Zwischen packender Tragödie und manipulativem Rührstück verläuft
oft nur eine feine Linie, deren gelegentliche Übertretung nicht nur
minderen Künstlern vorbehalten ist. Nachgerade berühmt ist etwa das
Verdikt, welches der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer über Georg
Wilhelm Pabsts Meisterwerk Die freudlose Gasse fällte: Bei
allem Mut, das in der Weimarer Republik existierende soziale Elend zu
zeigen, bei aller gestalterischer Virtuosität habe der Film dennoch
"einen unglücklichen Hang zum Melodram".
Dieses Wort im Zusammenhang mit Asghar Farhadis neuem Film zu nennen,
wäre übertrieben, obwohl Le passé durchaus dahin gehende
Tendenzen aufweist. Zwei Jahre nach Farhadis magistralem
Scheidungsdrama A Separation, welches den Iraner und seine
vorangegangenen Werke (Fireworks Wednesday, About Elly)
einem internationalen Publikum bekannt machte, legt er ein thematisch
ähnliches Drama vor, welches sich aus einer unwahrscheinlichen
Verkettung verhängnisvoller Zufälle und Begebenheiten speist, die
das ganze Konstrukt stellenweise ins Wanken zu bringen droht.
Kaum ein tragischer Topos fehlt hier: Liebe, Ehe, Scheidung,
traumatisierte Kinder, ungewollte Schwangerschaft, Suizid und eine
erst in der herausragenden letzten Einstellung auftretende
Koma-Patientin liefern den dramatischen Hintergrund, vor dem sich die
Dreiecksbeziehung zwischen Ahmad (der hervorragende Ali Mosaffa), seiner Ex-Frau Marie
(Bérénice Bejo – weit entfernt von der verträumten Romantik
ihrer Darbietung in The Artist) und deren neuem Freund Samir
(Tahar Rahim) abspielt. Nach vierjähriger Abwesenheit reist Ahmad
zurück nach Paris, um dort die Scheidung von Marie zu finalisieren,
sieht sich aber bald mit den Konflikten konfrontiert, die sich seit
seiner Abreise vertieft haben – etwa dem scheinbar unüberbrückbaren
Graben zwischen Marie und Lucie (Pauline Burlet), ihrer 16-jährigen
Tochter aus erster Ehe.
Farhadi erweist sich einmal mehr als gewiefter Wortschmied, dessen
Dialoge mit bewundernswerter Ökonomie in wenigen Worten viel zu
vermitteln wissen, ohne je ins Deklamatorische zu verfallen –
wenngleich er in einer Schlüsselszene der unseligen Versuchung
erliegt, Samirs fünfjährigem Sohn Fouad (Elyes Aguis) die
analytische Reife eines jungen Erwachsenen anzudichten. Insgesamt mag
der Film zwar das Feuer vermissen lassen, welches A
Separation mit seinen aufgeladenen Rededuellen zu entfachen
vermochte; doch auch Le passé erreicht den Zenit seiner
Intensität, wenn sich Farhadi auf die in engen, überfrachteten
Zimmern geführten Diskussionen seiner Protagonisten konzentriert.
Ahmad (Ali Mosaffa, links) muss sich mit der komplizierten Beziehung seiner Ex-Frau (Bérénice Bejo) zu Samir (Tahar Rahim) auseinandersetzen. © Frenetic Films |
Letztendlich ist es vielleicht sogar primär der sorgfältigen
Figurenzeichnung zu verdanken, dass Farhadis melodramatischer Plot
nie in ein ausgesprochenes Melodrama ausartet; seine Charaktere sind
dermassen stimmig konzipiert, dass das Interesse an ihnen stark genug
ist, um grössere Zweifel an der Dramaturgie, die sie bewohnen,
auszuräumen. Es ist ein Beleg für Farhadis Qualitäten als Autor,
dass man es dem Film nicht nachträgt, wenn er den Fokus vom
geduldigen, ausgeglichenen Ahmad, dem designierten Sympathieträger
des Stücks, auf die aufbrausende Marie und den scharfkantigen Samir
verlagert, um im auf stille Weise mitreissenden letzten Akt die
Tiefen dieser Figuren zu erkunden.
Im Bereich der Regie geriert sich Farhadi indes auch in Le passé grundsätzlich als Neorealist, als Regisseur der Worte und Taten statt des expliziten Subtexts. Seine Kompositionen sind nüchtern, viele seiner Szenen sind in gewollt klaustrophobischen Halbnahen gefilmt; stilistische Schnörkel erlaubt er sich allenfalls an jenen Stellen, in denen er das Scheitern menschlicher Kommunikation mittels tonloser Dialoge herausstreicht. (Derweil erinnert die Autofahrt von Ahmad und Marie zu Beginn an die Irrfahrt, welche die Protagonisten von Abbas Kiarostamis Close-Up durch die Vorstadt von Teheran unternehmen.) Selbst der potentiell bedeutungsschwangere Titel wird nicht mit cineastischen Extravaganzen gerechtfertigt; seine Relevanz wird lediglich mit subtilen visuellen Mitteln der Dramaturgie angedeutet. "Le passé", die Vergangenheit, bestimmt die Gegenwart wie keine andere Kraft; es sind die divergierenden Interpretationen des bereits Geschehenen, welche über den Lauf der Welt, im Grossen wie im Kleinen, bestimmen. Der Film mag der Gravitas dieser Erkenntnis nicht immer ganz gerecht werden, doch dass er letztlich dennoch bewegt und fasziniert, zeugt von der unbestreitbaren Klasse seines Regisseurs.
Im Bereich der Regie geriert sich Farhadi indes auch in Le passé grundsätzlich als Neorealist, als Regisseur der Worte und Taten statt des expliziten Subtexts. Seine Kompositionen sind nüchtern, viele seiner Szenen sind in gewollt klaustrophobischen Halbnahen gefilmt; stilistische Schnörkel erlaubt er sich allenfalls an jenen Stellen, in denen er das Scheitern menschlicher Kommunikation mittels tonloser Dialoge herausstreicht. (Derweil erinnert die Autofahrt von Ahmad und Marie zu Beginn an die Irrfahrt, welche die Protagonisten von Abbas Kiarostamis Close-Up durch die Vorstadt von Teheran unternehmen.) Selbst der potentiell bedeutungsschwangere Titel wird nicht mit cineastischen Extravaganzen gerechtfertigt; seine Relevanz wird lediglich mit subtilen visuellen Mitteln der Dramaturgie angedeutet. "Le passé", die Vergangenheit, bestimmt die Gegenwart wie keine andere Kraft; es sind die divergierenden Interpretationen des bereits Geschehenen, welche über den Lauf der Welt, im Grossen wie im Kleinen, bestimmen. Der Film mag der Gravitas dieser Erkenntnis nicht immer ganz gerecht werden, doch dass er letztlich dennoch bewegt und fasziniert, zeugt von der unbestreitbaren Klasse seines Regisseurs.
★★★★
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