Inspiriert von der posthum veröffentlichten Autobiografie des
amerikanischen Folkmusikers Dave Van Ronk, erzählt das
Regie-Brüderpaar Joel und Ethan Coen mit Inside Llewyn Davis eine bald lakonische, bald melancholische Winterballade aus dem New
Yorker Greenwich Village.
Einer der spannendsten Aspekte des Coen'schen Filmkanons ist sein
ausgeprägter Sinn für Zeit und Ort; die darin enthaltenen Werke
sind, obgleich sie sich zumeist um universelle Tropen und Strukturen
drehen, stets eng mit dem historischen Hintergrund, vor dem sie sich
abspielen, verbunden. So beleuchtet etwa der 1991 erschienene Barton
Fink die innere Zerrissenheit Amerikas an der Schwelle zum Zweiten
Weltkrieg; derweil sich Fargo (1996), angesiedelt im Jahre
1987, mit dem katastrophalen Scheitern der neoliberalen Reagan-Jahre
beschäftigt. Llewyn Davis, als Figur wie auch als Film, bildet
die Brücke zwischen dem überschwänglichen Wirtschaftswunder-Esprit
von Tim Robbins' Norville Barnes in The Hudsucker Proxy (1994;
spielt 1958) und dem frustrierend normativen
Vorstadt-Spiessbürgertum, dessen Tristesse Michael Stuhlbarg als
Larry Gopnik in A Serious Man (2009; spielt 1967) miterlebt.
Zwischen diesen beiden Polen spielt sich das Leben von Llewyn Davis
(Oscar Isaac) ab, einem begabten, aber nicht eben erfolgreichen
Folksänger, welcher 1961 im Greenwich Village, dem
Alternativen-Schmelztiegel von New York, wo sich Beatniks und
Anhänger des "Folk Revival" tummeln, Fuss zu fassen versucht.
Getrieben wird der verbitterte Eigenbrötler noch vom
uramerikanischen Glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten der
Eigeninitiative, wobei er seine Tätigkeit primär als Broterwerb
versteht und ihm die Beschreibung des Singens als "joyous
expression of the soul" zuwider ist. Doch nach und nach muss auch
er feststellen, dass dieser idealistische Traum der Village-Bewegung
wohl stets ein Traum bleiben wird: Jean (Carey Mulligan), die
Partnerin seines besten Freundes (Justin Timberlake), die Llewyn
womöglich geschwängert hat, denkt unter dem galligen Spott der
immer wieder arroganten Titelfigur laut darüber nach, eine Familie
zu gründen; das Jazz-Schwergewicht Roland Turner (John Goodman –
hervorragend) ist ein drogensüchtiges Wrack; der legendäre
Folk-Produzent Bud Grossman (F. Murray Abraham) hört sich eine
herzzereissende Ballade Llewyns an und winkt ab mit der Begründung,
damit liesse sich kein Geld machen.
"Heard the song of a poet who died in the gutter": Folkmusiker
Llewyn Davis (Oscar Isaac, links) versucht, sich im Greenwich Village
durchzusetzen.
© Ascot Elite
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Doch nicht nur Llewyn selber passt ins Coen-Universum, ist er doch
geistesverwandt mit dem glücklosen Hollywood-Schreiberling Barton
Fink und dem Pechvogel Larry Gopnik. Der Film als Ganzes fügt sich
in jene Reihe von Werken ein, bei welchen die Coens eine frei
laufende, episodenhafte Erzählstruktur einem geradlinigen Plot
vorziehen (The Big Lebowski, A Serious Man).
Dramaturgisch vorangetrieben wird Inside Llewyn Davis von
Llewyns Odyssee, die durch sein Verschulden entlaufene Katze eines
befreundeten Ehepaares wiederzufinden.
Seine daraus resultierenden Konfrontationen mit anderen Musikern,
anderen Lebensentwürfen sowie dem eigenen Verantwortungsbewusstsein
(oder dessen Fehlen) wissen Joel und Ethan Coen indes mit grandios
idiosynkratischen Dialogen, treffenden Bildkompositionen – veredelt
durch das winterlich blaugraue Farbschema von Kameramann Bruno
Delbonnel – und einer einmal mehr passgenau auf das porträtierte
Milieu zugeschnittenen Atmosphäre (mit subtilen Anspielungen auf
Village-Grössen wie Peter, Paul and Mary, Jean Ritchie, Tom Paxton,
die Clancy Brothers oder Bob Dylan) einzufangen. Inside Llewyn
Davis ist augenscheinlich das Werk zweier abgeklärter
Filmemacher, für die ein Fehltritt inzwischen unmöglich geworden zu
sein scheint.
★★★★
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