Irgendwo in Nebraska vermischt sich die europäische Tradition
des absurden Theaters mit dem melancholischen
Ende-einer-Ära-Fatalismus, den man aus dem amerikanischen Kino
kennt, etwa in Form der Western-Spätwerke eines John Ford – The
Searchers, The Man Who Shot Liberty Valance – oder Peter
Bogdanovichs Texas-Elegie The Last Picture Show (dessen
Schwarz-Weiss-Ästhetik einer US-Kleinstadt Kameramann Phedon
Papamichael hier wohl als Inspiration diente).
Wie in den Werken Becketts und Ionescos ist es das Nichts, welches
die Figuren in Alexander Paynes grandioser Tragikomödie umtreibt:
eine Werbeaktion einer Firma in Lincoln, Nebraska, die den Rentner
Woody (Bruce Dern) aus Billings, Montana, glauben lässt, er habe
eine Million Dollar gewonnen. Als Woodys unwilliger Sohn David (Will
Forte) schliesslich einwilligt, ihn nach Nebraska zu fahren, landen
die beiden zunächst in Hawthorne, der alten Heimat von Woody und
seiner Frau (June Squibb), wo einstige Bekannte den vermeintlichen
Millionär um Geld zu bitten beginnen.
Doch Bob Nelsons Drehbuch erzählt von einer ganz speziellen Art von
Nichts: Nebraska, passend unterlegt mit einem simplen,
elegischen musikalischen Motiv, ist ein Film über den Zerfall
des Mittleren Westens, dem sprichwörtlichen Herzen Amerikas, wo in
den Dreissigerjahren Sandstürme die Landwirtschaft ruinierten und
danach zahlreiche andere Industrien Fuss fassten, nur um selber,
bedingt durch Krisen und Strukturwandel, wieder zu verschwinden. Das
Land, welches Woody und David auf ihrer zum Scheitern verurteilten
Reise durchstreifen, ist gezeichnet von den Schatten einstiger
Grösse, geschunden von dem Untergang geweihten Kohlebergwerken; an
den Gebäuden bröckelt der Verputz; selbst der legendäre Mount
Rushmore verliert in dieser Landschaft an Grandeur: "It's not
even finished", moniert Woody (richtigerweise), als sein Sohn
ihn zu einem Zwischenhalt überredet.
Paynes Interesse galt schon immer dem Puls der Zeit: Menschlich
anregende, zugleich aber hintergründig satirische Werke bestimmen
seine Filmografie, von seinem Debüt Citizen Ruth (1996) über
die überraschend erfolgreichen About Schmidt (2002), Sideways
(2004) und The Descendants (2011), jenem diskreten
Meisterwerk des jüngeren US-Kinos. Sie alle drehen sich, ob direkt
oder implizit, um Beziehungen und die Frustration, die ihnen aufgrund
gestörter Kommunikation entwächst. Zum einen vertieft Nebraska
diesen Fokus; zum anderen erweist sie sich aber auch als Paynes
unterschwellig politischste Regiearbeit seit Election (1999).
Woody (Bruce Dern) und sein Sohn David (Will Forte) durchqueren auf
ihrem Weg nach Lincoln, Nebraska, das zerfallene Herz Amerikas. © Ascot Elite |
Die Tragödie vom geschundenen, in seinem Pionier-Stolz verletzten
Herzen der USA bildet den Hintergrund, vor dem die jahrelang
unausgesprochenen Probleme zwischen Vater Woody und Sohn David
angesprochen und ausgebreitet werden. Dies hat unübersehbaren
Symbolcharakter: Woody, welcher trotzig am Strassenrand entlang geht,
um die 800 Meilen zwischen Billings und Lincoln zu Fuss hinter sich
bringen, und sich immer wieder auf Dinge beruft, die er "zurückholen"
will, wirkt wie ein Relikt aus vergangenen Tagen, in denen Sturheit
Entschlossenheit genannt wurde und zu den Kerntugenden des
amerikanischen Helden zählte. Nun jedoch schlägt ihm kein Applaus
mehr entgegen, sondern das Unverständnis von Frau ("I never
even knew the son of a bitch wanted to be a millionaire") und
Nachwuchs ("You got enough money to get by. What's the point?")
sowie Neid, Gier und Hohn alter Kameraden entgegen.
Aber Nebraska ist nicht zuletzt deshalb der vielleicht beste
amerikanische Film seit The Descendants, weil Payne bei aller
scharfen Ironie stets die menschliche Komponente von Nelsons
Geschichte im Auge behält und dabei Sozialkommentar und legitimes
Charakterdrama nahtlos ineinander übergehen lässt, womit er stets
sowohl Mainstream- wie Indie-Publikum zu begeistern weiss. Der
ungebrochene Optimismus Woodys, sein Wunsch, im Leben noch einmal ein
Ziel zu erreichen und seiner Familie dereinst etwas Handfestes
hinterlassen zu können, ist so zugleich der Triumph des
Pioniergeistes über den zersetzenden Zynismus, der Hawthorne im
Würgegriff hält, und ein emotional nachhallendes Element der
Erzählung.
In seiner einstigen Heimatstadt trifft Woody auf alte Kameraden, die in seinem angeblich gewonnenen Vermögen die grosse Chance wittern. © Ascot Elite |
Insgesamt ist Nebraska ein stilles Wunderwerk voller
perzeptiver, ergreifender und oftmals urkomischer Momente, getragen
von herausragenden schauspielerischen Leistungen – sowohl Bruce
Dern als auch Will Forte glänzen mit subtilen, nuancenreichen
Darbietungen – und Phedon Papamichaels grossartiger
Schwarz-Weiss-Fotografie. Alexander Payne einen Platz im
Filmemacher-Pantheon zu verwehren, ist mit Nebraska zum Ding
der Unmöglichkeit geworden.
★★★★★
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