Winterbottoms The Look of Love ein
unspektakuläres, seltsam begeisterungsarmes Biopic. Seltsam deshalb,
weil sich gerade Winterbottom in der Vergangenheit immer wieder als
eigenwilliger Auteur erwiesen hat, der kulturelle Zeitgeschichte (24
Hour Party People) ebenso ungewöhnlich und faszinierend
inszeniert hat wie grosse britische Literatur (A Cock and Bull
Story nach Laurence Sternes Tristram Shandy).
The Look of
Love jedoch fehlt die
Dringlichkeit, ein Hinweis darauf, warum sich sein Regisseur dazu
entschieden hat, die Geschichte des Clubeigners,
Erotik-Magazin-Pioniers und Immobilien-Magnaten Raymond, der 2008
83-jährig starb, cineastisch aufzuarbeiten. Winterbottom arbeitet
sich ziemlich geradlinig durch die Chronologie der Karriere Raymonds
(überzeugend gespielt vom Komiker Steve Coogan), von 1958, als er im
Londoner Stadtteil Soho einen erfolgreichen privaten Strip-Club
eröffnete, bis 1993, als Debbie (Imogen Poots), seine Tochter und
Erbin in spe, einer Kokain- und Heroin-Überdosis zum Opfer fiel. Der
Film ist nüchtern erzählt, durchsetzt mit beabsichtigt
nostalgisch-antiquitiert wirkenden Montagesequenzen und fast gänzlich
frei von dramatischen Höhepunkten.
Doch
gerade darin könnte sein subversives Potential liegen. Es fällt
schwer, The Look of Love für
seinen Mangel an klassischer dramatischer Spannung zu massregeln,
weil er offenbar nicht aktiv nach dieser sucht. Vielmehr hat
Winterbottom einen Film gedreht, der sich ganz auf der Wellenlänge
seiner schamlosen, ungerührten und oft gefühlskalten Hauptfigur
bewegt. Von seinem kontinuierlich ergrauenden, jeweils im Stil der
entsprechenden Dekade frisierten Haarschopf abgesehen, verändert
sich Raymond während der 100 Minuten Laufzeit kaum. Er bleibt stets
das undurchdringliche, unbewegte und unbewegliche Zentrum eines
selbstzerstörerisch dekadenten Geschäfts. Kollegen, mit denen er
sich jahrelang mittels Publicity-Stunts und immer gewagteren
Fotostrecken in seinen Herrenmagazinen gegen die "engstirningen,
puritanischen Bastarde" des britischen Establishments auflehnte,
verprassen ihr verdientes Geld, verfallen den Drogen und verlieren,
manchmal ohne es zu merken, die Kontrolle über ihr eigenes Leben.
Sohos König Midas: Paul Raymond (Steve Coogan) wird mit seinem Erotik- und Immobilien-Imperium zu einem der mächtigsten Männer Grossbritanniens. © Rialto Film AG |
Raymond,
so The Look of Love,
ist anders. Zwar folgt auch er diesem Lebensstil, doch er ist sich im
Klaren darüber, dass er ihn nur überleben kann, wenn er sich ihm
nicht gänzlich ergibt. Er schnupft Kokain, doch er legt Wert darauf,
es von verlässlichen Quellen geliefert zu bekommen; er verbringt
seine Nächte mit vier bis fünf Frauen in seinem Bett, doch sein
Vertrauen gilt, wenn überhaupt, nur einer erlesenen Gruppe von
Verwandten und Bekannten. Er überlebt den Exzess, doch den Preis,
den der ehrgeizige Unternehmer, unverkennbar eine Midas-Figur, dafür
zahlt, ist der der Einsamkeit und der Langeweile; die Liebe tauscht
er früh in seiner Karriere für den Schein von Liebe, den "Look
of Love", ein. Kaum eine Szene vergeht, ohne dass nicht irgendwo
mindestens ein nackter Frauenkörper zu sehen ist; Drogen werden in
The Look of Love in
einem Masse konsumiert, wie man es seit Fear and Loathing
in Las Vegas nicht mehr gesehen
hat. Für den Zuschauer, wie wohl auch für Raymond, wird dieses
Milieu bald repetitiv. Kalkulation seitens Winterbottoms?
Ausschliessen lässt sich dies nicht.
Insofern
erzählt dieses Biopic nicht von den Höhen und Tiefen im Leben
seines Protagonisten, sondern von den Katastrophen und den
gescheiterten Existenzen, welche ihn in seiner Laufbahn umgaben, von
den flüchtigen Bekanntschaften (auf der Meta-Ebene symbolisiert
durch Kurzauftritte von Matt Lucas, David Walliams und Stephen Fry)
und den eben nur scheinbar innigen Beziehungen, die er pflegte.
Winterbottoms Annäherung an dieses Konzept – welches mitunter an
die Filme des Duos Rob Epstein/Jeffrey Friedman erinnert – besteht
darin, die in der Erzählung vorhandene Dramatik zu zeigen, doch sie,
ganz im Sinne Raymonds, an sich abprallen zu lassen, während der
Blick auf Raymond selber dennoch stets der Blick eines
Aussenstehenden ist; fiktive Fernsehdokumentationen sowie ein sein
Leben Revue passieren lassender Raymond bilden die Rahmenhandlungen.
Das daraus resultierende Seherlebnis ist herausfordernd und bisweilen
auch ein wenig frustrierend, doch The Look of Love ist
einer jener Filme, welche mit Verzögerung eine gewisse Faszination
verströmen.
★★★
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