Hollywood konnte nicht warten: Noch während der australische Hacker und WikiLeaks-Gründer Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London festsitzt, ist bereits ein Film über ihn erschienen. The Fifth Estate ist dynamisch, aber erwartungsgemäss halbgar.
Noch vor drei Jahren war die WikiLeaks-Website, auf der Whistleblower
aus aller Welt streng geheime, weil belastende, Regierungs-, Militär-
und Geschäftsinterna ohne Furcht um ihre persönliche Sicherheit
ausplaudern konnten, in aller Munde. Es schien, als würde
wöchentlich wieder ein Staatsoberhaupt oder ein Unternehmensmogul
durch die Enthüllungen der Seite in Bedrängnis gebracht. Die Leaks
der US-Soldatin Chelsea Manning deckten hässliche Episoden aus den
amerikanischen Kriegen im Irak und in Afghanistan auf. Julian
Assange, so schien es, war einer der einflussreichsten Männer der
Welt, unterstützt in seiner Mission für totale Informationsfreiheit
von hochrangigen Publikationen wie Guardian und Spiegel.
Inzwischen hat der Wind gedreht: Vergewaltigungsvorwürfe und ein
internationaler Haftbefehl zwangen den weisshaarigen Exzentriker ins
politische Exil; das Bild des Kämpfers für transparente,
rechenschaftspflichtige Politik wich dem des egomanischen
Frauenfeindes; der Amerikaner Edward Snowden stieg zur neuen
Gallionsfigur der Leaker-Gemeinde auf.
Man kann dies, wie viele WikiLeaks-Verehrer, für eine perfide
Hetzkampagne halten; man kann darin auch die (gerechtfertigte?)
Entthronung eines heuchlerischen Moralapostels sehen. Dass sich The
Fifth Estate in dieser Frage nicht endgültig festlegt, gehört zu
seinen grössten Verdiensten. Für Regisseur Bill Condon und Autor
Josh Singer ist Assange (der den Verfassern beider Bücher, auf denen
der Film basiert, mit einer Klage drohte) zugleich ein Pionier und
eine Ikarus-Figur: Mit der Gründung von WikiLeaks hat er eine
revolutionäre "fünfte Gewalt" geschaffen, welche ihren Teil zu
einer besseren, offeneren Welt beitragen kann, gegen deren Maximen er
mit seinem beträchtlichen Ego – und seinem Beharren darauf,
Dokumente ohne Kürzungen, also ohne Schwärzung der Namen
gefährdeter Personen, zu veröffentlichen – verstossen hat.
Daniel Domscheit-Berg (Daniel Brühl, rechts) geht dem
WikiLeaks-Gründer Julian Assange (Benedict Cumberbatch) beim
Veröffentlichen von Whistleblower-Berichten zur Hand.
© Ascot Elite
|
Dramaturgisch folgen Condon und Singer dabei der Formel des
IT-Biopics, wie sie David Fincher und Aaron Sorkin 2010 in The
Social Network etabliert haben. Ohne jemals das Niveau dieses
Subgenre-Meisterwerks zu erreichen – aber auch ohne sich je den
Tiefen von Joshua Michael Sterns amateurhaftem Schmierentheater Jobs zu nähern –, erzählen auch Condon und Singer vom
Zerwürfnis zweier einst befreundeter Mitstreiter. 2007 schliesst
sich der deutsche Hacker Daniel Domscheit-Berg (Daniel Brühl) dem
Feldzug Assanges (brillant verkörpert vom Briten Benedict
Cumberbatch) an, beflügelt von den frühen Erfolgen von WikiLeaks,
darunter der Aufdeckung illegaler Machenschaften bei der Schweizer
Privatbank Julius Baer. Doch Assange ist, anders als Domscheit-Berg,
nicht gewillt, dauerhaft mit grossen Zeitungen zu kooperieren und
sich mit deren Redaktionsauflagen zu arrangieren. Im Laufe der
Manning-Affäre kommt es zum Bruch.
The
Fifth Estate ist ein rasant vorgetragener Politthriller Marke
Hollywood: Condon, der das unfilmische Milieu mit oft bizarren
Spielereien – darunter der Entscheidung, Cumberbatch als Assange
die Schluss-Texttafeln kritisieren zu lassen – attraktiv auf die
Leinwand zu bannen versucht, schneidet im Eiltempo zwischen
unzähligen Schauplätzen hin und her; innert weniger als zehn
Minuten hat man als Zuschauer Berlin, London, Zürich, Liège und
Nairobi besucht. Am Rande der Erzählung drängeln sich eine unnütze
Liebesgeschichte, ein Subplot beim Guardian (mit Peter Capaldi
und David Thewlis) sowie Schaltungen ins US-Aussenministerium, wo
eine Beamtin (Laura Linney) ihren Kollegen (Stanley Tucci, Anthony
Mackie) den Einfluss Assanges erläutert ("It's a huge media
empire!", "Welcome to the revolution!"). Condon und Singer mag
es damit zwar gelingen, die Faszination WikiLeaks zumindest
ansatzweise wieder aufleben zu lassen, doch eine sonderlich
befriedigende Geschichte finden sie nie.
★★★
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen