Dass Liebe durch den Magen geht, weiss der Filmfreund spätestens
seit Ang Lees Eat Drink Man Woman. Dass sie ihren Weg auch auf
dem Briefweg finden kann, ist dank Ernst Lubitschs The Shop Around
the Corner – oder Nora Ephrons Remake You've Got M@il –
wohlbekannt. Und dass man für sie nie zu alt ist, haben allein in
den letzten 15 Jahren As Good As It Gets, Last Chance
Harvey, It's Complicated und Something's Gotta Give
gezeigt.
Dem
Inder Ritesh Batra ist es nun mit der Unterstützung hochkarätiger
Produzenten wie Anurag Kashyap (Gangs
of Wasseypur)
und Danis Tanović (No
Man's Land)
gelungen, alle diese publikumswirksamen Topoi in einem sympathischen,
wenngleich formelhaften, Rührstück zu vereinen. The
Lunchbox eroberte
die Gunst der indischen Kritkerschaft im Sturm und dürfte auch auf
dem internationalen Markt gut abschneiden, dessen Interesse für
"authentisches" Kino vom Subkontinent durch Slumdog
Millionaire und
The
Best Exotic Marigold Hotel
geweckt geworden zu sein scheint.
Batras
Briefromanze, in der eine frustrierte Ehefrau (Nimrat Kaur) und ein
kurz vor der Frühpensionierung stehender Buchhalter (Irrfan Khan)
dank einer falsch gelieferten Lunchbox (einer sogenannten "Dabba")
zueinander finden, mag keine Etüde in cineastischer Brillanz sein,
zeichnet sich aber dennoch als Demonstration von effizientem,
grundsolidem Filmhandwerk aus. Das Drama, welches das von Batra
selbst verfasste Drehbuch aus der Prämisse gewinnt, ist eines der
groben Striche; doch die vorzüglichen Figurenvignetten, die
gedämpfte Sentimentalität sowie die menschliche – zuweilen
wahrlich Lubitsch'sche – Komik genügen The
Lunchbox,
um seinen Reiz 104 Minuten lang aufrecht zu erhalten.
Nachdem Khans Witwer Saajan Fernandes jenes köstliche Mittagessen
verspeist hat, welches Kaurs Ila ihrem distanzierten Gatten (Nakul
Vaid, der bald aus der Erzählung verschwindet) zubereitet hat, um
dessen eheliche Leidenschaft neu zu entfachen, ensteht zwischen den
beiden vom Leben Enttäuschten eine rege Korrespondenz, geführt über
Briefchen in der falsch adressierten Dabba, in deren Verlauf
persönliche Ängste und Sorgen, aber auch Erlebnisse ausgetauscht
werden. Dass dieser Briefwechsel Ansätze von emotionaler Tiefe
erkennen lässt, ist allerdings nicht so sehr bei deren Inhalt zu
suchen – dafür bedient sich Batra allzu oft bei abgegriffenen
Alltagsweisheiten – als beim Schauspiel von Khan und Kaur, deren
zurückhaltende Mimik einen willkommenen Gegenpol zum stellenweise
übermässig mitteilsamen Skript bildet.
Duft der Liebe: Saajan (Irrfan Khan) erhält versehentlich eine falsche Lunchbox. © filmcoopi |
Zwischen den einzelnen Briefen, deren Themen zuweilen seltsam abrupt
eingeführt werden, folgt der Film dem repetitiven Alltag der beiden
Protagonisten. Ila schickt ihre Tochter (Yashvi Puneet Nagar) zur
Schule, kümmert sich um die Wäsche und bereitet mit Hilfe der in
der oberen Etage wohnenden Nachbarin "Aunty" (Bhaarti
Achrekar), die sich seit Jahren nur noch der Pflege ihres
katatonischen Ehemannes widmet, das Mittagessen vor. (Die
Möglichkeit, dass diese nur stimmlich in Erscheinung tretende
Nachbarin lediglich ein Produkt von Ilas Einbildung sein könnte –
womöglich eine Zukunftsvision ihrer selbst –, erkundet Batra
nicht.)
Trotz
diverser durchaus komischer Dialoge zwischen Ila und "Aunty"
– und trotz der alles überspannenden Liebesgeschichte – ist das
schlagende Herz des Films auf Irrfan Khans Seite zu finden, der
einmal mehr sein Talent an den Tag legt, mit minimalem Aufwand viel
zu suggerieren – eine Gabe, von der unlängst auch Ang Lees Life
of Pi profitieren
konnte. Der Handlungsstrang beinhaltet Saajans mühselige, ja
widerwillige, Einarbeitung seines designierten Nachfolgers Shaikh,
einem in seine Heimat zurückgekehrten Gastarbeiter, der sein Glück
in Saudi Arabien nicht gefunden hat, gespielt von Nawazuddin
Siddiqui. Dessen Darbietung ist in ihrem Tonfall kaum zu vergleichen
mit jener, welche er in Gangs
of Wasseypur
vollführte. Die Trance und der Zynismus des Faizal Khan, den er in
Anurag Kashyaps Gangster-Epos darstellte, weichen in The
Lunchbox dem
bedingungslosen Optimismus des stets vergnügten Shaikh, einem
entfernten Verwandten von Sally Hawkins' Poppy in Happy-Go-Lucky.
Zunächst befürchtet man fast, Siddiqui sei nicht mehr als eine
Narren-Kontrastfigur zum mürrisch-introvertierten Saajan, doch nach
und nach entsteht zwischen den beiden eine subtile Freundschaft, die
weit über die blosse komödiantische Paarung zweier ungleicher
Männer hinaus geht – ohne jedoch ein Jota an Komik zu verlieren.
Zwischen Ila (Nimrat Kaur) und Saajan entwickelt sich eine innige Brieffreundschaft. © filmcoopi |
Vor
diesem Hintergrund wirken Batras wiederholte, wenn auch nur kurze,
Ausflüge in die Sozialkritik – Saajan beklagt die Menschenmassen
von Mumbai ebenso wie den alles dominierenden Geschäftssinn –
etwas deplatziert. Linien wie "Life is very busy, and everybody
wants what the other one has" evozieren zwar Ang Lees implizite
Kommentare zu Taiwans Tiger-Ökonomie in Eat
Drink Man Woman,
laufen in ihrer Offenheit aber dem menschlichen Kern des Ganzen ein
wenig zuwider. Kompromittiert wird der Reiz des Films davon aber
letztlich nicht. The
Lunchbox bleibt
eine liebenswürdige Dramödie, welche das moderne indische Kino
endlich einem breiten westlichen Publikum öffnen könnte.
★★★★
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