In seinem ersten Film seit 2009 widmet sich Jim Jarmusch dem für ihn
an sich untypischen Thema einer Vampirromanze. Doch der Outlaw des
amerikanischen Indie-Kinos weiss auch in diesem Genre zu begeistern: Only Lovers Left Alive ist ein stimmiges Charakterstück von
melancholischer Schönheit.
Ein Hauch von Midnight in Paris liegt über Only Lovers Left
Alive. Wie Woody Allen in seiner leichtfüssigen Zeitreise-Komödie
scheint sich Jarmusch – mehr noch als im unterbewerteten The
Limits of Control, in dem er eine Figur über Aki Kaurismäkis La
vie de bohème philosophieren liess – in seinem elften Spielfilm
daran zu erfreuen, historische, literarische und cineastische
Referenzen in sein Drehbuch einfliessen zu lassen. Seine
Hauptfiguren, das sich innig liebende, jahrhundertealte Vampir-Paar
Adam (Tom Hiddleston), lethargisch-depressiv, und Eve (Tilda
Swinton), verträumt-proaktiv, erinnern in ihrer Konstellation an die
menschlichen Akteure in John Miltons Genesis-Neuinterpretation Paradise Lost. Eves bester Freund ist der ebenso legendäre wie
illustre elisabethanische Theaterautor Christopher Marlowe (John
Hurt), ebenfalls ein Blutsauger; Adam, einst ein Freund von "Shelley
and Byron and some of those French arseholes", sammelt ikonische
Gitarren, schmückt sich mit dem Pseudonym "Dr. Faust", wird von
einem gewissen "Dr. Watson" (Jeffrey Wright) mit Blutkonserven
beliefert und hat sich in seiner Wohnung einen Schrein für seine
Idole eingerichtet: Bilder von Mark Twain, Samuel Johnson, Baruch
Spinoza, Frank Kafka, Bo Diddley, Oscar Wilde, Billie Holiday und
Neil Young pflastern seine Wand.
Doch anders als bei Allen, der mit seinem Schauplatz, dem Paris der
Zwanzigerjahre, einen eindeutig auszumachenden Grund hatte, seine
Erzählung unter anderen mit F. Scott Fitzgerald und Luis Buñuel
auszustaffieren, ist der genaue Zweck von Jarmuschs Anspielungen
nicht leicht zu verorten, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich nicht
direkt auf den ohnehin spärlichen Plot – Adams Suizidgedanken,
eine drohende Blutkonserven-Knappheit sowie der Besuch von Eves
wilder Schwester Ava (Mia Wasikowska) – beziehen. Handelt sich
dabei um blosse intellektuelle Spielerei, um den Versuch, etwa dem
filmhistorisch bewanderten Publikum einen Lacher zu entlocken, wenn
Adam von Dr. Watson "Caligari" genannt wird? Oder verfolgt er
immer noch jenes Motiv, welches er in The Limits of Control,
welcher seine narrativen Geheimnisse nie Preis gab, auskostete; dass
die Macht des Autors erst dann offensichtlich wird, wenn er seinem
Adressaten Informationen vorenthält?
Seit Jahrhunderten schon sind die Vampire Adam (Tom Hiddleston) und
Eve (Tilda Swinton) unsterblich ineinander verliebt.
© filmcoopi
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Beide Lesarten mögen wenigstens teilweise zutreffen (wenngleich der
Film eher an Mystery Train denn an Limits gemahnt), doch
Jarmusch wäre nicht Jarmusch, wenn seine Arbeit nicht auf einer
tieferen Ebene berühren würde. Only Lovers Left Alive ist
zuallererst ein betörendes impressionistisches Kunstwerk, dessen
Brillanz in seiner elegischen Langsamkeit, seinem lakonisch-skurrilen
Grundton und seiner grandiosen, von psychedelisch-verzerrten
E-Gitarren-Klängen unterstützten Atmosphäre liegt. Mit subtiler
Grazie – und herausragenden Bildkompositionen – kontrastiert
Jarmusch den Stillstand und den Ennui des ewigen Lebens mit der
schmerzlichen Schönheit der Liebe von Adam und Eve und verhilft so
dem Konzept des Vampirs, durch die unselige Twilight-Reihe
seiner Ernsthaftigkeit, seiner unheimlichen Romantik, ja seiner Würde
beraubt, zu neuer poetischer Kraft.
★★★★★
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