"Warum muss man heute alles auf etwas anderes zurückführen?",
empört sich der Theaterautor Thomas (Mathieu Amalric), als die
Schauspielerin Vanda (Emmanuelle Seigner) bei einem Vorsprechen
versucht, seine Bearbeitung von Leopold Sacher-Masochs Novelle Venus
im Pelz als Plädoyer gegen Kindesmisshandlung zu lesen.
Er verbitte es sich darüber hinaus, mit der masochistisch
veranlagten Hauptfigur Severin von Kusiemski identifiziert zu werden;
der Text, so Thomas, sei "keine Anthropologie, keine Soziologie,
sondern Theater".
Man kann diese Stellen im Quellenmaterial von La Vénus à la
fourrure, David Ives' Venus in Fur, suchen und sich,
sollte man sie finden, an ihrem Spiel mit der Frage, inwieweit ein
Stoff sich an seinem Autor festmachen lässt, erfreuen. Ihre ganze
köstliche Doppeldeutigkeit entfaltet sie jedoch erst in der
Verfilmung von Ives' Sacher-Masoch-Adaption, denn diese wurde von
Roman Polanski inszeniert, jenem Regisseur, dessen beeindruckendes
Œuvre (Repulsion, Rosemary's Baby, Chinatown,
The Pianist) inzwischen weniger zu reden gibt als der
US-Haftbefehl, der seit seiner mutmasslichen Vergewaltigung einer
Minderjährigen im Jahre 1977 gegen ihn vorliegt. In die
Filmgeschichte eingehen wird er, so scheint es, ebenso als
bedeutender Künstler des Mediums wie auch als zwielichtiger
Schürzenjäger.
So ist sein La Vénus à la fourrure mitsamt seinen Tiraden
gegen die obsessive Interpretationsfreude von Zuschauern und
Kritikern auch als Provokation an sein Publikum aufzufassen; dem
reichen Subtext des Films, welcher bewusst mit der Ambivalenz von
Sacher-Masochs Geschlechterzeichnung spielt, haftet die Warnung
an, es handle sich beim vorgeführten Stück weder um eine
Allegorie, noch um eine Beichte, noch um eine Apologie: "Keine
Anthropologie, keine Soziologie, sondern Theater" (wobei der
spitzfindige Betrachter einwenden kann, das vorliegende Werk sei doch
in Wahrheit Kino, womit er den von Thomas verschrieenen
Interpretationen wiederum Tür und Tor öffnet).
Doch auch Vanda hat ihre Einwände: Ein perverses Machwerk sei die
Venus im Pelz, die Machtfantasie eines gemeinen
Schreiberlings, "Sadomaso-Pornografie". So spricht sie, die
den Text dennoch in- und auswendig kennt, und wirft die Vorlage zu
Thomas' Stück ins flackernde (falsche) Bühnen-Kaminfeuer. Es sind
Vorwürfe, welche Sacher-Masochs kleinen Roman um die erotischen
Abenteuer von Kusiemski und Wanda von Dunajew seit seinem Erscheinen
1870 begleitet haben und hier findet Polanskis
Zwei-Personen-Spiel seinen zentralen Konflikt: Wo liegt die Grenze
zwischen Kunst und Pornografie? Oder gibt es am Ende etwa gar keine?
Als eine Art ironische "Sekundärliteratur" legt Polanski
freizügige Gemälde von Tizian und anderen Renaissance-Meistern über
den Abspann.
Leopold Sacher-Masochs Venus im Pelz erhält durch die Theaterprobe von Vanda (Emmanuelle Seigner) und Thomas (Mathieu Amalric) eine ganz neue Dimension. © Ascot Elite |
La
Vénus à la fourrure zeigt –
wie jüngst auch Alain Resnais' Vous n'avez encore rien vu,
mit dem sich Polanskis Film den Schnittmeister Hervé de Luze teilt
–, wie sich im Theater, jenem mythischen Heterotopia, Realität und
Fiktion vermischen. Vanda und Thomas gehen, hitzig über Geschmack
und Geschmacklosigkeit debattierend, immer mehr in ihren Rollen auf,
bis ihr Spiel schliesslich bitterer Ernst wird. Zwischen Amalric und
Seigner knistert die erotische Spannung, die sich, ganz nach
Sacher-Masoch, in Akten der Gewalt und der Demütigung entlädt.
Übersinnliches ist, man ahnt es, auch am Werk: Die scheinbar
allwissende Vanda "schwebt" zu Beginn per POV-Kamerafahrt
ins Schauspielhaus, begleitet von Alexandre Desplats
karnevalesker Musik,
erweist sich im Laufe der Probe als der Erzählung entstiegene Muse,
verwandelt sich graduell in eine – der jungen Catherine Deneuve
verblüffend ähnlich sehende – Venus und endet als dämonische
Bakche, eine jener
Frauen, die in Euripides' gleichnamiger Tragödie den in
Frauenkleider gehüllten König von Theben verhöhnen.
Die
Rolle des Königs fällt hierbei selbstverständlich dem entmachteten
Regisseur Thomas zu, welcher im letzten Akt Lippenstift aufträgt,
sich in High Heels hinein quält, sich den Titel gebenden Pelz
überwirft und von Vanda mit Strumpfhosen an ein übergrosses
Phallus-Symbol (einen Papp-Kaktus) gefesselt wird (eine ebenso krude
wie hochgradig komische Szene). Ist es Pornografie oder Kunst (oder
beides?), wenn die stets kokette Vanda schlussendlich nackt und wilde
Fratzen schneidend um den gedemütigten Thomas herumtanzt? Ist es
emanzipatorisch oder aber frauenverachtend, eine Frau als Peinigerin
darzustellen? Ziemt es sich überhaupt, dass ausgerechnet ein Roman
Polanski derartige Fragen aufwirft? Polanski selber lässt sich
klugerweise nicht zu einer Antwort bewegen. Es genügt ihm, seinem
subversiv provozierten Publikum das oft als sexistisch bezeichnete
Epigraph von Sacher-Masochs Novelle (das Bibelzitat "Gott hat
ihn gestraft und hat ihn in eines Weibes Hände gegeben")
vorzusetzen und den Abspann rollen zu lassen – und das mit einer
Nonchalance, wie sie nur ein Meister mit vollem und berechtigtem
Vertrauen in die Ausdruckskraft seines Handwerks aufbringen kann.
★★★★
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