Donnerstag, 12. Dezember 2013

Inside Llewyn Davis

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.


Inspiriert von der posthum veröffentlichten Autobiografie des amerikanischen Folkmusikers Dave Van Ronk, erzählt das Regie-Brüderpaar Joel und Ethan Coen mit Inside Llewyn Davis eine bald lakonische, bald melancholische Winterballade aus dem New Yorker Greenwich Village.

Einer der spannendsten Aspekte des Coen'schen Filmkanons ist sein ausgeprägter Sinn für Zeit und Ort; die darin enthaltenen Werke sind, obgleich sie sich zumeist um universelle Tropen und Strukturen drehen, stets eng mit dem historischen Hintergrund, vor dem sie sich abspielen, verbunden. So beleuchtet etwa der 1991 erschienene Barton Fink die innere Zerrissenheit Amerikas an der Schwelle zum Zweiten Weltkrieg; derweil sich Fargo (1996), angesiedelt im Jahre 1987, mit dem katastrophalen Scheitern der neoliberalen Reagan-Jahre beschäftigt. Llewyn Davis, als Figur wie auch als Film, bildet die Brücke zwischen dem überschwänglichen Wirtschaftswunder-Esprit von Tim Robbins' Norville Barnes in The Hudsucker Proxy (1994; spielt 1958) und dem frustrierend normativen Vorstadt-Spiessbürgertum, dessen Tristesse Michael Stuhlbarg als Larry Gopnik in A Serious Man (2009; spielt 1967) miterlebt.

Zwischen diesen beiden Polen spielt sich das Leben von Llewyn Davis (Oscar Isaac) ab, einem begabten, aber nicht eben erfolgreichen Folksänger, welcher 1961 im Greenwich Village, dem Alternativen-Schmelztiegel von New York, wo sich Beatniks und Anhänger des "Folk Revival" tummeln, Fuss zu fassen versucht. Getrieben wird der verbitterte Eigenbrötler noch vom uramerikanischen Glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten der Eigeninitiative, wobei er seine Tätigkeit primär als Broterwerb versteht und ihm die Beschreibung des Singens als "joyous expression of the soul" zuwider ist. Doch nach und nach muss auch er feststellen, dass dieser idealistische Traum der Village-Bewegung wohl stets ein Traum bleiben wird: Jean (Carey Mulligan), die Partnerin seines besten Freundes (Justin Timberlake), die Llewyn womöglich geschwängert hat, denkt unter dem galligen Spott der immer wieder arroganten Titelfigur laut darüber nach, eine Familie zu gründen; das Jazz-Schwergewicht Roland Turner (John Goodman – hervorragend) ist ein drogensüchtiges Wrack; der legendäre Folk-Produzent Bud Grossman (F. Murray Abraham) hört sich eine herzzereissende Ballade Llewyns an und winkt ab mit der Begründung, damit liesse sich kein Geld machen.

"Heard the song of a poet who died in the gutter": Folkmusiker Llewyn Davis (Oscar Isaac, links) versucht, sich im Greenwich Village durchzusetzen.
© Ascot Elite
Doch nicht nur Llewyn selber passt ins Coen-Universum, ist er doch geistesverwandt mit dem glücklosen Hollywood-Schreiberling Barton Fink und dem Pechvogel Larry Gopnik. Der Film als Ganzes fügt sich in jene Reihe von Werken ein, bei welchen die Coens eine frei laufende, episodenhafte Erzählstruktur einem geradlinigen Plot vorziehen (The Big Lebowski, A Serious Man). Dramaturgisch vorangetrieben wird Inside Llewyn Davis von Llewyns Odyssee, die durch sein Verschulden entlaufene Katze eines befreundeten Ehepaares wiederzufinden.

Seine daraus resultierenden Konfrontationen mit anderen Musikern, anderen Lebensentwürfen sowie dem eigenen Verantwortungsbewusstsein (oder dessen Fehlen) wissen Joel und Ethan Coen indes mit grandios idiosynkratischen Dialogen, treffenden Bildkompositionen – veredelt durch das winterlich blaugraue Farbschema von Kameramann Bruno Delbonnel – und einer einmal mehr passgenau auf das porträtierte Milieu zugeschnittenen Atmosphäre (mit subtilen Anspielungen auf Village-Grössen wie Peter, Paul and Mary, Jean Ritchie, Tom Paxton, die Clancy Brothers oder Bob Dylan) einzufangen. Inside Llewyn Davis ist augenscheinlich das Werk zweier abgeklärter Filmemacher, für die ein Fehltritt inzwischen unmöglich geworden zu sein scheint.

★★★★

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