2009 kaperten vier Piraten ein amerikanisches Frachtschiff vor
Somalia. Der britische Regisseur Paul Greengrass hat das Drama nun
minutiös aufgearbeitet: Captain Phillips ist zugleich ein
packender Tatsachenbericht und ein Lehrstück über Geopolitik,
Globalisierung und Terrorismus nach 9/11.
Den Grundstein zu diesem Film legte das Studio Columbia Pictures
bereits im Frühling 2009. Kaum ein Monat war seit den turbulenten
Ereignissen im westlichen Indischen Ozean vergangen, als sich
Produktionsverantwortliche an Richard Phillips, den Kapitän des
geenterten Frachters "Maersk Alabama", wandten und sich die
Rechte an seiner Geschichte sicherten. Man kann dies als Zeichen für
fehlende Sensibilität und die sprichwörtliche Sensationsgier
seitens Hollywoods werten, hatte doch Phillips – welcher von den
vier jungen somalischen Piraten zum Schluss auf einem Rettungsboot
als Geisel gehalten wurde – zu diesem Zeitpunkt wohl sein Trauma
noch lange nicht überwunden. Doch immerhin gelangte der hochgradig
filmische Stoff in die Hände von Paul Greengrass. Hätten weniger
begabte Regisseure Phillips' Tortur vielleicht als ein Stück
klassischen Heroismus inszeniert – der aufrechte Amerikaner
bezwingt mit eisernem Willen verschlagene Terroristen –, stellt
Greengrass in Captain Phillips einmal mehr sein Gespür für
Feinheiten und Grautöne unter Beweis.
Wie schon in seinen Aufarbeitungen der nordirischen "Troubles" (Bloody Sunday, 2002) und der Anschläge vom 11. September
(United 93, 2006) ist auch hier kein Platz für simple
Gut-Böse-Dichotomien; die blutige Beendigung der Krise stellt, wie
auch die Tötung Osama Bin Ladens im ähnlich intensiven Zero Dark
Thirty, keinen Triumph dar. Vielmehr sind Kapitän Phillips (Tom
Hanks) und die gleichermassen sorgfältig beleuchteten Piraten unter
dem Kommando des knapp 20-jährigen Muse (Barkhad Abdi) der Spielball
von Mächten, welche über ihre Köpfe hinweg operieren ("We all
got bosses"), ihre Situation das Resultat einer Welt, deren
wirtschaftliche und politische Mechanismen ausser Kontrolle geraten
sind. Die Crux der Globalisierung durchdringt Autor Billy Rays
Narrativ: Britische Anti-Piraten-Kontrollzentren haben ihren Sitz in
Dubai; Hilfsgüter für das im Westen allzu oft als kulturelles
Ganzes wahrgenommene Afrika haben bereits eine halbe Weltreise hinter
sich, wenn sie im gigantischen omanischen Umschlagplatz, von wo die "Maersk Alabama" ausläuft, ankommen; die Tatsache, dass ein
irgendwo in West Virginia gemeldetes Schiff, benannt nach einem
US-Südstaat, einen Botengang im Indischen Ozean absolviert, entbehrt
nicht einer gewissen impliziten Absurdität.
Das von Richard Phillips (Tom Hanks) kommandierte Frachtschiff wird
von somalischen Piraten geentert.
© 2013 Sony Pictures Releasing GmbH
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Greengrass kontrastiert dies mit dem beinahe zynischen Pragmatismus
von Muse und seinen Männern (zwischen denen im Laufe der Entführung
eine angespannte Dog Day Afternoon-Dynamik entsteht), welche
aufgrund der kommerziellen Überfischung ihrer Gewässer die
Fischerei aufgeben mussten und sich der Piraterie zuwandten – und
doch sind drei Kriegsschiffe nötig, um die vier Amateure zu
überwältigen. "No Al-Qaeda here. Just business. We want money",
lautet ihre Beschwichtigungsformel an Phillips' Besatzung; ihre
Angriffe – bezeichnet mit dem kapitalistischen Slogan "No game
for the weak" – sehen sie als eine Form von Steuereintreibung.
Letztendlich ist Captain Phillips aber vor allem eines: ein
packendes Erlebnis – dramaturgisch reduktionistisch, formvollendet
inszeniert, von Barry Ackroyd (The Hurt Locker) atmosphärisch
rastlos eingefangen –, welches einem das seltene Gefühl gibt, erst
nach der allerletzten Einstellung wieder tief durchatmen zu können.
Emotional getragen wird der Film vom magistral aufspielenden Tom
Hanks, der mit dem still und minimalistisch vorgetragenen mentalen
Zusammenbruch des zuvor stets kühl-analytischen Kapitän Phillips
einen erschütternden Schlussstrich unter Greengrass' beeindruckendes
Thrillerdrama setzt.
★★★★★
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