Donnerstag, 30. Januar 2014

12 Years a Slave

Diese Kritik erschien zuerst in gedruckter Form in der Wochenzeitung Heimat.

Der britische Fotograf und Videokünstler Steve McQueen nimmt sich in seinem dritten Langspielfilm des Themas der Sklaverei an. Wie kaum einem anderen Regisseur vor ihm ist es ihm in 12 Years a Slave gelungen, die Ungeheuerlichkeit dieses Unrechtssystems greifbar zu machen.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich der aus einer grenadischen Familie stammende McQueen mit einer dornenvollen Materie beschäftigt. So behandelte er in seinem Debüt, dem 2008 erschienenen Hunger, den bis heute kontrovers rezipierten Hungerstreik, welchen irische Republikaner 1981 in einem nordirischen Gefängnis veranstalteten, um gegen ihre Haftbedingungen zu demonstrieren. Auch Shame, sein bislang einziges nicht faktenbasiertes – und zugleich schwächstes – Projekt, das 2011 folgte, eckte an mit seiner Darstellung eines Sexsüchtigen.

Rein inhaltlich bewegt sich McQueen in 12 Years a Slave, der Verfilmung der gleichnamigen Memoiren des frei geborenen Afroamerikaners Solomon Northup (hier gespielt vom starken Chiwetel Ejiofor), welcher 1841 entführt und als Sklave in die Südstaaten verkauft wurde, also auf besser beackertem Boden als in seinen beiden vorangegangenen Filmen. Im US-Kino hat sich über die Jahre ein nicht unerheblicher Sklaverei-Kanon etabliert, zu dem allein Steven Spielberg im Laufe seiner Karriere drei Werke beigesteuert hat (The Color Purple, Amistad, Lincoln). Formal wiederum ist sich McQueen, ein Jünger der russischen Montage-Pioniere Sergei Eisenstein und Dziga Vertov und ihrer Idee der funktionalen, zweckgebundenen Ästhetik, treu geblieben (wenngleich die radikalen Kniffe, welche etwa Hunger zu einem magistralen Experiment machten, fehlen): Die Einstellungen sind lang; das kunstvoll geschichtete Tondesign verleiht dem Film eine dichte, nachvollziehbare Atmosphäre; bei der Darstellung gepeinigter Sklaven wird keines der hässlichen Details ausgespart.

Northups Leidensweg beginnt, als ihn zwei Männer, vorgeblich beeindruckt von seinen musikalischen Fähigkeiten, aus seiner Heimat im Staat New York nach Washington lotsen, von wo aus er nach New Orleans verschifft wird. Gekauft wird er zunächst vom mitfühlenden Pfarrer Ford (Benedict Cumberbatch). Doch nach einem Scharmützel mit einem Knecht (Paul Dano) – eine grandiose, in ihrer Einfachheit erschütternde Szene – wird er an den sadistischen Plantagen-Besitzer Epps (Michael Fassbender) weitergereicht.

1841 wird der gebildete Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor) entführt und als Sklave auf die Plantage von Pfarrer Ford (Benedict Cumberbatch) verkauft.
© Ascot Elite
Die grosse Leistung, die McQueen hier erbringt, liegt aber nicht ausschliesslich in seiner schonungslosen Wiedergabe von Northups 1853 veröffentlichtem Tatsachenbericht, sondern ebenso in der gekonnten Vermischung von Form und Inhalt, deren Resultat eine ungemein perzeptive Meditation über die gesellschaftlichen und historischen Implikationen der Sklaverei ist, angefangen bei Kameramann Sean Bobbitts atemberaubenden Aufnahmen: Die überwältigende Schönheit, die er in der Natur von Louisiana findet, steht in scharfem, geradezu ironischem Kontrast zu den Gräueltaten, die Menschen vor diesem Hintergrund verüben. Auch in seinen Charakterisierungen beweist 12 Years a Slave Scharfsinn. Insbesondere der vordergründig sympathische Ford erweist sich als die vielleicht problematischste Figur des ganzen Erzählung, dessen Akte der Güte – Akte, wie sie in (nichtsdestoweniger hervorragenden) Filmen wie John Fords Judge Priest oder dem Selznick-Klassiker Gone with the Wind allzu triumphal inszeniert wurden – letztlich nicht weit von der Scheinheiligkeit entfernt sind. Mit 12 Years a Slave ist Steve McQueen womöglich der definitive Film über das düsterste Kapitel der amerikanischen Historie gelungen.

★★★★★

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