Sonntag, 17. November 2013

The Lunchbox

Dass Liebe durch den Magen geht, weiss der Filmfreund spätestens seit Ang Lees Eat Drink Man Woman. Dass sie ihren Weg auch auf dem Briefweg finden kann, ist dank Ernst Lubitschs The Shop Around the Corner – oder Nora Ephrons Remake You've Got M@il – wohlbekannt. Und dass man für sie nie zu alt ist, haben allein in den letzten 15 Jahren As Good As It Gets, Last Chance Harvey, It's Complicated und Something's Gotta Give gezeigt.

Dem Inder Ritesh Batra ist es nun mit der Unterstützung hochkarätiger Produzenten wie Anurag Kashyap (Gangs of Wasseypur) und Danis Tanović (No Man's Land) gelungen, alle diese publikumswirksamen Topoi in einem sympathischen, wenngleich formelhaften, Rührstück zu vereinen. The Lunchbox eroberte die Gunst der indischen Kritkerschaft im Sturm und dürfte auch auf dem internationalen Markt gut abschneiden, dessen Interesse für "authentisches" Kino vom Subkontinent durch Slumdog Millionaire und The Best Exotic Marigold Hotel geweckt geworden zu sein scheint.

Batras Briefromanze, in der eine frustrierte Ehefrau (Nimrat Kaur) und ein kurz vor der Frühpensionierung stehender Buchhalter (Irrfan Khan) dank einer falsch gelieferten Lunchbox (einer sogenannten "Dabba") zueinander finden, mag keine Etüde in cineastischer Brillanz sein, zeichnet sich aber dennoch als Demonstration von effizientem, grundsolidem Filmhandwerk aus. Das Drama, welches das von Batra selbst verfasste Drehbuch aus der Prämisse gewinnt, ist eines der groben Striche; doch die vorzüglichen Figurenvignetten, die gedämpfte Sentimentalität sowie die menschliche – zuweilen wahrlich Lubitsch'sche – Komik genügen The Lunchbox, um seinen Reiz 104 Minuten lang aufrecht zu erhalten.

Nachdem Khans Witwer Saajan Fernandes jenes köstliche Mittagessen verspeist hat, welches Kaurs Ila ihrem distanzierten Gatten (Nakul Vaid, der bald aus der Erzählung verschwindet) zubereitet hat, um dessen eheliche Leidenschaft neu zu entfachen, ensteht zwischen den beiden vom Leben Enttäuschten eine rege Korrespondenz, geführt über Briefchen in der falsch adressierten Dabba, in deren Verlauf persönliche Ängste und Sorgen, aber auch Erlebnisse ausgetauscht werden. Dass dieser Briefwechsel Ansätze von emotionaler Tiefe erkennen lässt, ist allerdings nicht so sehr bei deren Inhalt zu suchen – dafür bedient sich Batra allzu oft bei abgegriffenen Alltagsweisheiten – als beim Schauspiel von Khan und Kaur, deren zurückhaltende Mimik einen willkommenen Gegenpol zum stellenweise übermässig mitteilsamen Skript bildet.

Duft der Liebe: Saajan (Irrfan Khan) erhält versehentlich eine falsche Lunchbox.
© filmcoopi
Zwischen den einzelnen Briefen, deren Themen zuweilen seltsam abrupt eingeführt werden, folgt der Film dem repetitiven Alltag der beiden Protagonisten. Ila schickt ihre Tochter (Yashvi Puneet Nagar) zur Schule, kümmert sich um die Wäsche und bereitet mit Hilfe der in der oberen Etage wohnenden Nachbarin "Aunty" (Bhaarti Achrekar), die sich seit Jahren nur noch der Pflege ihres katatonischen Ehemannes widmet, das Mittagessen vor. (Die Möglichkeit, dass diese nur stimmlich in Erscheinung tretende Nachbarin lediglich ein Produkt von Ilas Einbildung sein könnte – womöglich eine Zukunftsvision ihrer selbst –, erkundet Batra nicht.)

Trotz diverser durchaus komischer Dialoge zwischen Ila und "Aunty" – und trotz der alles überspannenden Liebesgeschichte – ist das schlagende Herz des Films auf Irrfan Khans Seite zu finden, der einmal mehr sein Talent an den Tag legt, mit minimalem Aufwand viel zu suggerieren – eine Gabe, von der unlängst auch Ang Lees Life of Pi profitieren konnte. Der Handlungsstrang beinhaltet Saajans mühselige, ja widerwillige, Einarbeitung seines designierten Nachfolgers Shaikh, einem in seine Heimat zurückgekehrten Gastarbeiter, der sein Glück in Saudi Arabien nicht gefunden hat, gespielt von Nawazuddin Siddiqui. Dessen Darbietung ist in ihrem Tonfall kaum zu vergleichen mit jener, welche er in Gangs of Wasseypur vollführte. Die Trance und der Zynismus des Faizal Khan, den er in Anurag Kashyaps Gangster-Epos darstellte, weichen in The Lunchbox dem bedingungslosen Optimismus des stets vergnügten Shaikh, einem entfernten Verwandten von Sally Hawkins' Poppy in Happy-Go-Lucky. Zunächst befürchtet man fast, Siddiqui sei nicht mehr als eine Narren-Kontrastfigur zum mürrisch-introvertierten Saajan, doch nach und nach entsteht zwischen den beiden eine subtile Freundschaft, die weit über die blosse komödiantische Paarung zweier ungleicher Männer hinaus geht – ohne jedoch ein Jota an Komik zu verlieren.

Zwischen Ila (Nimrat Kaur) und Saajan entwickelt sich eine innige Brieffreundschaft.
© filmcoopi
Vor diesem Hintergrund wirken Batras wiederholte, wenn auch nur kurze, Ausflüge in die Sozialkritik – Saajan beklagt die Menschenmassen von Mumbai ebenso wie den alles dominierenden Geschäftssinn – etwas deplatziert. Linien wie "Life is very busy, and everybody wants what the other one has" evozieren zwar Ang Lees implizite Kommentare zu Taiwans Tiger-Ökonomie in Eat Drink Man Woman, laufen in ihrer Offenheit aber dem menschlichen Kern des Ganzen ein wenig zuwider. Kompromittiert wird der Reiz des Films davon aber letztlich nicht. The Lunchbox bleibt eine liebenswürdige Dramödie, welche das moderne indische Kino endlich einem breiten westlichen Publikum öffnen könnte.

★★★★

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