Freitag, 29. November 2013

Blue Jasmine

Woody Allens bald 50-jährige Karriere als Filmemacher ist geprägt von den oft zu komödiantischem Effekt eingesetzten Neurosen, die er seinen Figuren, nicht selten verkappten Darstellungen seiner selbst, andichtete. Auch in Blue Jasmine, seiner 44. Regiearbeit, stellt er die Labilität der menschlichen Psyche in den Mittelpunkt, erlaubt es sich aber, dieser nicht mit seinem berühmten lakonischen Schalk, sondern mit (ironisch gebrochener) Empathie zu begegnen.

Das Objekt dieser tragikomischen Studie ist die materiell wie mental tief gefallene Jeanette Francis (Cate Blanchett), einer einst stolzen Vertreterin der New Yorker Park-Avenue-Hautevolee, deren reicher Ehemann Hal (Alec Baldwin) wegen gross angelegten Finanzbetrugs ins Gefängnis wandert, weshalb sie, entehrt und bankrott, sich gezwungen sieht, bei ihrer mittelständlerischen Schwester Ginger (Sally Hawkins) in San Francisco Unterschlupf zu suchen.

Allens nonlinear-assoziative Dramaturgie, welche zwischen der für Jeanette – die sich vor Jahren "Jasmine" zu nennen begann – tristen, von ihr verabscheuten Gegenwart und ihrer Vergangenheit im Überfluss hin- und herschaltet, quasi als Spiegelung der dissonanten Gedankenwelt Jasmines, bewegt sich stets auf der Grenzlinie zwischen feinfühligem Psychogramm und scharfer Satire. Blue Jasmine kennt keine Gnade mit dem angestammten Milieu seiner Hauptfigur; mit spitzer, oftmals überspitzter, Feder zeichnet Allen das Bild einer in eleganter Dekadenz schwelgenden Oberschicht, nach deren Verständnis "extravagant" ein Kompliment und die Unterhaltung mit Angehörigen tiefer liegender Gesellschaftsschichten – etwa mit Ginger und ihrem Ex-Mann Augie (Andrew Dice Clay) –, "harte Arbeit" bedeutet.

Mit dem Profit, den Hal aus dem Geld schlägt, welches er Menschen wie Ginger und Augie abknöpft, um es in seine windigen Geschäfte zu investieren, erfüllt er Jasmine jeden Wunsch; der Doppelsinn des auffallend häufig geäusserten Wortes "spoil" – "Let me spoil you", "You shouldn't spoil me so", "Who else should I spoil?" – wird spätestens dann offensichtlich, als die inzwischen mittellose Jasmine hoch erhobenen Hauptes und mit drei Louis-Vuitton-Taschen im Anschlag an Gingers Tür klopft und verkündet, sie ertrage es nicht, etwas anderes als Business Class zu fliegen. Es scheint, als hätte die jüngste Finanzkrise zwar die monetären Mittel beeinflusst, nicht aber die Attitüde.

"Shaken and stirred": Jasmine (Cate Blanchett) muss die New Yorker Hautevolee hinter sich lassen.
© Frenetic Films
Sympathie vermag diese herablassende, ewig Cocktails schlürfende Jasmine – ein schauspielerischer Höhepunkt in der Filmografie der nachgerade phänomenalen Cate Blanchett – nie zu erwecken, wohl aber mitleidige Faszination. Man erkennt in ihr die ikonische Leinwand-Persona Allens, etwa während der Auflistung ihrer zahlreichen Ängste, doch Jasmines Unfähigkeit (wohl eine zutreffendere Beschreibung als "Weigerung"), sich an ihre neue Situation anzupassen, und ihr Beharren darauf, das Umfeld ihrer Schwester, darunter Gingers neuen Freund (der hervorragende Bobby Cannavale), den für sie weiterhin bestehenden Klassenunterschied spüren zu lassen, entfernen sie merklich von Allens zumindest aus der Distanz liebenswertem Neurotiker.

Jasmines unglückseliger Neuanfang in San Francisco wird jedoch nicht mit hämischer Schadenfreude, sondern mit feiner Melancholie – und einem bisweilen allzu theaterhaften Hang zum erklärenden Dialog – inszeniert; ihre amourösen Missgeschicke mit einem Zahnarzt (Michael Stuhlbarg) und einem ehrgeizigen Politiker (Peter Sarsgaard) sind perzeptive Momente voller absurder Tragik, ebenso ihre fast schon resignierende Einsicht "There's only so many traumas a person can withstand before they take to the streets and start screaming". Den Zenit erreicht Jasmines als niederschmetternd, ja demütigend empfundene Begegnung mit der Realität, als sie erkennen muss, dass ihre Schwester – das genügsame Gegenstück der "substantial person", welche Jasmine sein will –, anders als sie, in der Lage ist, sich mit den Problemen zu arrangieren, die das Schicksal (oder das Drehbuch) ihr aufhalst. Doch ihre Geschichte endet nicht mit einem Schreianfall auf offener Strasse, sondern mit einem der treffendsten und eloquentesten Schlussbilder im Werk des Woody Allen.

★★★★★

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